Kraft und Verletzlichkeit

»Immer geht's weiter« - die Autobiografie der Schauspielerin Ursula Werner

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Machtlosigkeit ist keine Heimat - aber ein geläufiger Aufenthaltsort des Menschen schon. Theaterliterarische Gestalten solchen Schicksals, gespielt von Ursula Werner, hatten freilich Glück. Taumelten sie zwar eng am Nichts - so war es doch, durch diese Spielerin, ein grauenschönes Nichts; ja, etwas Bejahenswertes durchtränkte alle Trübnisse, und in der Machtlosigkeit wohnlich machte sich das Spiel der Werner nie. Die Seele wund, das Herz aber beherrscht.

Weinend blieb sie seit jeher doch unverheult. Sie kommt künstlerisch aus den Urgründen einer zutiefst fraulichen Bübigkeit; sie nähme sich Gott, wie sich ein Weib einen Mann nimmt. Ihr Liebreiz wurzelt in der sehr praxisbezogenen Philosophie des: Hab dich nicht so! Wie oft habe ich sie - in Halle, am Gorki Theater, in Filmen - gesehen und gespürt: Der kann keine Leere was anhaben. Aber sie hat dabei überzeugend gespielt: Es gibt sie, die Leere! Nur machte sie keine Getue darum. Sie ist von der Art, allen um sich herum zu sagen: »Mir fehlt nichts.« Und alle werden es ihr glauben. Aber natürlich fehlt ihr alles. So geht es ihnen, den tapferen Frauen.

Logisch also, dass die Autobiografie just dieser Schauspielerin »Immer geht’s weiter« heißt. Ein Arbeiterkind. Noch als Erwachsene ein Kind der Arbeit. Ursula Werner, 1943 in Eberswalde geboren, hat ihr Leben mit schöner Direktheit aufgeschrieben (oder aufschreiben lassen), ohne den Schnörkel der eitlen Vergeistigung, ohne den falschen Zug zur Verdichtung. Sie erzählt. Über ihre Eltern, über ihre Tischlerlehre, über Horst Schönemann, über Kurt Böwe, über Armin Petras, über Andreas Dresen. 1949 begannen in Berlin ihre Schuljahre. Ursula Werner wird ein, wie man so sagt, Kind der DDR werden. Sie ist, sozial gesehen, im besten Sinne des Wortes ein Möglichkeits-Kind. Die Neulehrer ihrer Berliner Schule werden von vielen Eltern argwöhnisch beäugt. Die Altlehrer aber: Respektspersonen.

Eine dieser Respektspersonen befiehlt einer Schülerin regelmäßig, sich in den Papierkorb in Türnähe zu setzen. Ein Kind, »auffällig vernachlässigt, es roch, es weinte da auf dem Papierkorb«. Ein Menschlein, tief verletzt, gnadenlos aussortiert. Selektion, ja, nichts anderes. »Wir jedoch nahmen das so hin, schließlich hatte Fräulein Meier-Püritz es angeordnet, das allseits so hochgelobte Fräulein Meier-Püritz.« Das Funktionsmuster von Geschichte in einer einzigen Episode. Masse und Macht, eine Beziehung, die in Schulstuben beginnt. Ein Gleichnis auf das Entstehen von Diktaturen - Ursula Werner hat dieses Erlebnis nie vergessen, und von solch einprägsamer, griffiger Art sind viele der Erzählungen, die ihrem Leben den Erfahrungsgrund geben.

Schauspieler-Bücher sind nachgeordnete Werke. Ihre Wirkung fußt jeweils auf der Kraft der individuellen Kunstproduktion, die allen Reflexionen zugrunde liegt. In dritter Bühnenreihe wächst keine Autorität für Buchpräsentationen - das wird heutzutage gründlichst beachtet: Denn längst ist der Platz freigemacht für vierte Reihen. Ursula Werners Buch ist angesichts dieses Niveaus vieler Veröffentlichungen zu loben, eben weil hier jemand das Wort nimmt, der etwas zu zeigen hatte, bevor die Idee aufkam, man habe auch etwas zu sagen. Ein Lebenswerk: Die Werner spielt ergreifend - mit traurigster Komik; der Witz wehrt die Verzweiflung nicht ab, sondern macht sie vollkommen. Sie kennt sich aus in Ach-Gott-ach-Gott-Gestalten, sie kann eine höchst ehrbare Ertragensgeduld entwickeln. Ihr Ton ist herausfordernd direkt, ihr Spiel hat eine weich fließende Weiblichkeit und kann doch im nächsten Moment im harten Bruch zersprengen. Einer ihrer wichtigen Regisseure am Gorki Theater, Thomas Langhoff (»Drei Schwestern«, »Übergangsgesellschaft«), sprach von der »bezaubernden Mischung aus Kraft und Verletzlichkeit«. Was diese Mischung an durchpulstem Leben besitzt und ausstrahlt, das ist nun, höchst anrührend und amüsant, nachzulesen.

Ursula Werner: Immer geht's weiter. Autobiografie. Verlag Das Neue Berlin. 206 S., geb., 17,99 €.

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