Unbewohnbar

ARD-Doku »Wem gehört die Stadt?«

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Steigende Mieten, mehr Eigentumswohnungen, schmierige Makler. Auf dem Wohnungsmarkt in Berlin wird es eng. In der ARD Doku »Wem gehört die Stadt?« gehen die Filmemacher der Entwicklung auf den Grund.

Die Gentrifizierung kommt nicht zu Fuß, sie rollt im edlen weißen Reisebus durch Berlin. Bei Nacht, denn da blenden die Neonlichter noch ein bisschen heller, malen die Metropole in den grellsten Farben, übersteigern den Ruf Berlins als europäischem Hotspot, an dem nur jene als etwas gelten, die Eigentum besitzen. Eine Gruppe 50-Jähriger entsteigt ihrem glänzenden Gefährt und lässt sich bei Sekt und Häppchen von einer Maklerin erklären, warum Quadratmeterpreise von 3000 Euro ein wahres Schnäppchen sind.

Die gezeigten »Best Ager« sind jene Kernzielgruppe, auf die es die internationale Immobilienwirtschaft abgesehen hat. Fester Job, hohes Gehalt, Bildungsbürgertum, Anfang 50 - gerade wie gemacht für ein millionenschweres Bauprojekt in direkter Nachbarschaft zum Park von Schloss Charlottenburg. Wer hier wohnt, sucht nicht das reale Leben in Berlin, sondern nur eine 300 000-Euro-Luxusbehausung unter seinesgleichen. »Eigentum für alle«, wirbt die am Projekt beteiligte Immobilienfirma ganz ohne einen winzigen Hauch an Ironie. In der Unterzeile müsste es ergänzend heißen: »Alle«, die es sich leisten können, in einer Stadt zu leben, die gerade dabei ist, an ihrem eigenen Erfolg zu erstricken.

Es dürfte seine guten Gründe haben, weshalb die ARD »Wem gehört die Stadt?« ins spätabendliche Programm verbannt. Allzu viele »Best Ager« - nicht nur Zielgruppe der Immobilienspekulation, sondern auch der Öffentlich-Rechtlichen - dürften sich dabei ertappt fühlen, wenn sie den Stellvertretern ihrer Generation mit entsprechenden Einkommen dabei zusehen können, wie diese ihren beträchtlichen Anteil an der Spekulationswelle noch ein Stück weiter ausbauen. Die Stärke der Doku offenbart sich bereits nach rund der Hälfte ihrer anderthalb Stunden Gesamtlänge: Es sind eben nicht allein, wie in der allgemeinen Hysterie um das Dauerbrennpunkt-Thema Mieterverdrängung in Großstädten gern behauptet, irgendwelche anonymen Immobilienfonds, sondern auf der anderen Seite ist es eben auch eine Klientel, die sich vom Mantra »Rein in den Privatbesitz an Wohneigentum« hat anstecken lassen, aber eigentlich mit Spekulation nichts zu tun hat, obwohl sie diese kräftig mit anheizt.

Die Filmemacher Kristian Kähler und Andreas Wilcke kommentieren die Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt nicht, es reicht völlig aus, die wachsende Kluft nüchtern darzustellen, um zu zeigen, dass Berlin gerade dabei ist, im negativen Sinn ein zweites Rom, Paris oder London zu werden. Der durchschnittliche Berliner Haushalt verfügt über ein Nettoeinkommen von gerade einmal 1650 Euro im Monat. In der italienischen, französischen oder britischen Hauptstadt bekommen Interessenten dafür noch nicht einmal eine Abstellkammer ähnliche Mietunterkunft, geschweige in der Nähe der Innenstadt.

»Berlin ist billig. Fast so billig wie Tirana in Albanien«, sagt der Norweger Einar Skjerven ohne eine Regung im Gesicht. In dieser Aussage des Immobilienmaklers ist das zynisches Verkaufsargument für seine zahlungskräftige internationale Käuferschicht verpackt, denn es stimmt: Mit anderen Metropolen verglichen, ist Berlin selbst in den Szenekiezen wie Friedrichshain-Kreuzberg oder Prenzlauer Berg noch günstig, wenngleich die Preise kräftig nachziehen. Und weil der Wohnraum im nächsten Jahr vielleicht noch teurer werden könnte, wird besser gestern als morgen zugegriffen. Ein Haltung, die sich in der Doku bei fast allen Interessenten wiederfindet, egal ob bei den italienische Damen vom Typus Millionärsgattin oder dem zur Mittelschicht gehörenden Paar Mitte 30, das mit einem Dutzend anderer ähnlich auswechselbarer Gestalten eine Viertelmillion Euro teure unsanierte Altbauwohnung in Schönberg als Bleibe »mit Charakter« in einem Chor verklärt, als wäre der Makler höchstselbst der tonangebende Dirigent.

Auf den jeweils Einzelnen bezogen, mag diese Herangehensweise an das eigene Wohnen rational noch nachvollziehbar wirken, hinter der Akkumulation dieser Haltungen verbirgt sich dann jedoch etwas, das sich in der Anonymität gerne versteckend als Markt bezeichnet. Der führt schließlich zu der wachsenden Unbewohnbarkeit der Metropole für die Mehrheit jener 85 Prozent Berliner, die noch zur Miete wohnen, bis die neuen sich einkaufenden Eigentümer vor der Tür anrücken.

Fast nebenbei erfährt der Zuschauer, wie es zu dieser Entwicklung kam. Kähler und Wilcke streuen wiederholt Szenen aus dem Berliner Leben ein. Was im ersten Moment an schmuckes Beiwerk erinnert, liefert den Hintergrund zu dieser stadtsoziologischen Betrachtung. Nach spätestens der dritten Sequenz voll mit Kneipen, Cafés und jungen Menschen dürfte auch dem letzten Zuschauer klar sein, dass die gezielte Etablierung Berlins als kosmopolitischer Schmelztiegel Segen wie auch Fluch für die Stadt bedeutet. Der selbstgesteckte Anspruch lässt sich zwar glücklicherweise nicht wieder zurückdrehen, müsste allerdings auch dazu führen, die städtische Wohnpolitik grundsätzlich neu zu denken. Am Ende bleibt die nüchterne Erkenntnis: Der freie Markt muss beschnitten werden. Nicht nur der Traum vieler von der Eigentumswohnung steht dem gegen.

»Wem gehört die Stadt?« - ARD, 22.45 Uhr

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