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Die Frau eines Attentäters
Zwei neue Biografien erinnern an Freya von Moltke und ihren Kampf für ein Vermächtnis
Lange Zeit fanden die Frauen in der Geschichtsschreibung über die bürgerliche deutsche Widerstandsbewegung gegen das faschistische Regime nur geringe Aufmerksamkeit. Im Juli 1984, anlässlich des 50. Jahrestages des Hitler-Attentates, brachte das DDR-Fernsehen den Dokumentarfilm »Wir haben nichts zu bereuen – Augenzeugen über den 20. Juli 1944 und den Kreisauer Kreis«, an dem auch Freya von Moltke, Witwe des am 23. Januar 1945 hingerichteten Helmuth James von Moltke, mitwirkte. In Westberlin entstand im gleichen Jahr der Film »Die Frauen des 20. Juli«. Frauke Gey-
ken schreibt: »Diesen Film von Irmgard von zur Mühlen wollte allerdings im Jahr seiner Entstehung keine westdeutsche Sendeanstalt zeigen. Er wurde erstmals im DDR-Fernsehen ausgestrahlt, wo er mit großem Erfolg lief. Daraufhin wurde er auch im Westen angenommen und erhielt später die Goldene Kamera.«
1992 veröffentlichte Dorothee von Meding unter dem Titel »Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli« einen Band mit Interviews von elf Frauen, die am Umsturzversuch 1944 beteiligt waren, darunter auch Freya von Moltke. Der brgerliche Historiker Klemens von Klemperer gab in seinem Vorwort dazu bemerkenswerte Erläuterungen: »Ohne Zweifel war keine der Frauen des 20. Juli so aktiv wie die in der kommunistischen und sozialistischen Untergrundarbeit tätigen Frauen ... Die Kommunisten und die kleineren, aber außerordentlich aktiven radikalsozialistischen Gruppen waren von Anfang an auf den Umsturz der kapitalistischen Ordnung eingestellt ... Die Leute vom 20. Juli indessen waren keine Revolutionäre. Der Großteil von ihnen stammte aus bürgerlichen, großbürgerlichen oder aristokratischen Häusern, und ihre Opposition gegen den Nationalsozialismus leitete sich nicht aus einer festen politischen Frontstellung ab, sondern bildete sich meist erst allmählich angesichts der sich häufenden Rechtsverletzungen und Greueltaten des Regimes ... Auf Widerstand waren sie deshalb keineswegs vorbereitet, weder politisch noch hinsichtlich ihres Temperaments; aber als eine Opposition im Laufe der Zeit und angesichts der Ereignisse nahezu unvermeidlich wurde, schlugen sie diesen Weg ohne Zaudern ein.«
Nun liegen zwei Biografien zu Freya von Moltkes vor, die diese Einschätzung bestätigen. Sylke Tempel und Frauke Geyken zeichnen das Leben der tapferen Frau im Wesentlichen übereinstimmend nach, illustriert durch interessante, der Öffentlichkeit bisher kaum bekannte Fotografien. Da werden die Kindheit und Jugend der am 29. März 1911 geborenen Tochter des Kölner Bankiers Carl Theodor Deichmann beleuchtet, über Schulbildung und Jurastudium berichtet. Gebührenden Raum nehmen die erste Begegnung mit Helmuth James Graf von Moltke und die Hochzeit 1931 ein. Geschildert werden Leben und Arbeit auf dem schlesischen Gut Kreisau sowie die schließlich Entstehung des sogenannten Kreisauer Kreises. Vorgestellt werden die engen Mitstreiter im Kampf gegen die Hitlerdiktatur: Peter Yorck von Wartenburg, Adolf und Rosemarie Reichwein sowie Harald und Dorothee Poelchau. Einfühlsam berichten beide Autorinnen über Moltkes Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung kurz vor Kriegsende in Berlin-Plötzensee.
Weniger bekannt dürften vielen Lesern die Zeit sein, die Freya v. Moltke in Südafrika verbrachte. Sie fand dort Zuflucht vor einem ihr fremd gewordenen Land, gleichwohl sie das Apartheid-Regime strikt ablehnte. Sylke Tempel und Frauke Geyken informieren über ihr politisches und soziales Engagement nach ihrer Rückkehr nach Deutschland und ihr Leben mit Eugen Rosenstock-Huessy, mit dem sie 1960 in die USA übersiedelte, wo sie am 1. Januar 2010 verstarb. Beide Autorinnen würdigen explizit den Einsatz ihrer Protagonistin für die deutsch-polnische Aussöhnung sowie für die Wahrung des Vermächtnisses des deutschen Widerstands.
Freya v. Moltke nahm die wissenschaftlichen Arbeiten der Historiker Hans Rothfels (»Die deutsche Opposition gegen Hitler«, englisch 1948, deutsch 1949) und Gerhard Ritter (»Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung«, 1954, danach weitere Auflagen, auch in anderen Sprachen), aufmerksam zur Kenntnis. Aber sie fand zu jenen keinen rechten Zugang. Frauke Geyken erklärt: »Ritter und Rothfels konnten in ihren Augen nichts ›erklären‹. Sie hatten die politische Geschichte im Blick, Freya dagegen ging es um die ›gelebten Leben dieser Menschen‹ Historiker konnten also ihrer Meinung nach den ›Auftrag‹ des Widerstandes nicht erfüllen. Freya fühlte sich gefordert. Herausgefordert? Sie erkannte, daß noch nicht getan war, was ihr zu tun aufgegeben war, nämlich Zeugnis abzulegen vom Widerstand.«
Freya v. Moltke wurde also nun selbst »Botschafterin des Widerstandes«, wie Clarita von Trott, Witwe des hingerichteten Adam von Trott zu Solz und eine der letzten Überlebenden des Kreisauer Kreises, bemerkte. Und wie ich aus persönlichen Kontakten zu Freya v. Moltke weiß, interessierte sie sich auch sehr stark für die Pflege des Vermächtnisses der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 in der DDR. Sie gewährte dafür gern Rat und Unterstützung.
Während sich Silke Tempel der narrativen Methode der Geschichtsdarstellung bedient, sehr eindrucksvoll schildert, auf Fußnoten aber verzichtet, bleibt Frauke Geyken bei der herkömmlichen Darstellungsweise, einschließlich umfangreicher Zeit- und Stammtafeln sowie über 600 Anmerkungen.
Ein Vorgang, der in beiden Biografien fehlt, sei hier nachgetragen: Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Gedenkstätte »Deutscher Widerstand« in Berlin stieß die Aufnahme der Kommunisten, des Nationalkomitees »Freies Deutschland« (NKFD) und des Bundes Deutscher Offiziere (BDO) in die ständige Ausstellung auf vereinzelten, aber heftigen Widerspruch. Franz Ludwig Graf von Stauffenberg, ein Sohn des Hitler-Attentäters, ließ am 27. Juni 1994 durch sein Sekretariat verkünden, NKFD und BDO seien Teile der sowjetischen Kriegführung, nicht aber des deutschen Widerstandes gewesen: »Pieck und Ulbricht gehören für immer zu den übelsten Schuften der deutschen Geschichte, derer man sich mit Grauen und Abscheu und also durchaus nicht
›wertfrei‹ erinnert.«
Daraufhin wandte sich im Juli 1994 eine Gruppe ehemaliger Widerstandskämpfer und Hinterbliebener an die Öffentlichkeit: »Wir Überlebende des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Verfolgte des Naziregimes aus Ghettos und Konzentrationslagern, Emigranten und Deutsche, die in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition und bei den Partisanen kämpften, sowie Angehörige von Frauen und Männern, die vom NS-Regime eingekerkert, gefoltert und ermordet wurden, wenden uns gegen Bestrebungen, bestimmte Gruppen des deutschen Widerstandes und der Emigration aus der ständigen Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin auszugrenzen. Dabei wird übersehen, dass die Ausstellung den gesamten Widerstand darstellt, der aus unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Quellen kam ... Wir müssen uns auch in Zukunft für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und für die Erforschung des deutschen Widerstandes in seiner Unteilbarkeit, seiner gesamten Breite, Vielfalt und in all seiner Widersprüchlichkeit einsetzen, damit er weiterhin dokumentiert und einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.«
Zu den 75 Unterzeichnern dieser Bekundung gehörten an erster Stelle Freya von Moltke, ferner Rosemarie Reichwein, Franz von Hammerstein, Detlef Graf von Schwerin, Eberhard Bethge, Heinrich Scheel, Hans Coppi, Verena Onken-Trott, Inge Aicher-Scholl sowie Stefan Doernberg und Stefan Heym.
Sylke Tempel: Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert. Rowohlt,. Berlin 2011. 221 s., geb., 19,95 €.
Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben. C. H. Beck. München 2011. 287 S., geb., 19,95 €€.
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