»Die Revolution war zu groß ...«

Rosemarie Schuder zeichnet ein beeindruckendes Lebensbild von Ludwig Bamberger

Statur: schlank, hager. Haare: rot. Bart: rot. Stirn: gewölbt. Augenbrauen: blond. Augen: grau. Nase: spitz. Gesichtsfarbe: blaß. Trägt eine Brille.» Mit erst 25 Jahren war er bereits im Visier der Schlapphüte: der 1823 in Mainz geborene Kaufmannssohn Ludwig Bamberger, einer der bedeutendsten Protagonisten des Liberalismus im 19. Jahrhundert und Mitbegründer der Deutschen Bank im Jahr vor der Reichseinigung. Auf der Leipziger Buchmesse stellte Rosemarie Schuder ihre frisch aus der Druckerei gekommene Biografie Bambergers vor. Eine Trilogie ist vollendet.«

Innerhalb eines Jahrzehnts hat die Schriftstellerin drei mutige Kontrahenten des Eisernen Kanzlers Bismarck und Juden hassenden Historikers Treitschke aus den Schatten der Vergangenheit geholt. Nach Berthold Auerbach (»Deutsches Stiefmutterland«, 2003) und Eduard Lasker (»Der ›Fremdling aus dem Osten‹«, 2009) nun also ein Lebensbild Bambergers. Nicht unerwartet und überraschend für den das Vorwort verfassenden Direktor des Centrums Judaicum in Berlin, Hermann Simon. Die Lebenswege der drei - des Autors der »Schwarzwälder Dorfgeschichten« Auerbach, des Vorbereiters des BGB Lasker und des Bankiers Bamberger, alle jüdischer Herkunft, von Freiheitsdrang und Humanismus erfüllt - kreuzten sich. Auch mit denen anderer großer Namen ihres Säculums. Die Trilogie von Rosemarie Schuder bietet ein pralles Panorama einer Epoche, die nicht so fern ist, wie zu vermuten wäre.

Die Biografin berichtet, wie der in seiner Heidelberger Studierstube in der Lektüre der »Naturgeschichte des Menschen« vertiefte junge Bamberger plötzlich von der Straße aus gerufen wird. Er tritt ans Fenster und erfährt vom Kommilitonen: »Denke dir, in Paris ist Revolution, Louis Philipp verjagt.« Bamberger ist enthusiasmiert: »Mit einem Schlag sah ich eine neue Welt entstehen.« Doch ähnliches wagt er für deutsche Landen nicht zu hoffen. Denn: »Alles schien so fest und schläfrig in den Windeln des Polizeikleinstaates eingebettet, daß selbst Wünsche nicht erwachen konnten.« Indes, auch der deutsche Michel wird aufgerüttelt. Bei aller Glückseligkeit, die Bamberger und seine geliebte Anna während der Freiheitsfeste ergreift, bleibt er skeptisch, »protestierte meine innere Stimme gegen das Vertrauen zu den Regierenden, von welchen die Demonstrationen überflossen«.

Er sollte recht behalten; alle Hoffnungen auf Freiheit, Demokratie und Einigkeit werden alsbald von der Reaktion erstickt. Bis dahin allerdings streitet der just examinierte Jurist leidenschaftlich in Reden und mit der Feder gegen »eine allzuleichte Befriedigung über das oberflächlich Errungene«, nimmt am Demokratischen Kongress im Oktober 1848 in Berlin teil, erlebt hier »Schneider Weitling, der mit seinen radikal kommunistischen Anträgen in der schon sehr weit links stehenden Versammlung nur einen Heiterkeitserfolg erzielte, namentlich, als er den Grundsatz aufstellte, daß von Rechts wegen jeder Mensch eine Monatsbesoldung erhalten müsse«. Der Gründer des Bundes der Gerechten ein Vordenker des bedingungsloses Grundeinkommens? Wie auch immer, im Januar 1849 - die letzten Gefechte sind noch nicht geschlagen - urteilt Bamberger in der »Mainzer Zeitung« bereits: »Die Revolution ist in der Geburt umgekommen. Sie war zu groß für den gebärenden Mutterschoß.«

Während er gleich zigtausenden Revolutionären, Demokraten, Freischärlern ins Exil flüchten muss, ordnet der Polizeipräsident von Berlin, Carl Ludwig Friedrich von Hinckeldey, die Anlegung der »Akte Bamberger« an (s.o.). Über Basel, Zürich und Genf in London angelangt, beschließt der in Abwesenheit zum Tode Verurteilte: »Der anstößige Vollbart mußte fallen.« Das Rote durfte nicht mehr allzu kenntlich erscheinen, mutmaßt Rosemarie Schuder. Bamberger arbeitet im Londoner Bankhaus seines Onkels, obwohl es ihm peinlich ist, ins Geldgeschäft einzusteigen; der Lebensunterhalt will verdient werden. In der Stadt an der Themse sucht ihn Karl Marx auf. Bamberger notiert: »Er machte mir den Eindruck eines bedeutenden, selbstbewußten, wohlerzogenen Mannes.« (hic!)

Was heutige Leser schmunzeln lässt, ist leider ein verlorenes Gut. Bamberger waren Anstand und Höflichkeit im Umgang miteinander wichtig. Rosemarie Schuder verdanken wir die Überlieferung solch wertvoller Merksätze von ihm wie: »Warum gehört es in Deutschland zu den seltenen Ausnahmen, daß auf eine erwiesene Aufmerksamkeit, Gefälligkeit, ja mühevolle Dienstleistung ein dankendes Echo zurückschallt?« Oder, in seinem Artikel »Über die Grenzen des Humors in der Politik« aufgespürt: »Geschmacklos und empörend ist es, wenn ein übermächtiger Feind mit seinem hilflosen Gegner Possen treibt.«

Nach Jahren in der Fremde zurückgekehrt, wird Bamberger Mitglied des Parlaments des Norddeutschen Bundes und dann des Reichstages. Hier ficht er heftige Rededuelle mit Bismarck aus, dessen persönlicher Berater er kurzzeitig war (wie auch für den 99-Tage Kaiser Friedrich III.). Eine dieser verbalen Schlachten wählte Rosemarie Schuder als Einstieg für die Biografie. Auf Bambergers Kritik an Bismarcks Wirtschaftspolitik erwidert dieser am 14. Juni 1882 indigniert: »Was hat denn der Herr Abgeordnete Bamberger für ein Recht, im Namen der deutschen Nation zu sprechen?« Um ihn sodann gar als »Sujet mixte« zu denunzieren.

Vor allem der erwachte Nationalismus und erstarkende Antisemitismus verpflichten Bamberger immer wieder, zu warnen und zu mahnen: »Wo der Nationalhaß nach außen seine Schranken findet, wird der Feldzug nach innen eröffnet.« Wegen Treitschke verlässt er die Nationalliberale Partei. Auf dessen Artikel »Unsere Aussichten«, in dem der berüchtigte Satz: »Die Juden sind unser Unglück!« fällt, antwortet er mit seiner Schrift »Deutschthum und Judenthum«. Treitschkes Worte, so Bamberger, seien »in die Welt gegeben, um den Hass auf die Juden für Generationen unausrottbar zu machen«. Als dieser Hass nach der Macht in Deutschland greift, ediert der Journalist Ernst Feder, Sohn jüdischer Hutmacher (apropos: auch Rosemarie Schuder entstammt einer Hutmacherfamilie), die »Geheimen Tagebücher« des Ludwig Bambergers, das Publikationsverbot des 1899 (an einem 14. März wie Marx) verstorbenen Autors ignorierend. Ein Gebot in der Not. Man schrieb das Jahr 1932.

Rosemarie Schuder: Ludwig Bamberger. Volksvertreter im Schatten Bismarcks. Niederlausitzer Verlag, Guben 2013. 350 S., geb., 19,95 €.

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