Enttäuschte Anarchistin

Emma Goldman – Ein Leben in Bewegung

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Emma G.
Emma G.

Emma Goldman ist ohne Zweifel einer der gefährlichsten Anarchisten in diesem Land.« Dieses Urteil stammt von J. Edgar Hoover, dem späteren FBI-Direktor, der 1919 (aus diesem Jahr stammt das Zitat) Leiter der Sektion zur Registrierung feindlicher Ausländer beim US-Justizministerium war. Der Legende nach soll Hoover, der in der Folge des Ersten Weltkrieges die Ausweisung vieler kritischer Emigranten aus den USA organisierte, am 21. Dezember 1919 persönlich am New Yorker Hafen erschienen sein, um sich von der erzwungenen Abfahrt der Emma Goldman und ihres Freundes und zeitweisen Lebensgefährten Alexander Berkman in die noch junge Sowjetunion zu überzeugen.

Gemessen an ihrem Einfluss auf die anarchistische Bewegung lag Hoover mit Sicherheit nicht falsch. Aus einer jüdischen Familie stammend, war Emma Goldman im Alter von 17 Jahren 1885 aus dem pogromgeschwängerten Russland geflüchtet. Politisiert wurde sie in den USA durch die Kampagnen für die »Haymarket Seven« – die sieben in Folge der staatlichen Massaker gegen streikende Arbeiter und der von einem agent provocateur in die Menge geworfenen Bombe zum Tode verurteilten sozialrevolutionären Arbeiterführer um Albert Spies und Albert Parsons. Sie wird alsbald zu einer der wichtigsten Agitatorinnen der vor allem von deutschen und russischen Emigranten getragenen anarchistischen Bewegung in den USA; später ist sie Mitherausgeberin der Zeitschrift »Mother Earth«, die neben den Berichten aus der Arbeiterbewegung kulturrevolutionäre Beiträge, darunter zur Emanzipation der Frau, veröffentlicht und zum Vorbild vieler späterer anarchistischer Magazine wurde.

Nannte Emma Goldman anfangs die Sowjetunion voller Begeisterung ein »Symbol der Hoffnungen der Menschheit«, wird sie jedoch schließlich zu einer der schärfsten Kritiker des ihrer Ansicht nach dort waltenden »despotischen Regimes«. Nach der blutigen Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstandes wirft die »rote Emma« den Bolschewiki vor, den »Terrorismus zum Prinzip zu erheben, ihn zu institutionalisieren, ihm den obersten Rang im sozialen Kampf zuzuweisen«. Desillusioniert verlässt sie das Land wieder, um fortan in Europa als weitgehend isolierte Anklägerin der auch unter Anarchisten noch populären Sowjetmacht aufzutreten. Die beiden Bände ihrer Erlebnisberichte aus »Russland«, wie sie das Land nun abschätzig nennt, finden kaum Absatz.

Bis heute populär ist hingegen ihre 1931 veröffentlichte Autobiografie, die posthum – Emma Goldman verstarb 1940 im kanadischen Exil – im Zuge 68er-Bewegungen insbesondere in feministischen Kreisen für Furore sorgte. Eine dreibändige deutsche Übersetzung erschien erstmals 1978. Die Edition Nautilus hat das voluminöse Werk erneut verlegt. Trotz der vielen Längen und analytischen Defizite der kaum als Theoretikerin zu bezeichnenden Anarchistin stellt der liebevoll herausgegebene Band eine teilweise ausgesprochen radikale US-Arbeiterbewegung vor. Der Leser erfährt neben vielen Details aus dem anarchistischen Milieu auch einiges über die Industrial Workers of the World und deren brutale Verfolgung. Auch Emma Goldman fand sich mehrere Male in den Gefängnissen des »Landes der Freien« wieder.

Dem Verlag ist zu danken für diese interessante Ergänzung einer in Deutschland relativ wenig bekannten großen Geschichte.

Emma Goldman: Gelebtes Leben. Autobiografie. Mit einem Vorwort von Ilija Trojanow. Edition Nautilus, Hamburg. 928 S., geb., 34.90 €.

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