Das Leben des Anderen
Im Kino: Wyssozki
Der Titel dieses Films legt einen Irrtum nahe. Wer nämlich in der Erwartung ins Kino geht, hier etwas über das Leben und die Musik des sowjetischen Liedermachers, Poeten und Schauspieler Wladimir Wyssozki (1938-1980) zu erfahren, der wird gnadenlos enttäuscht. Statt des biografischen Spielfilms, der angekündigt ist, sehen wir eine opulent inszenierte, melodramatische Spionagestory, die sich um ganze fünf Tage aus dem Leben jenes Mannes rankt, dessen verrauchte Bassstimme in der einstigen UdSSR bis heute Legende ist.
Wyssozki hat seine Platten seinerzeit beim staatlichen Label »Melodija« veröffentlicht. Aber jene Lieder, in denen er von menschlichen Abgründen sang, die in der offiziellen sowjetischen Kultur nicht vorkommen sollten (Drogen, Prostitution, Antisemitismus), verbreiteten sich in Form wieder und wieder kopierter Mitschnitte seiner oft illegalen Konzerte. Wyssozkis Herz blieb am 25. Juli 1980 stehen. Der Ausnahmekünstler, ein Kettenraucher, Alkohol- und Morphiumsüchtiger, wurde 42 Jahre alt. Auf den Tag genau ein Jahr zuvor war Wyssozki schon einmal acht Minuten lang klinisch tot (was zentral für die Filmhandlung ist), kehrte dann aber wie durch ein Wunder noch einmal ins Leben zurück. Die unglaublichste, mythischste Szene beruht auf verbürgten Fakten.
Wer der Filmdarsteller ist, der dem echten Wyssozki so täuschend ähnlich sieht, war trotz redlicher Recherche-Mühen nicht in Erfahrung zu bringen. Auf den Plakaten gibt es keinen Schauspielernamen, der sich dem Titelhelden zuordnen ließe. Im Presseheft steht ebenfalls keiner. Der deutsche Verleih meint, das Inkognito sei ein beabsichtigter Coup der Produzenten. Die russische Film-Homepage schließlich behauptet gar, Wladimir Wyssozki spiele sich selbst - was schlechterdings nicht stimmen kann.
Erst nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde Film und einer Menge wuchtiger Musik sieht man diesen Wyssozki, der vorher vor allem Mercedes fuhr und Marlboro rauchte, zum ersten Mal mit seiner Gitarre auf einer Bühne stehen, um ein paar dieser rabiat-sensiblen, das Herz angreifenden Takte zu singen. Deutsch untertitelt sind die russischen Verse in der Synchronfassung nicht. Wozu auch? Der nächste Schnitt lässt nicht lang auf sich warten. Spätestens jetzt ist klar: Es geht hier nicht um eine filmische Würdigung von Wyssozkis Werk. Zumindest nicht im naheliegenden Sinne.
»Wyssozki - Danke, für mein Leben« (Regie: Pjotr Buslow) startete in Russland und Deutschland zugleich. Es könnte sein, dass er dort so begeistert aufgenommen wird, wie er hier für Verärgerung sorgt. Warum der Widerspruch? Weil ein Publikum, das Wyssozki als Teil seines kulturellen Erbes - oder eben: als Mythos - sehr genau kennt, sich womöglich besser darauf einlassen kann, was dieser Film eigentlich will. Er will nichts, oder nicht viel über Wyssozkis Biografie vermitteln. Es geht ihm um die effektvolle Illustration einer Haltung, die den Versen wie dem Charakter Wyssozkis eingeschrieben ist. Das Thema des Films ist die unverbrüchliche, tragische Autonomie eines Künstlers, der, selbst wenn er von mächtigen Staatsorganen erpresst wird, nicht anders kann, als so zu sein, wie er ist. Um das aber zu können, ist er angewiesen auf die Treue seiner Nächsten. Das Drehbuch stammt von Nikita Wyssozki, Wladimirs Sohn.
Wyssozkis »Lied über den Freund« beginnt mit den Versen: »Wenn der Freund auf einmal/ weder Freund noch Feind ist, sondern halt so ... /Wenn du nicht gleich verstehst,/ ist er gut oder schlecht, - / zieh den Burschen in die Berge - riskier's! / Lass ihn nicht im Stich!/ Soll er an einem Seil mit dir sein - / dann verstehst du, wer er ist.« Eine solche Extremsituation inszeniert der Film. Und es gelingt ihm, seine Figuren auf dem schmalen Grat zwischen Verrat und Freundschaft, Loyalität und Moral so zu entwickeln, dass ihr Handeln Auskunft darüber gibt, wer sie sind: Wyssozkis schmieriger Impresario Pascha (Maxim Leonidow), der die Show um jeden Preis weiterführen will; sein Bühnenpartner Sewa (Iwan Urgant), der den Freund vergeblich vor dessen Courage zu schützen sucht; der saufende Leibarzt und Drogenbeschaffer (Andrej Panin), der vom Eid des Hippokrates noch nie etwas gehört zu haben scheint; der sympathisch weichliche Konzertveranstalter Leonid Friedman (Dmitri Astrachan), der zu schwach ist, den Drohungen des Geheimdienstes zu widerstehen; schließlich Wyssozkis schöne Gefährtin Tatjana (Oksana Akinshina), in deren Anmut sich wahre, furchtlose Liebe offenbart.
Die interessanteste und zugleich schauspielerisch faszinierendste dieser Figuren aber ist der usbekische KGB-Oberst Wiktor Michailitsch (Andrej Smoljakow), kahlköpfig, drahtig und mit einem stählernen Blick, der später erstaunlich weich zu werden versteht. Ein Mann, dessen Entwicklung an jene von Ulrich Mühes MfS-Hauptmann Gerd Wiesler in Florian von Donnersmarcks »Das Leben der Anderen« erinnert. Überhaupt gibt es zwischen beiden Filmstoffen Parallelen. Michailitsch ist darauf angesetzt, Wyssozki der illegalen Konzerttätigkeit zu überführen und findet dank Überwachungstechnik bald heraus, dass er ihn überdies wegen harscher Verstöße gegen das Drogengesetz in die Mangel nehmen kann. Wie Wiesner kommt der KGB-Mann unter den Observationskopfhörern dem überwachten Künstler aber so nahe, dass er ihn am Ende schützt, statt ihn ans Messer zu liefern. Wyssozkis Aufrichtigkeit beeindruckt Michailitsch tiefer, als ihn die Dienstpflicht binden kann.
Allein den mählichen Wandel vom Apparatschik zum Menschen in der Mimik des Andrej Smoljakow mitzuvollziehen, tröstet über viele filmische Stereotype und all das ärgerliche Brimborium hinweg, das die russischen Filmemacher aus Hollywoods Mottenkiste genommen haben.
»Wyssozki - Danke, für mein Leben« ist wahrlich keine Low-Budget-Produktion, was seine Effekthaschrei befördert, seiner Bildästhetik aber zugutekommt. Licht und Farben der atemberaubenden Luftaufnahmen der usbekischen Landschaft zwischen Taschkent und Buchara, die weite Steppe, durch die in wiederkehrenden Road-movie-Sequenzen KGB-Wolgas und ein rotes Shiguli-Taxi hin- und herrasen, das Schattenspiel des Brunnenwassers in einer klassizistischen Gebäudefassade: All das und vieles mehr weiß die Kamera in augenbetörender Schönheit einzufangen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.