Vision einer humanistischen Kultur

Karl Heinz Schulmeister über Begegnungen im Kulturbund der DDR

  • Herbert Graf
  • Lesedauer: 4 Min.
Warteschlange vor der Kasse des Deutschen Theaters in Berlin, 1946
Warteschlange vor der Kasse des Deutschen Theaters in Berlin, 1946

Zeitzeugen, die aus eigenem Erleben und aus dem Wissen um historische Bedingungen und Zusammenhänge authentisch über die DDR berichten können, werden rar. Gut, dass Karl Heinz Schulmeister, der über vier Jahrzehnte dem Kulturbund diente, davon mehr als dreißig Jahre als deren erster Sekretär, nun seine Erinnerungen an eine achtbare Institution zur Pflege humanistischer Traditionen niedergeschrieben hat. Die nun vorliegende Schrift vermittelt einen authentischen Blick in das Innenleben, in das geistige Klima der Verantwortlichen des mehr als 200 000 Mitglieder umfassenden Kulturbundes der DDR.

Stimulus für diese neuste Veröffentlichung des nunmehr 85-jährigen Autors war das Bedürfnis, über seine Vorbilder und Lehrmeister zu berichten. Zu ihnen gehörten Alexander Abusch, Manfred von Ardenne, Johannes R. Becher, Willi Bredel, Theodor Brugsch, Max Burghardt, Franz Fühmann, Paul Wandel, Ehm Welk, Erich Wendt Arnold Zweig und viele andere Persönlichkeiten des Geisteslebens. Schulmeister berichtet über die überzeugte Anteilnahme der Kulturbundmitglieder am Aufbau einer nichtkapitalistischen Gesellschaft, aber auch ihre Probleme mit Entscheidungen der politischen Führung des Landes, belegt durch Dokumente. Der Autor beklagt, dass kritische Interventionen der Kulturschaffenden und Wissenschaftler viel zu oft von den SED-Oberen nicht aufgegriffen wurden.

Die umfangreichsten Kapitel des Buches sind erwartungsgemäß Johannes R. Becher und Max Burghardt, den beiden Präsidenten des Kulturbundes, gewidmet. Mit Feingefühl schildert Schulmeister die letzten Lebensjahre Bechers, den er als einen mutig Vorangehenden kennen gelernt hatte und nun als Leidenden erlebte. Burghardt dürfte jüngeren Lesern heute wohl weniger bekannt sein. Er war 1935 wegen illegaler antifaschistischer Tätigkeit von den Nazis verhaftet und zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt worden. 1946 berief ihn die britische Militärregierung zum Intendanten des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Lange konnte er dort nicht wirken. Als die CDU im Westen »mehr Macht gewann, nahm die Tendenz zum Antikommunismus zu. Das Wort Antifaschismus wollte man bald nicht mehr hören.« Ebenso wie Becher folgte Burghardt – der dem Kulturbund von 1958 bis 1977 vorstand – der Vision einer neuen demokratischen und humanistischen Kultur. »Unter der Präsidentschaft von Max Burkhardt orientierte sich der Kulturbund auf die Praxis des kulturellen Aufbaus. In den Städten und Dörfern sollte die Organisation sich mehr um das Kulturleben kümmern und die heranwachsende junge Intelligenz stärker einbeziehen. Um hier voranzukommen mussten neue Wege beschritten werden.«

Der Kulturbund gehörte zu den gesellschaftlichen Organisationen, die in der Volkskammer der DDR durch eine eigene Fraktion vertreten war. Ihr gehörten u. a. solche Persönlichkeiten wie Zweig und Ardenne, der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer, der Mediziner Theodor Brugsch, der Chemiker Erich Correns und der Genetiker Hans Stubbe an. Der Autor beschreibt, mit welchem Geschick und Fingerspitzengefühl es dem langjährigen Fraktionsvorsitzenden Erich Wendt gelang, dieses geistige Potential zusammenzuführen und in der obersten Volksvertretung der DDR wirksam einzubringen. Schulmeister, der der Fraktion nach Wendt vorstand, zitiert in diesem Zusammenhang aus einem Brief des Musikprofessors und Rektors der Hanns-Eisler-Musikhochschule, Eberhard Rebling, der ebenfalls viele Jahre dieser Fraktion angehört hatte. »Unsere Fraktion war während all der Jahre zu einem Kollektiv gemeinsamer Gesinnung und konstruktiven Handelns zusammengewachsen, und ich fühlte mich in dieser Gemeinschaft wohl … Ich bedaure sehr, dass in der neu zu wählenden Volkskammer eine solche Fraktion von Wissenschaftlern und Künstlern nicht mehr tätig sein kann«, schrieb Rebling zehn Tage vor der Volkskammerwahl vom 18. März 1990.

Ehrenhaft und respektabel ist, wie sich Schulmeister zu seiner eigenen Verantwortung bekennt. Der Autor überschätzt aber die Rolle des Kulturbundes und dessen Volkskammerfraktion im gesellschaftlichen System der DDR und damit das Ausmaß des eigenen »Sündenfalls«, wenn er schreibt: »Insofern sind die gewählten Abgeordneten und auch ich als Chef der Fraktion mit dafür verantwortlich, dass die DDR scheiterte bzw. so würdelos unterging.« Der Untergang der DDR war zweifellos ein Bestandteil der sich in internationalen Dimensionen vollziehenden Veränderungen der politischen Strukturen in Osteuropa. Über den Anteil innerer und äußerer Faktoren in diesem Prozess lässt sich weiter trefflich streiten. Eins jedoch erscheint dem Rezensenten gewiss: Im Räderwerk der Geschichte, das zum Niedergang des Sozialismus in Europa führte, verfügte keine Volkskammerfraktion über einen Korrektur- oder gar Sperrmechanismus. Zu Recht hat Schulmeister seiner Schrift einen Gedanken des französischen Staatspräsidenten François Mitterand vorangestellt: Es ist ungerecht, Leute nach ihren Fehlern zu beurteilen, die sich aus dem Geist der Epoche erklären.

Karl Heinz Schulmeister: Begegnungen im Kulturbund. Kai Homilius Verlag, Berlin. 180 S., geb.,€ 19,90 €.

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