Zwischenruf aus dem Mittelalter
Christen kritisieren Angela Merkels Freude über den Tod von Bin Laden
In der Bundesregierung ist gerade Beschwichtigung angesagt. Man müsse Angela Merkels Worte im Zusammenhang sehen, wurden gestern die berühmten Regierungskreise zitiert. Und Außenminister Guido Westerwelle stand seiner Chefin bei, indem er sich als ihr Interpret versuchte: Ein Gefühl der Erleichterung darüber sei verständlich, »dass dieser Terrorist, der viele tausend Opfer auf dem Gewissen hat, seinen Schrecken nicht weiter verbreiten kann«. Aber gesagt ist er doch, dieser eine Satz, der jetzt Gegenstand einer Gemütslage zwischen Befremden und Entrüstung ist: »Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.«
Das widerspricht so offen dem Gebot »Du sollst nicht töten«, dass selbst Leute Bedenken haben, die sonst Kriegseinsätze der Bundeswehr durchwinken. Siegfried Kauder etwa, CDU-Abgeordneter und Vorsitzender des Rechtsausschusses, sagt: »Das sind Rachegedanken, die man nicht hegen sollte. Das ist Mittelalter.« Und Ingrid Fischbach, Vizevorsitzende der Unionsfraktion und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, findet es »aus christlicher Sicht nicht angemessen, Freude über die gezielte Tötung eines Menschen und dessen Tod zu äußern«.
Auch die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), lehnt Freude über den Tod eines Menschen ab. »Als Christin kann ich nur sagen, dass es kein Grund zum Feiern ist, wenn jemand gezielt getötet wird.« Ihr Glaubensbruder Nikolaus Schneider, der EKD-Ratsvorsitzende, versteht zwar die Erleichterung über die Tötung einer Symbolfigur des Terrorismus; den Tod eines Menschen könne man aber nicht mit dem Gefühl der Freude verbinden. Die Würde eines Menschen sei immer zu achten, meinte der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck. Und auch Martin Lohmann vom Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU sagte: »Das Lebensrecht ist unteilbar.«
Inzwischen ließ Merkel ihren Regierungssprecher Steffen Seibert erklären, sie habe Verständnis für die Kritik am »Zusammenwirken der Worte Tod und Freude in einem Satz«. Dennoch: Im Zusammenhang mit dem Gedanken der Erleichterung würde sie ihr Gefühl »auch wieder so ausdrücken«. Also dann bis zum nächsten Mal.
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