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Scheitern statt Nirwana

Zum Tode des großen Film- und Theaterregisseurs Werner Schroeter

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

In einem Satz aus »Der Seiltänzer« von Jean Genet erkannte er sich wieder: »Narziss tanzt? Aber es handelt sich um ganz andere Dinge als Koketterie, Egoismus oder Eigenliebe. Wie, wenn es der Tod selber wäre? Tanze also allein. Blass, fahl, ängstlich darauf bedacht, Deinem Bild zu gefallen: so wird es schließlich Dein Bild sein, das für Dich tanzt.«

Mit anderen Worten: Wage es, dich der verwandelnden Kraft der Kunst anzuvertrauen. Gehe, wie Hermann Hesse schreibt, in das von dir in deiner Gefängniszelle gemalte Bild mit Lokomotive hinein und fahre einfach mit, lasse deine Wärter ratlos zurück.

Genau das hat Werner Schroeter immer wieder getan. Er nahm die Magie der Kunst ganz ernst, lebte sie in aller Konsequenz und nahm dafür in Kauf, öfter missverstanden als verstanden worden zu sein. Kommt es denn auf den Beifall möglichst vieler an, oder sind die wenigen wichtiger, wenn es denn die richtigen sind?

All das schien hier nebensächlich, so groß war die Ausdrucksnot, die sich immer erst noch eine Sprache erfinden musste. In einem Interview Schroeters von Mitte der 70er Jahre lese ich: »Die Sehnsucht kann sich ja nur aktiv entwickeln, wenn man die Umgebung, in der man lebt, ablehnt. Wenn ich hoffnungslos zufrieden bin, in unserer Gesellschaft, hab ich keine Sehnsucht und entwickle sowieso keine Erotik, sondern höchstens eine Sexualität ...« Erotik kam für Schroeter immer zuerst aus der Musik, die Leben und Wahrheit auf eine elementare Weise vereinigt. Die menschliche Stimme hatte ihn erschüttert, das Phänomen der Callas gefangen genommen. So sehr, dass er nicht nur mehrere filmische Deutungsversuche unternahm und ein legendäres Interview mit der da schon lange verstummten Diva führte, sondern selber über achtzig Opern und Theaterstücke inszenierte. Alle sind sie zuletzt nur einem Maßstab verpflichtet: der Musikalität, dem Rhythmus aus Bild, Ton und Wort.

In seinem grandiosen Film »Abfallprodukte der Liebe« von 1996 hat er sehr junge und sehr alte Opernsänger dazu befragt, was es ist, das sie singen lässt. Einige der alten Sänger (Martha Mödl unter ihnen) standen noch mit fast neunzig Jahren auf der Bühne, andere hatten ihre Stimme inzwischen ganz verloren und hauchten nur, aber das nicht weniger ergreifend. Und so gelang Schroeter, der tatsächlich immer auch ein Narziss war – aber welche Kunst ist denn nicht auch narzisstisch? –, hier ein großes, weil immer zutiefst persönliches Panorama von Leben und Tod. Oft schwelgte er in seinem Filmen in opulenten Bildern, trieb das Pathos mitunter bis in Regionen des Kitsches – um es dann kühl der Betrachtung auszusetzen.

Das Seil für den Lebenstanz vor dem Spiegel also war für Schroeter früh gespannt und es hielt bis fast zuletzt die schwere Last der überbordenden Träume. Nun, wenige Tage nach seinem 65. Geburtstag, einen Monat nach seiner letzten Theaterpremiere, »Quai West« an der Volksbühne, ist es gerissen.

Werner Schroeter blieb Fremdling, Störenfried des bürgerlichen Kunstbeamtentums. Lange Zeit rieb er sich auf an der wie ein Alb lastenden Lust zur Provokation, war seit den späten sechziger Jahren neben Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Herzog zweifellos die schillernste Figur der bundesdeutschen Filmszene. Der im thüringischen Georgenthal Geborene trat mit aller exzessiven Wucht der rebellischen Achtundsechziger auf, teilte ihren Ekel vor bloßer Repräsentation, den Hass auf das Etablierte. Doch anders als die meisten seiner Generation war es nicht der politische Protest allein, der ihn trieb.

Bei ihm verwandelte sich der Exzess in Expression. Denn Schroeter bezog seine subversive Kraft zuallererst aus der Kunst selbst – und in sie ging jene auch wieder ein. So, gleichsam vor dem Spiegel seines Werkes sich verausgabend bis zuletzt, durchlief er den ihm aufgegebenen Kreis.

Die Liste seiner Filme, seiner Opern- und Theaterinszenierungen ist lang – und es erschreckt, wie unbekannt er dabei doch blieb. Wie konnte jemand auf der Höhe seines Schaffens vergessen werden! Am Abend seines Todes verzichtete sogar die »Tagesschau« darauf, diesen Tod auch nur zu vermelden. Schroeter, der das Fernsehen und die falsche Popularität mit der Verachtungsgeste des Dandys mied, gewann 1980 mit »Palermo oder Wolfsburg« auf der Berlinale den Goldenen Bären, wichtige Preise folgten. In diesem Jahr schien ihn allein noch die Schwulenszene zu feiern – zur Berlinale erhielt er den schwul-lesbischen Teddy Award. Wer ihn den Preis entgegennehmen sah, war erschüttert, welch Lebenswille den sterbenden Körper aufrecht hielt.

Die Bundesrepublik wurde ihm in den 70er Jahren schnell zu eng. Er ging fort nach Italien, nach Frankreich, nach Lateinamerika. Arbeitete überall mit der gleichen Besessenheit, wurde ein Weltkünstler, dem man im eigenen Land jedoch immer misstrauisch begegnete. 2008 gelang dem bereits schwer von Krebs gezeichneten Regisseur noch einmal ein großer Film: »Diese Nacht«, international produziert, nach einer Vorlage des Uruguayers Juan Carlos Onetti. Eine Stadt im Ausnahmezustand und die Frage, was von der Revolte übrigbleibt. Das Festsitzen in der eigenen Biografie, in den eigenen Hoffnungen, die sich als Illusionen erwiesen haben. Bleibt nichts davon? Doch, so Schroeter, »Rudimente der Utopie« bleiben. Sogar in der Verzweiflung liege noch eine Möglichkeit zur Schönheit, wenn auch nicht ohne Beimischungen des Schreckens. Ein beklemmendes Meisterwerk. Dieser Regisseur war ein bitterer Existenzialist und surrealer Nachtvogel in einem. Vor allem einer, der immer die Kunst mit dem Leben verbinden wollte und dabei von der Liebe träumte, als wäre sie eine seiner Operninszenierungen.

Im vergangenen Sommer inszenierte er in der Agora der Volksbühne das Doppelprojekt »Elektra« und »Antigone« – und da zeigte sich der sonst so barocke Bilderweltenerbauer als ein genau dem Klang der Worte nachlauschender Stückdeuter. Seine letzte Arbeit ,»Quai West«, ebenfalls an der Volksbühne: ein düsteres Requiem, das nicht auf Beifall zielte – und auch kaum welchen erhielt. Der Abend ging ins Leere. Schroeters letzte Inszenierung: ein Bildnis des Scheiterns.

Um so erstaunlicher, was er zu dieser Inszenierung sagte, seiner letzten, wie er wohl ahnte. Alles beruhe hier darauf, sich am falschen Ort zur falschen Zeit zu treffen – sich also niemals treffen zu können. Scheitern aber sei »immer noch besser als das Nirwana«.

Am Dienstag starb Werner Schroeter in einem Krankenhaus in Kassel.

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