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»You must remember this ...«
Exil am Pazifik - Die »Republik des Geistes« in Los Angeles
Tausende Kilometer hatten sie hinter sich gelassen, Staatsgrenzen, Berge und Ozeane, um hierher zu gelangen, Terror und Tod, der ihnen in Nazideutschland drohte, zu entgehen. Es waren meist deutschsprachige Intellektuelle, denen es - überwiegend von Südfrankreich aus - gelang, den Pazifik zu erreichen. So entstand in Südkalifornien eine einzigartige »Republik des Geistes«, ein »überdimensioniertes Sanary-sur-mer«. Es verwundert nicht, dass Ludwig Marcuse Los Angeles als seine Wiedergeburtststadt bezeichnete.
In den USA fanden insgesamt 132 000 Flüchtlinge Zuflucht, die zumeist auf Grund ihrer politischen und weltanschaulichen Überzeugung oder ihrer jüdischen Herkunft Deutschland verlassen mussten. Exilzentren in den USA waren New York, San Francisco und Los Angeles. 20 000 bis 25 000 Flüchtlinge lebten im Großraum Los Angeles, unter ihnen weltweit bekannte Persönlichkeiten, Künstler, Schriftsteller und Gelehrte, die sich vor allem in den Vororten Beverly Hills, Santa Monica und in Pacific Palisades angesiedelt hatten. Es waren nicht nur das stets milde, frühlingshafte Klima und die üppige Vegetation, die die Exilanten anzog, sondern auch die Hollywood-Filmstudios.
Etwa 800 »Filmleute«, zeitweilig sogar bis zu 2000, Drehbuchautoren, Regisseure, Komponisten, Schauspieler, Tontechniker, Schnittmeister und Architekten fanden Arbeit bei Warner Brothers, Paramount, Metro Goldwyn Mayer (MGM), Columbia und 20th Century Fox. Nicht wenige Schauspieler wirkten in antifaschistischen Filmen mit. Dazu erhielten arbeitslose Schriftsteller von MGM die Möglichkeit, für 100 Dollar pro Woche zumindest für zwölf Monate zu arbeiten. Mit diesem Einkommen konnte man leben, wenn auch die Tätigkeit selbst für so manchen wenig befriedigend war.
Thomas Blubacher, ein Literatur- und Theaterwissenschaftler, hat zum Thema eine Publikation vorgelegt. Um es vorweg zu sagen: Bei dem begrenzten Seitenumfang konnte ein Exilzentrum nur skizzenhaft vorgestellt werden. Die Schwierigkeiten beginnen im Buchtitel, denn vorgestellt werden ausschließlich deutsche und österreichische Exilanten, obwohl auch Ungarn, Polen und Russen von Weltrang hier lebten. Stellvertretend seien Artur Rubinstein, Igor Strawinski und Sergei Rachmaninow genannt.
Den Hauptinhalt des Buches bilden Kurzporträts, u. a. über Marlene Dietrich, Fritz Lang, Max Reinhardt, Hanns Eisler, Arnold Schönberg sowie die Sozialwissenschaftler Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Stellvertretend für die Schriftsteller werden u. a. Erich Maria Remarque, Alfred Döblin, Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Bert Brecht und Thomas Mann porträtiert. Einige berühmte Namen finden entweder keine Erwähnung oder werden bestenfalls marginal genannt, ohne jede Deutung, z. B. Carl Zuckmayer oder Ernst Lubitsch. Zu dem politisch-weltanschaulichen Standort, zu antifaschistischen Aktivitäten und konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen sowie den Problemen der notwendigen Akkulturation im Exilland (eine zentrale Thematik der modernen Exilforschung) wird nicht oder nur oberflächlich Stellung bezogen.
Unzureichend ist die unter der Überschrift »Der Plan von der Gründung eines Nationalkomitees für ein freies Deutschland« erfolgte Darstellung der Gründung des »Council for a Democratic Germany« (nicht einmal diese Bezeichnung taucht im Buch auf) unter Führung des Religionsphilosophen Paul Tillich am 3. Mai 1944. Richtig ist zwar die Feststellung, dass die Formierung des Council im Zusammenhang mit der Gründung des Nationalkomitees »Freies Deutschland« in der UdSSR stand und gewisse Parallelen zu diesem aufwies, aber es war wohl eher das transatlantische Gegenstück - in Programmatik, Tätigkeit und politischem Umfeld. Das Council wurde eindeutig vom westlichen Demokratieverständnis geprägt.
Thomas Mann war unbestritten das geistige Oberhaupt der »Republik des Geistes«. Sein Credo als Exilant in den USA war von vornherein klar: »Where I am, there is Germany« - ein Programm der antifaschistisch-humanistischen Gesittung. Den ersten Vortrag, den er zu halten gedachte, nachdem er im Februar 1938 amerikanischen Boden betreten hatte, trug den bezeichnenden Titel »The Coming Victory of Democracy«. Und genau darum ging es dem Nobelpreisträger: Im Kampf der Demokratie gegen die Nazidiktatur nicht Zuschauer zu bleiben, sondern seinen Beitrag zu leisten - als Schriftsteller von Weltrang, der 1933 Deutschland verlassen musste und seit 1936 der deutschen Staatsbürgerschaft beraubt worden war.
Manns ganze Sympathie, ja Verehrung galt dem US-Präsidenten Roosevelt. Und sein ganzes Hoffen und Wirken richtete sich darauf, dass Hitlerdeutschland militärisch zerschlagen wird, auch mittels strategischen Bombenkrieges. Blubacher aber erfindet einen Thomas Mann der 20er Jahre, den er »politisch naiv« nennt. Eine gravierende Fehlinterpretation, wie dessen gründlich editierten Briefe (Band III: 1924-1932; Fischer Verlag 2011) beweisen.
Natürlich war die Exilgemeinde der Vororte von L.A. keine homogene Gemeinschaft. Dieser Befund wäre grundfalsch wie die Feststellung von einem »Paradies« L.A. für die Exilanten. Es trennten die Emigranten politische und weltanschauliche Differenzen, ein unterschiedlicher Grad der jeweiligen Akkulturation und der Möglichkeiten, künstlerisch tätig zu sein bzw. ein gesichertes Einkommen zu beziehen. Es gab Zwistigkeiten und gar Feindschaften, nicht selten Neid und Missgunst. Während Thomas Mann, Werfel, Feuchtwanger und Remarque erfolgreich publizierten, sahen sich z. B. Döblin oder Heinrich Mann völlig isoliert. Aber keiner hungerte, war obdachlos, dem Elend preisgegeben oder gar von Terror und Verfolgung bedroht.
Gemeinsam war allen Exilanten das Dasein als Flüchtling und die Feindschaft zu Nazideutschland. Wichtigster Gegenstand der Diskussion in den verschiedenen Gruppierungen der Exilanten in L.A. waren die bohrenden Fragen: Worin liegen die Gründe dafür, dass ein Kulturvolk wie das deutsche in der Barbarei versinken konnte? Wie muss ein Deutschland (und Österreich) nach Hitler gesellschaftspolitisch aussehen? Das bleibt hier jedoch ungenannt. Thomas Mann hat versucht, mit seinem »Faustus«-Roman eine Antwort zu geben.
Erst ein paranoider Antikommunismus und die Hexenjagdpolitik McCarthys nach dem Krieg zwangen dann weltweit bekannte Exilanten, die USA auf immer zu verlassen. So musste z. B. die Familie Mann erneut ins Exil flüchten, diesmal in die Schweiz.
Blubacher hat eine Hommage an das »andere Deutschland« verfasst. Dafür ist ihm zu danken. Er erinnert auch an die »Villa Aurora«, dereinst der Wohnsitz von Marta und Lion Feuchtwanger am Paseo Miramar 520 (seit 1943), jetzt Residenz künstlerisch tätiger Stipendiaten für jeweils drei Monate. Zudem vergibt die »Villa« ein zwölfmonatiges Writer-in-Exile-Stipendium für politisch verfolgte Schriftsteller.
Die mit reichem Foto- und Kartenmaterial versehene Publikation ermuntert, sich weiter mit diesem sehr komplexen Thema zu befassen. Sie »verführt« im besten Sinne, gemäß dem Pianisten Sam im allseits bekannten »Casablanca«-Film: »You must remember this ...«
Thomas Blubacher: Paradies in schwerer Zeit. Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades. Elisabeth Sandmann Verlag, München. 176 S., geb., 29,90 €.
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