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Mach’s noch einmal, Oskar!

Das 50. Akademie-Gespräch in Berlin appellierte eindringlich: »Wählen gehen!«

Eigentlich hätte die vom Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck, in großer Sorge einberufene Diskussion auf einem Marktplatz in Kreuzberg oder in Hellersdorf stattfinden müssen. Denn von den am Mittwochabend ins gläserne AdK-Haus am Brandenburger Tor strömenden Menschen dürfte man erwarten, dass sie Wahlkabinen nicht meiden. Dennoch äußerte eingangs Bascha Mika, ehemalige taz-Chefredakteurin und an diesem Abend Moderatorin, man hoffe, Nichtwähler im Saal würden im Laufe des Abends überzeugt, am 22. zu den Urnen zu schreiten.

Unter dem Arbeitstitel »Wählen gehen!« debattierten der Sozialphilosoph Oskar Negt, der Schriftsteller Mathias Greffrath, der Film- und Theaterregisseur Andres Veiel, die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz und Schauspielerin Kristin Meyer. Und natürlich Klaus Staeck, den ein Boulevardblatt jüngst dumm-dreist einen »linken Holzschnitzer« nannte. Was den ehrenwerten Künstler und Sozialdemokraten nicht anficht.

Über 20 Prozent Wahlverweigerer jedoch irritieren, ja ängstigen. Die Nichtwahrnehmung eines vornehmen Bürgerrechts, »für das 1848 auf den Barrikaden gestorben wurde« (Staeck), gefährdet die Demokratie. Nichtwähler seien jedoch keineswegs unisono apolitisch, war sich die Runde einig. Zu den Wahlverweigern gehören gewiss mehrheitlich Menschen mit geringer Bildung und klammen Geldbeutel. Indes, inzwischen riefen gar gut situierte Intellektuelle zum Wahlboykott auf. Was die Disputanten entsetzte, die sodann die doppelt-negative Konnotation in der Klage des Kultursoziologen Harald Welzer erörterten: »Wenn ich sage, ich gehe nicht zur Wahl, schauen mit die Leute an wie einen Kinderschänder.«

Umstritten war im Podium, ob Wahlabstinenz Ausdruck von Enttäuschung und Resignation sei oder einer gewissen Zufriedenheit mit der »Wurstelei der Frau Merkel, die endlich beendet werden muss« (Veiel). Geht es den Deutschen so viel besser als den übrigen Europäern? Greffrath, der mit Taxifahrern und Köchinnen (»die laut Lenin den Staat regieren müssen«) gesprochen hat, erklärte: Der sukzessive, »verbrecherische« Abbau des Sozialstaates in konsequenter Abarbeitung der Forderungen des Lambsdorff-Papiers von 1982 sei schuld an Apathie und Abkoppelung. Was zu weiterem Anwachsen des Rechtsradikalismus führen könne, wie Negt befürchtete. »Was fehlt, ist eine gesellschaftliche Alternative zum bestehenden System. Die gibt es nicht bei den Gewerkschaften und nicht bei den Parteien«, lautete der Befund des Professors.

Greffrath, der gleich dem Philosophen die großen sozialen und politischen Themen im derzeitigen Wahlkampf vermisst, bekannte, einzig von den Reden Gregor Gysis und Sahra Wagenknechts beeindruckt zu sein. Der Schriftsteller artikulierte sein Unverständnis, dass »die SPD aus kleinlichen Gründen die gegebene linke Mehrheit im Bund verhindern will«. Veiel kommentierte: »Die SPD hat eine Glaubwürdigkeitsproblem.« Und: »Die Partei hat zwei Generationen verheizt.« Staeck intervenierte empört, er fühle sich nicht verheizt. »Politik, die verändern will, braucht einen langen Atem.« Die beiden Damen auf dem Podium, die einer jüngeren Generation als die Herren angehören, lenkten nun vom Streit ab - hin zur Jugend, die sich sehr wohl politisch engagieren möchte, aber nicht von Parteien vereinnahmt werden will, »also Käseglocke drüber«, wie Meyer formulierte. Staeck äußerte Bewunderung für das »revolutionäre Potenzial der Hacker«, das der Bankenmacht weit mehr Angst einjage als ein Zeltlager in Frankfurt am Main: »Darüber lacht doch das Kapital.«

Bunz rief zu Solidarität, vor allem mit dem sogenannten Prekariat auf, das von einer arroganten Mittelschicht ignoriert werde. Negt beschwor: »Die Demokratie ist das kostengünstigste System. Das teuerste das totalitäre, das Körper und Seelen zerstört.« Applaus. Ein Mann aus dem Publikum ermunterte den Hannoveraner zu einem neuen großen Wurf ähnlich seinem Konzept vom »exemplarischen Lernen« aus den 1970er Jahren: »Mach's noch einmal, Oskar!«

Auf der Heimfahrt durchs nächtliche Berlin verriet mir der Taxifahrer: »Ich werde wohl die Partei der Nichtwähler wählen.«

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