Kriminalpräventive Maßnahmen?
NS-Dokumentationszentrum Köln zeigt eine Ausstellung über den NS-Genozid an Sinti und Roma
Auf 500 000 schätzt man die Zahl der Sinti und Roma aus ganz Europa, die von den Nazis ermordet wurden. Eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum Köln dokumentiert den Völkermord, berichtet über dessen Vorgeschichte und Nachwirkungen bis heute. Sie will den vielen namenlosen Opfern ein Gesicht geben und präsentiert daher auch zahlreiche Fotos aus Familienalben. Man sieht Menschen beim Feiern, in der Uniform der kaiserlichen Armee, am Arbeitsplatz, in Sportvereinen oder beim Musizieren. Zigeunermusik - ein romantisierendes Klischee noch heute, ebenso wie die Vorstellung vom «fahrenden Volk» am Lagerfeuer und «feurige» Zigeunerinnen«, wie Beispiele aus der Sammlung des Vereins Kölner Rom e. V. belegen.
Eine »Rassenhygienische Forschungsstelle« deklarierte die Sinti und Roma zu »minderwertigen Menschen«, die aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossen werden sollten. »Die Menschen wurden einem genetischen Kollektiv zugeschrieben und damit ein Gegenstand zum kulturellen Kollektiv konstruiert«, erläutert Kurator Frank Reuter. Der Antiziganismus der Nazis kam nicht aus dem Nichts, hatte Vorläufer, wie die Ausstellung dokumentiert. Erschütternd und empörend, wie Überlebenden des NS-Genozids und Angehörige der Opfer in der Bundesrepublik um Entschädigung kämpfen mussten, oft vergeblich. 1952 lehnte ein Gericht den Antrag der KZ-Überlebenden Gisela Pohl auf Haftentschädigung ab. Ihre rassische Verfolgung wurde geleugnet. Und schlimmer noch: Sie wurde - wie in NS-Zeiten - als »asozial« bezeichnet. Haupt-»Belastungs«-Zeuge war ein Polizist, der schon 1943 an ihrer Deportation nach Auschwitz beteiligt war. Von ihrer achtköpfigen Familie überlebten nur zwei. 1956 behauptete gar der Bundesgerichtshof, es habe keine rassische Verfolgung im NS-Staat gegeben, es habe sich um »kriminalpräventive« Maßnahmen gehandelt. Erst 1982 entschuldigte sich die damalige BGH-Präsidentin Bettina Limperg für dieses »beschämende« Urteil.
Die Wanderausstellung »Rassendiagnose: Zigeuner« wurde zuerst in Nürnberg gezeigt, Köln ist ihre zweite Station. Zu den präsentierten Quellen gehört auch das Tagebuch von Michael von Faulhaber. Darin berichtet der Erzbischof von München und Hitler-Anhänger vom Hilfegesuch eines katholischen Zigeuners, die Kirche möge sich gegen seine drohende Deportation und Sterilisierung einzusetzen. »Nein, keine Hilfe in Aussicht stellen«, heißt es in Faulhabers Antwort am 5. April 1943. Die Verfolgung von Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern wurde von der Kirche schweigend in Kauf genommen. Der Bittsteller war übrigens der Vater von Romani Rose, Gründer des Heidelberger Dokumentationszentrum und Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er setzte sich auch vehement für den Ersatz des mit Klischees und negativen Vorurteilen belasteten Begriffs »Zigeuner« durch Roma und Sinti durch und kämpft konsequent für Gleichberechtigung der Minderheit, die seit über 600 Jahren in Deutschland lebt.
Noch immer lehnen 60 Prozent der Deutschen es ab, dass Sinti oder Roma in ihrer Nachbarschaft leben. Und wissen oft gar nicht, dass jene schon lange ihre guten Nachbarn sind. »Diskriminierte Minderheiten passen sich an, um nicht aufzufallen«, erläutert Rose.
Die Ausstellung wirft auch einen Blick auf Europa. In den neuen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien, Polen und Ungarn kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf Sinti und Roma.
»Rassendiagnose: Zigeuner«, bis 8. Oktober, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln, www.nsdok.de, Di-Fr 10-19 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr, erster Donnerstag im Monat 10-22 Uhr.
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