Leben wie in Glennkill
Biobetriebe in Brandenburg: Vorsprung durch ökologischen Landbau und nachhaltige Weidehaltung
Sonja Moor hat vieles von ihren Schafen gelernt. Sie lebt mit ihren Tieren und beobachtet, wie sie sich in der Herde verhalten. Schafe seien klug und hätten einen siebten Sinn, erzählt sie. »Die Tiere können unsere Körpersprache interpretieren. Bevor du weißt, wie du drauf bist, wissen sie es. Für sie ist das überlebenswichtig.« Die 52-Jährige glaubt daran, dass man seine eigenen Stimmungen auf die der Tiere übertragen könne.
Mit einem Dutzend Schafen fing Sonja Moor vor sechs Jahren im brandenburgischen Hirschfelde mit der Landwirtschaft an. Sie hat gelernt, die Tiere zu treiben, ihre Klauen zu pflegen; sie hat sie geschoren und konnte recht bald auch ein krankes Tier pflegen. Sonja Moor fühlte sich wie ein Alphatier unter ihnen in der Herde, die heute aus 50 Schafen besteht. Hinzu kamen vor drei Jahren die ersten Galloway-Rinder mit zotteligem Fell und Wasserbüffel mit geschwungenen Hörnern. »Das sind robuste Rassen, keine hochgezüchteten Leistungsrinder«, erklärt die Landwirtin. Mittlerweile ist die Herde auf 92 Tiere angewachsen. Sie seien ideal für die Landschaftspflege in Naturschutzgebieten. Rinder und Büffel aus ihren Herden grasen auf der Berliner Pfaueninsel und in der Gemeide Groß Kreutz.
Alle ihre Tiere sind das ganze Jahr über draußen auf der Weide. »Sie sind Frischluftfanatiker«, meint Sonja Moor. Zu fressen gibt sie ihnen Heu – sonst nichts. Sie sträubt sich dagegen, irgendetwas anderes hinzuzufüttern. Denn damit habe die Misere in der Landwirtschaft angefangen: Erst als der Kunstdünger eingeführt wurde und Überschüsse produziert werden konnten, hätten die Wiederkäuer Getreide und Kraftfutter zu fressen bekommen, erklärt sie. »Man hat sie zum Schwein gemacht, zum Allesfresser.« Wiederkäuer bräuchten das aber gar nicht, davon ist Sonja Moor überzeugt – weil sie einen Pansen haben, der gar kein Getreide verarbeiten könne. Die Landwirtin verzichtet auf all dies, auch wenn ein ausgewachsener Wasserbüffel im Winter 18 Kilogramm Heu braucht. Sie will ihre Tiere wesensgerecht halten.
Beitrag zum Klimaschutz
In einer nachhaltigen Weidehaltung, wie sie Sonja Moor betreibt, sieht die Tierärztin Anita Idel auch einen Beitrag für den Klimaschutz. Sie hat jüngst das viel beachtete Buch »Die Kuh ist kein Klimakiller« veröffentlicht. Für das Futter von Kühen und Schafen müsse kein wertvolles Ackerland herhalten. Sie könnten ebenso auf kargen Böden grasen, die für den Anbau von Getreide weniger geeignet sind. Dort wiederum leisten sie einen wertvollen Dienst an der Natur: »Die grasenden und ausscheidenden Wiederkäuer reichern die Böden mit Humus an, der zu mehr als 50 Prozent aus Kohlenstoff besteht. Er bleibt im Boden gebunden und geht keine Verbindung mit Sauerstoff zu Kohlendioxid ein«, erklärt Idel.
Sonja Moor ließ ihre ersten Schafe hinter ihrem Hof auf einer angrenzenden Wiese grasen, die seit Jahrzehnten nicht mehr bewirtschaftet wurde. »Die Tiere haben die Fläche wieder urbar gemacht. Ihre Köttel sind Goldstaub«, erzählt sie bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarette in der Küche mit einem leichten Wiener Akzent. Vor acht Jahren entdeckte sie das brachliegende Anwesen, ein grau verputztes Wohnhaus mit zwei Feldsteinscheunen. Zusammen mit ihrem Mann, dem Fernsehmoderator Dieter Moor, kaufte sie den Bauernhof und begann, mit den Tieren zu arbeiten. Nach und nach erwarben sie weiteres Land. Mittlerweile grenzen an den Hof 30 Hektar an; insgesamt besitzen sie 80 Hektar Weidefläche.
Recycelte Öle und Altfette sind tabu
Nach einem ganz anderen Modell als Sonja Moor wirtschaftet Sascha Philipp auf dem Landgut Pretschen im Spreewald. Gleichwohl er sich mit seinem Betrieb ebenso wie Sonja Moor dem Demeter-Verband angeschlossen hat und sich einer ökologischen Landwirtschaft nach anthroposophischer Grundlage verpflichtet. Neben dem Gemüsebau betreibt Philipp eine Rinderzucht mit 600 Tieren. Die 275 Milchkühe unter ihnen stehen ausschließlich im Stall, während er das Jungvieh in den Sommermonaten auf die Weide lässt.
Selten wird eine Kuh im Stall zehn Jahre alt. »Ihre Fitness geht durchs Melken verloren«, erklärt der Landwirt. Trotz des vielfältigen Futters, das sowohl aus Heu besteht, aber auch aus Silage – also gegorenem Gras, Getreide oder Mais – und Kraftfutter. Das sieht aus wie Müsli und enthält neben Getreide und Lupinen auch Eiweiß und Rapsrückstände. Recycelte Öle, die den Dioxinskandal verursacht haben, sind in der Biolandwirtschaft tabu.
Kraftfutter steigere den Milchertrag der Kühe und lasse die Jungtiere schnell heranwachsen, erklärt Philipp. Nach acht Monaten erreicht ein männliches Rind Schlachtreife. Das Landgut Pretschen arbeitet effizient, damit der Hunger nach Bioprodukten gestillt werden kann. Die Branche steigerte in Berlin und Brandenburg ihren Umsatz im vergangenen Jahr erneut um satte 12 Prozent.
Zu diesem Wachstum konnte Sonja Moor nur wenig beitragen. Sie beginnt gerade erst mit der Vermarktung und verwertet ausschließlich männliche Tiere, die sie nicht zur Zucht benötigt. 2010 waren es vier Bullen, die sie mit einer Sondergenehmigung auf der Weide erschoss, um ihnen den qualvollen Transport ins Schlachthaus zu ersparen. Anschließend brachte sie die Schlachtkörper zum Metzger zur Zerlegung. Im überschaubaren Rahmen möchte sie ohne Großhändler ihren Kundenstamm erweitern. Büffelfleisch ist eine Delikatesse; neben einigen Restaurants beliefert sie bereits die Küche des Bundespräsidenten in Bellevue.
Doch die Prominenz alleine reicht nicht, um von der Tierzucht zu leben. »Man muss rund 80 Bullen im Jahr verwerten, dann läuft das Geschäft«, meint Sonja Moor und bleibt geduldig. Sie weiß, dass der Ertrag bei einer nachhaltigen Haltung erst nach einem längeren Zeitraum kommt. Bis 2014 solle sich ihre Landwirtschaft selber tragen. »Du darfst nicht gierig sein«, sagt sie sich immer wieder. Allerdings weiß sie auch, dass sie sich in einer privilegierten Lage befindet: Ihr Mann Dieter Moor moderiert das Kulturmagazin »Titel, Thesen, Temperamente« in der ARD und sorgt damit für ihre finanzielle Unabhängigkeit. Nur sie ist aus der Fernsehbranche ausgestiegen.
Sonja Moor konnte es sich auch leisten, Fehler zu machen. Heute schüttelt sie den Kopf darüber, wie naiv sie mit ihren ersten Schafen umgegangen sei. »Wir hatten keine Erfahrung mit Nestflüchtern und dachten, sie kommen auf die Welt und wir bringen ihnen alles bei wie bei Hundewelpen. Das war für uns ein 24-Stunden-Job.« Inzwischen lacht sie über ihre Anfänge.
Wertschätzung für jedes einzelne Tier
Natürlich hat sie den Schafkrimi »Glennkill« gelesen, in dem die Autorin Leonie Swann Schafe personifiziert. »Da sah ich die Tiere noch einmal mit anderen Augen«, erzählt sie und beteuert, dass sie es keinen Moment bereut hat, ihren Medienjob aufgegeben zu haben. Täglich fährt Sonja Moor zu ihren Herden raus, und noch immer gibt sie jedem ihrer Tiere einen eigenen Namen.
Die massigen Wasserbüffel und Galloways wiegen rund 550 Kilogramm, sind aber handzahm und lassen sich von ihr auf der Weide streicheln und striegeln. Dabei schweift ihr Blick über die blassgrüne Feldmark. Brandenburg eigne sich nicht sonderlich für den Ackerbau, meint sie. »Der Wind trägt den Humus ab, und die Trockenheit im Frühjahr macht in manchen Jahren ganze Ernten kaputt.« Aber für die Viehzucht sei der Boden gut genug.
Für die Landwirte müsse es sich wieder lohnen, ihre Kühe grasen zu lassen, findet Anita Idel. Sie plädiert dafür, dass die Schäden, die durch rücksichtslose industrialisierte Landwirtschaft entstehen, auf die Preise aufgeschlagen werden. »Denn dann wären die nachhaltig produzierten Lebensmittel deutlich günstiger als die konventionell produzierten.«
Sascha Philipps Landgut im Spreewald profitierte von dem letzten Eklat in der Lebensmittelbranche, dem BSE-Skandal vor zehn Jahren. Bio-Lebensmittel haben sich seitdem in den Supermärkten etabliert. Auch Philipps Hof wuchs; heute beschäftigt er 25 Leute. Doch für ihn ist das Streben nach Größe nicht das Nonplusultra, weil darunter zwangsläufig der Umgang mit den Tieren leide. Auf seinem Hof mit 600 Rindern könne er die Tiere nicht wie Sonja Moor behandeln. »Aber von den kleinen Betrieben können wir lernen, den Tieren bei unserer täglichen Arbeit mehr Achtung entgegenzubringen«, findet er. »Die darf nicht verlorengehen.«
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