- Politik
- 20 Jahre nach '89 - 52 Geschichten
Gespalten, zerstritten und fast bankrott
In den achtziger Jahren tobte in der DKP ein Richtungsstreit zwischen »Erneuerern« und »Bewahrern«, der 1989 seinen Höhepunkt erreichte.
Als Protagonisten des DKP-Erneuerungsflügels, der sich in der Partei deutlich in der Minderheit befand, wurden zu Wendezeiten in der Presse immer drei Parteikader, sämtlichst (ehemalige) Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), genannt: Birgit Radow, Werner Stürmann und Wolfgang Gehrcke.
Letzterer war zur Zeit der Wende DKP-Bezirksvorsitzender in Hamburg, dem »Erneuererbezirk«, wie Christiane Reymann, heute im Sprecherinnenrat der feministischen Arbeitsgemeinschaft LISA in der LINKEN, den Hamburger Parteiverband im Gespräch mit ND bezeichnete. Gehrcke trat 1961 in die damals illegale KPD ein, war 1968 Mitgründer der SDAJ und von 1974 bis 1979 deren Bundesvorsitzender. Knapp zehn Jahre gehörte er dem DKP-Parteivorstand an. Der »Erneuerer« Gehrcke galt in den Parteiauseindersetzungen als Hauptkonkurrent von Herbert Mies, dem damaligen DKP-Chef.
Heute ist Wolfgang Gehrcke außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. »Die Kämpfe in der DKP waren inhaltlich 1989 ausgetragen«, meint der Linkspolitiker, der Ende '89 als DKP-Bezirkvorsitzender in Hamburg zurücktrat. Kurz darauf verließ er die Partei. 1990 wurde Gehrcke Mitglied der PDS. Eine Partei, die sich eine demokratische Sozialismuskonzeption erarbeitet hat und in der Strömungen zu ihrem Selbstverständnis gehören, wie er sagt.
Seit Entstehen der Anti-AKW-Bewegung Ende der siebziger Jahre kämpfte auch die DKP gegen Kernkraftwerke – aber nur gegen die in der Bundesrepublik. Im Sozialismus seien AKW sicher, so die Parteidoktrin bis zum 26. April 1986. Die AKW im Osten unterlägen schließlich nicht den Gesetzen der kapitalistischen Marktwirtschaft, dort spare niemand aus Profitgründen an der Sicherheit der Kraftwerke. Eine Position, die sich als »objektiv falsch erwiesen hat«, wie der heutige Parteivorsitzende, Heinz Stehr, im ND-Gespräch einräumt.
Schon Anfang der achtziger Jahre nahm die Spaltung der DKP ihren Lauf. Lange vor dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU begannen sich die »Erneuerer« als Parteiströmung zu formieren. »Eigenständig und unabhängig von Gorbatschow« nennt Reymann die Entwicklung der Reformer heute. Eine Auffassung, die nicht von allen DKP-Reformern geteilt wird. Birgit Radow, bis Juni 1989 SDAJ-Vorsitzende, meint gegenüber ND, dass Gorbatschow das Denken vieler Kommunisten komplett verändert habe und einen Aufbruch innerhalb des sozialistischen Blocks symbolisierte. Zumindest war Gorbatschows Perestroika ein ständiger Bezugspunkt der Erneuerer, wie Harald Werner sagt.
Der 9. Parteitag in Frankfurt am Main Anfang 1989 führte zur Abwahl einiger DKP-Reformer: Vera Achenbach (Dortmund), Dieter Gautier (Bremen) und Steffen Lehndorff (Köln) mussten den Parteivorstand verlassen. Die Reformkräfte verstanden das als ein deutliches Signal: »Entweder wir kriegen die Mehrheit oder wir spalten die Partei«, schildert Werner die Stimmung, die sich durch die Abwahl für die »Erneuerer« ergab. Parteichef Mies und seine Stellvertreterin Ellen Weber, denen die »Opposition« damals vorwarf, die Genossen in Ostberlin gegen Perestroika und Glasnost dickköpfig zu verteidigen, wurden mit rund zwei Drittel der Delegierten im Amt bestätigt. Entsprechend schrieb die »Süddeutsche Zeitung« am 10. Januar von einer »Niederlage der Reformer«.
Anfang Mai '89 trafen sich rund 100 DKP-Mitglieder in Wirges im Westerwald. »Es kam der Punkt, an dem wir sagten: Jetzt treten wir öffentlich auf«, kommentiert Werner den Anlass des Treffens. Bisher trafen sich die Reformer immer nur heimlich. In dem verabschiedeten Dokument (»Wirges-Papier«), so erinnert sich dessen Widersacher Stehr heute, wurde das Modell einer kommunistischen Partei als nicht mehr zeitgemäß interpretiert. Die DKP, so schlugen sie vor, sei aufzulösen, ihre Mitglieder sollten ausschließlich in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv sein.
Stürmann wurde Pressesprecher der grünen Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Als dort 1995 die rot-grüne Koalition unter Johannes Rau gebildet wurde, avancierte er, der laut »Focus« als »das große Nachwuchstalent« der DKP galt, zum stellvertretenden Regierungssprecher. Seit 2001 ist er Abteilungsleiter Sport im Innenministerium in NRW. Zu seiner kommunistischen Vergangenheit wollte er sich gegenüber ND nicht mehr äußern.
Herbert Mies trat nach einem schweren Herzinfakt im März 1990 von seinem Amt zurück, die Parteiführung übernahm kommissarisch ein vierköpfiges Gremium, dem neben Rolf Priemer, Helga Rosenberg und Anne Frohnweiler auch Heinz Stehr angehörte.
Doch wie steht's heute um die DKP? Die Partei hat ein neues Statut und Programm. Diskussionskultur werde in der heutigen DKP groß geschrieben, Meinungsvielfalt durch das Parteistatut garantiert, so der DKP-Chef auf Nachfrage. Kontrovers werde parteinitern über politische Sachverhalte gestritten, zum Besipeil über die Zusammenarbeit mit anderen linken Parteien und außerparlamentarischen Organisationen, über die Bewertung des Sozialismus in Europa wie über die Stalin-Verbrechen in der Sowjetunion.
Wenn überhaupt verfügen die Kommunisten auf kommunaler Ebene, z. B. in Teilen von Hessen und Nordrhein-Westfalen, über ein gewisses Maß an Stärke. In Reinheim konnte die DKP 2006 bei den hessischen Kommunalwahlen zirka 14 Prozent der Stimmen erringen; im nordrhein-westfälischen Bottrop hat sie drei Sitze im Stadtrat. Bei Landtags- oder Bundestagswahlen kommt sie aber kaum auf mehr als 0,1 Prozent.
Auch in den siebziger und achtziger Jahren war die DKP bei Wahlen – bis auf wenige Ausnahmen (bei den Kommunalwahlen 1981 in Niedersachsen beispielsweise erreichte die DKP in Oldenburg 7,8 Prozent) – erfolglos. Zwischen 1972 und 1983 kam sie auf Bundesebene nicht über 0,3 Prozent hinaus.
Am nächsten Montag:
Alexanderplatz am 4. November
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.