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Kuss ohne Muss

Annett Gröschners Buch erzählt von einer geteilten Frau.

Ilia aus dem Westen und Peggy aus dem Osten definieren Emanzipation. Für Peggy ist Emanzipation »die Befreiung von Individuen, von Gruppen oder Klassen aus jeglichen Formen von Abhängigkeit«. Ilia meint aber, dass Emanzipation »die Befreiung der Frau aus dem Patriarchat« ist.

Das ist ein Dialog aus der Performance »Schubladen« der Theatergruppe »She She Pop« aus dem Jahr 2012. Den Dialog hat die Schriftstellerin Annett Gröschner in ihrem neu erschienenen Buch erwähnt. »Berolinas zornige Töchter« handelt von 50 Jahren Berliner Frauenbewegung. Berlin ist für die 1964 in Magdeburg geborene und seit 1983 in Berlin lebende Autorin eine Frau, und sie erzählt die Geschichte dieser Frau. Wie der kurze Dialog schon deutlich macht, kann man die Frauenbewegungen in Berlin nicht verstehen, ohne die Teilung der Stadt in Betracht zu ziehen. Aus einer Berlinerin wurden zwei gemacht.

»Beide entfernten sich in vierzig Jahren voneinander - sozial, mental, kulturell«, so Annett Gröschner. Das Buch hat sie daher nicht nur nach Epochen, sondern auch nach Orten geordnet. So heißen die vier Kapitel: Die preußische Berlinerin, die Westberlinerin, die Ostberlinerin und die Hauptstädter*in. Dass beim letzten Kapitel das Gendersternchen auftaucht, hat damit zu tun, dass die Autorin die Begriffe historisch betrachtet. Sie verwendet beispielsweise die »Studentenbewegung«, aber wenn es um die Gegenwart geht, ist die Rede von »Feminist*innen«.

Zwei Jahre hat Gröschner an diesem Buchprojekt gearbeitet. Mithilfe von Archivmaterialien, Filmen und Dokumenten sowie Interviews, die sie mit Akteurinnen der feministischen Szene geführt hat, erzählt sie von der ersten Frauenbewegung in Berlin, den sogenannten Kartoffelunruhen Mitte des 19. Jahrhunderts, bis hin zu heutigen »digital moms«. Das Buch hat das feministische Archiv FFBIZ anlässlich 40 Jahre FFBIZ und 50 Jahre Neue Frauenbewegung herausgegeben. Finanziert wurde es von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung.

Trotz des Gleichberechtigungsgesetzes im Jahr 1958 in der BRD durften die Frauen nicht ohne Genehmigung des Ehemannes arbeiten oder ein eigenes Konto haben, da hatten die Westberlinerinnen einen längeren Weg vor sich. Die Ostberlinerinnen waren zwar formal gleichgestellt, aber die Autorin macht anhand der Fakten (von der Verfassung bis hin zum Alltagsleben) die frauenfeindlichen Lücken im System sichtbar. Die Frauen in Ostberlin waren vor allem mit »Belastungen« vertraut. »Wenn es ein Bild der Frau aus dem Osten gibt, dann ist es das, das Anke Feuchtenberger 1990 als Wahlplakat für den Unabhängigen Frauenverband zeichnete. Es ist eine Schwangere mit Ringen unter den Augen und praktischer Frisur, zwei Kleinkindern am Körper, rechts und links zwei pralle Einkaufsnetze, Hammer und Schraubenschlüssel in der Hand und unterm Arm eine Tür«, schreibt Gröschner.

Auch das Jahr 1968 haben die Ost- und Westberlinerinnen unterschiedlich erlebt. In Westberlin fing die Neue Frauenbewegung an, mit der ersten Veranstaltung der Frauen am 26. Januar 1968 an der Freien Universität. »Die Frauen, die eingeladen hatten, mussten vor der Veranstaltung ein paar Schnäpse auf der Toilette kippen, sie waren das Auftreten vor großen Mengen von Menschen nicht gewohnt. Es gab keine Vorbilder.« Für den Osten war aber 1968, nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in Prag, das Jahr, »in dem der Traum eines demokratischen Sozialismus erstickt wurde«. Die Ereignisse werden im Buch sachlich und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet.

Um Diskriminierung in einem System zu beseitigen, gibt es hauptsächlich zwei Herangehensweisen. Wenn man beispielsweise wegen seiner Hautfarbe diskriminiert wird, sind die einen der Meinung, man solle gegen die Diskriminierung der Dunkelhäutigen kämpfen, indem man die dunkle Hautfarbe feiert. Die anderen meinen, dass eben mit der Betonung der Hautfarbe aufgehört werden solle, damit die Menschen in erster Linie als Menschen gesehen werden und nicht als farbige Menschen. Die Debatte gibt es seit den ersten postkolonialistischen Theorien.

Das Gleiche gilt für das Geschlecht. Muss man das Frausein unterstreichen, um die Diskriminierung der Frau zu bekämpfen? Oder sollte man eher das Geschlecht entkräften? West- und Ostberlin schienen diese zwei Denkweisen zu repräsentieren. Im Buch steht: »In den 1960er und 1970er Jahren galt in Ostberlin der Satz: Frauen und Männer gemeinsam sind stark, während es zur selben Zeit unter den Feministinnen in Westberlin hieß: Frauen gemeinsam sind stark.«

Je mehr sich die Erzählung der heutigen Zeit nähert, desto stärker verliert das Geschlecht in den feministischen Diskussionen an Bedeutung. Dafür steht das Gender, die gesellschaftlich und kulturell konstruierte Rolle der Geschlechter, im Mittelpunkt. »Die Definition, was Feminismus ist und wer sich zu dieser Bewegung bekennt, ist fließender und nicht mehr unbedingt an ein Geschlecht gebunden. Es geht öfter um Gender als um Frauen, und aus der Bezeichnung für die zuständige Senatsverwaltung ist das Wort «Frauen» seit dieser Legislaturperiode zugunsten von «Gleichstellung» verschwunden, so Gröschner. «Den Feminismus gab und gibt es nicht, es gibt verschiedene Strömungen.» Die Frage, ob Feminismus nur etwas für Frauen ist, verneint die Autorin: «Inzwischen gibt es auch genügend Väter in der jüngeren Generation, die mit den Geschlechterverhältnissen nicht einverstanden sind. Für sie hat die Rolle des männlichen Ernährers ausgedient, sie wollen weniger arbeiten und mehr aktive Väter sein.»

«Berolinas zornige Töchter» ist also ein Buch, das das Publikum nicht einschränkt. Wie gemischt aber die Leserschaft eines «feministischen» Buches in der Tat ist, ist eine Frage des dominanten Diskurses. Bei den bisherigen sechs Buchvorstellungen sei nur ein Mann im Publikum gewesen, sagt Gröschner in einer Lesung im Berliner EWA-Frauenzentrum, die eben nur für Frauen organisiert war. Lektoren dieses Buches waren übrigens zwei Männer, fügt sie hinzu, die bekannten, dabei viel gelernt zu haben.

Annett Gröschner: Berolinas zornige Töchter - 50 Jahre Berliner Frauenbewegung. FFBIZ Verlag, 343 S., geb. 10 €.

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