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Straßburg rügt deutsches Strafrecht

Europäischer Gerichtshof erneuert Kritik an Gesetz zur Sicherungsverwahrung

Erneut hat Europa die Sicherungsverwahrung für Schwerverbrecher in Deutschland gerügt. Ob das den Klägern nützt, ist nach den Erfahrungen vom letzten Jahr fraglich.

Sicherungsverwahrung, die nicht bereits im Urteil, sondern erst am Ende der Haftzeit angeordnet wurde, verstößt gegen Grundrechte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) veröffentlichte gestern Urteile in vier Fällen, in denen die Bundesrepublik erneut für ihren Umgang mit Straftätern gerügt wird. Drei sind identisch mit dem 2009 entschiedenen zum Rückwirkungsverbot, bei einem Fall befasst sich das Gericht nun mit der Möglichkeit, Sicherungsverwahrung »nachträglich« anzuordnen. Bedeutung hat dieses Urteil nicht nur für die rund 20 Menschen hinter Gittern, bei denen Sicherungsverwahrung erst am Ende ihrer Haft angewiesen wurde, sondern auch für das umstrittene Therapieunterbringungsgesetz der Bundesregierung. Dessen Kritiker haben mit dem Urteil neue Munition bekommen.

Straßburg gab einem 76-jährigen Sexualstraftäter aus Bayern recht. Drei Tage vor seiner angesetzten Freilassung hatte die Strafvollstreckungskammer angeordnet, den Mann doch weiter im Gefängnis zu behalten. Diese Möglichkeit war kurz zuvor in Bayern und 2004 als Bundesgesetz beschlossen worden. Ein Urteil nachträglich zu ändern, ist rechtswidrig, bestätigte der EGMR nun eine Position, die auch in Deutschland unter Juristen verbreitet ist. Es muss ein direkter Zusammenhang zwischen Verurteilung und Freiheitsentzug bestehen.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde gerade weitgehend abgeschafft. Allerdings nur für die Zukunft. Für die zwei Dutzend Menschen, die auf Grundlage des rechtswidrigen Gesetzes weiter hinter Gittern sitzen, haben es nun die deutschen Gerichte in der Hand, ihre Schlussfolgerungen aus dem EGMR-Urteil zu ziehen.

In den drei anderen Fällen bekräftigte der Gerichtshof seine Kritik vom Dezember 2009 an der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung. Etwa 80 Menschen kamen auch nach der zur Tatzeit geltenden Höchstdauer von zehn Jahren nicht frei. Das Gericht sieht darin einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit und den Grundsatz »Keine Strafe ohne Gesetz«.

Das letztjährige Urteil hatte eine heftige Diskussion ausgelöst. Einige »Altfälle« sind inzwischen entlassen und werden rund um die Uhr bewacht, so auch einer der Kläger. Viele sind aber weiterhin im Gefängnis. Zum Teil deshalb, weil sich Oberlandesgerichte wie im Fall der anderen beiden Kläger weigern, sich an der Menschenrechtskonvention zu orientieren. Der Kommentar der Straßburger Richter dazu ist so dezent wie deutlich: Sie »mahnen die deutschen Behörden, ihre Verantwortung wahrzunehmen, das Recht der beiden Beschwerdeführer auf Freiheit (...) zügig umzusetzen«.

Die Bundesregierung hat allerdings andere Pläne. Sie will die Altfälle in »Therapieunterbringungen« einweisen, wenn sie als »psychisch gestört« eingestuft werden. Das gerade erst beschlossene Gesetz spielt in den Urteilen zwar keine Rolle, allerdings sehen sich Kritiker durch einen Passus zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bestätigt. Der Sexualstraftäter aus Bayern war nämlich erst in einem gewöhnlichen Gefängnis untergebracht worden, später aber in der Psychiatrie. Sie seien nicht überzeugt, so die Richter, dass die Gerichte eine psychische Krankheit festgestellt hatten. »Das verstärkt die Bedenken gegen das neue Unterbringungsgesetz«, meinte Stefan König vom Deutschen Anwaltverein gegenüber ND. Denn damit würden Straftäter einfach zu psychisch Kranken »umetikettiert«, um sie nicht freilassen zu müssen.

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