Durchmarsch der Populisten
Mit dem Wahlerfolg der AfD verschieben sich die Gewichte im bürgerlichen Lager
Wenn man sich die Ergebnisse von rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien bei der Europawahl in anderen Ländern ansieht, dann ist Deutschland noch einigermaßen gut bedient. Nationalisten als Wahlsieger in Frankreich, erstarkte beinharte Neonazis in Griechenland und Ungarn, starke Rechtspopulisten in Österreich, im Aufwind befindliche Euroskeptiker in Großbritannien - da kann man mit den sieben Prozent für die Alternative für Deutschland doch leben.
Bemerkenswert ist das Resultat der Alternative für Deutschland dennoch. Denn die Rechtsliberalen oder - je nach Interpretation - Rechtskonservativen waren nicht auf die Aufhebung der Prozenthürden angewiesen; sie haben die bis vor Kurzem obligatorischen fünf Prozent locker genommen. Die neue Partei um national orientierte Wirtschaftsprofessoren wie Bernd Lucke hat mit ihren Vorbehalten gegen europäische Integration und europäische Währung eine männerdominierte Wählerschaft erreicht, die tief in bürgerliche Schichten hinein reicht.
Luckes überschwängliche Fantasie am Wahlabend von einer neuen kleinen Volkspartei mag albern wirken - richtig ist aber, dass die AfD aus allen politischen Lagern, auch bei der Linkspartei, Wähler in erheblicher Zahl abziehen konnte. Von der Union wechselten im Vergleich zur Bundestagswahl im Herbst 2013 mehr als eine halbe Million Wähler zur AfD, von der SPD 180 000, von der Linkspartei immerhin 110 000, von der FDP 60 000 und von den Grünen 30 000.
Das konnte gelingen, weil die AfD den weithin wabernden Unmut über Euro-Krise und unsichere soziale und wirtschaftliche Zukunft offensiv, teils aggressiv angesprochen hat. Lösungen gibt’s zwar nicht, aber als Ventil taugt es immerhin. Das sagen sogar die AfD-Wähler ganz unverblümt: 97 Prozent von ihnen stimmten in einer Befragung der Aussage zu, die AfD löse zwar keine Probleme, »nennt aber die Dinge beim Namen«. Und 91 Prozent finden, die Partei achte darauf, »dass deutsche Interessen nicht zu kurz kommen«.
Die AfD hat durchaus das Potenzial, sich im Parteiensystem Deutschlands festzusetzen. Denn die Krise ist ja keineswegs beendet. Lucke und Co., über die spätestens seit dem Wahlabend keiner mehr lächelt, haben etwas geschafft, was bisher noch niemandem gelungen ist: eine neue Partei auf der rechten Flanke nicht nur als regional begrenzte politische Eintagsfliege (siehe etwa Schill-Partei) zu gründen,sondern sie bei einer bundesweiten Wahl zu etablieren. Im Gegensatz zur Piratenpartei ist es ihnen gelungen, in einem taktisch günstigen Moment den Fuß in die Tür der Bundespolitik zu bekommen. Im engeren wirtschaftsliberalen Lager profitierten sie vom bisher maßgeblich im FDP-Umfeld angesiedelten Euro-Skeptizismus, der sich fürs Erste eine neue Heimat gesucht hat. Auch die bayerische CSU musste spürbar Federn lassen; ihre ausländerfeindliche Kampagne (»Wer betrügt, der fliegt«) nützte ihr gar nichts. Wer solchen Protest will, fand sich diesmal beim distinguierten Professor Lucke offenbar besser aufgehoben. Wenn schon Populismus, dann richtig und sogar mit gepflegten statt flegelhaftem Habitus.
Was das für die nächste Zeit bedeutet? Erstens ist die FDP endgültig am Boden und auf ihr enges, hochmütiges, marktliberales Klientel zurückgeworfen. Das ist nicht weiter schade, allerdings verschwinden mit ihr die letzten bürgerrechtsliberalen Reste, um die sich die AfD einen Dreck schert. In der FDP wird die Pleite zum Teil beschönigt (»Noch keine Trendwende«), zum Teil gnadenlos formuliert (Parteivize Wolfgang Kubicki: »hundsmiserables Ergebnis«).
Und zweitens wurden in der Union sofort Stimmen laut, die eine Zusammenarbeit mit der AfD verlangen - oder zumindest eine Debatte über deren Zulässigkeit. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Wilsch hat sich schon aus der Deckung gewagt und sich dafür ausgesprochen, Koalitionen mit der AfD ins Auge zu fassen - wegen der erheblichen inhaltlichen Übereinstimmungen. Das hört die Unionsführung derzeit nicht gern - Kanzlerin Angela Merkel will eine solche Zusammenarbeit »nicht in Betracht ziehen« und verkauft das als einhellige Präsidiumsmeinung; Fraktionschef Volker Kauder möchte die AfD »möglichst gar nicht beachten«.
Diese Augen-zu-Taktik wird nicht weit führen; sie ersetzt keine internen Debatten und keine offene Auseinandersetzung. Und die ist nötig. Denn Leute wie Lucke sind keine Nazis, natürlich nicht - aber sie spielen mit genau den Ressentiments, derer sich auch die Rechtsextremen bedienen. Das ist eine Herausforderung für die Kräfte der politischen Mitte und der Linken. Zumal die AfD mit ihrer Europagruppe und den zahlreichen neuen Kommunalabgeordneten plötzlich eine starke politische Basis hat.
Apropos Nazis: Die NPD schickt nun ihren Propaganda-Opa Udo Voigt nach Europa. Das ist ärgerlich, aber doch erträglich, wenn die anderen soviel Charakter haben, mit dem Nazi kein Wort zu reden.
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