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»Warum ward ich kein Mann!«
Karla Dyck stellt mutige und kluge Frauen aus dem Adel vor
Von einem Autor oder einer Autorin ein Buch mit Widmung zu erhalten, ist schon eine Ehre. Dazu aber noch einen handgeschrieben Brief - in unserer brieflosen Zeit - zu empfangen, steigert diese. Die »hochwohlgeborene« Karla Luise Cäcilie von Skotwicki, die mit Ehelichung zu Karla Dyck wurde, nennt sich »ein Gewächs der (klugen) Bündnispolitik der DDR«. Sie ist die Tochter eines adligen Wehrmachtsoffiziers, der nach sowjetischer Kriegsgefangenschaft und unguten Erlebnissen in der Bundesrepublik in den Osten übersiedelte. »Die DDR war und blieb meine Heimat, aber sie war es nie fraglos, selbstverständlich«, bekennt Karla Dyk, und dankt dem verschwundenen Staat, »gefordert und gefördert« worden zu sein.
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Karla Dyck: Nie das Knie gebogen. Rebellion und Schreiben adliger Frauen von Sophie von La Roche bis Hermynia zur Mühlen.
Nora, 448 S., geb., 29 €.
Die studierte Kultur- und Theaterwissenschaftlerin, Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, begann vor zehn Jahren mit der Arbeit an diesem Buch. Getrieben vom Entsetzen über die neuen Kriege, Chaos und Zerstörung weltweit und aus Mitgefühl mit den Millionen Flüchtlingen, die »auf der Suche nach einem Ort zum Überleben wagnisvoll durch Wüsten und über Meere irren, um oft genug nur an unüberwindlichen Zäunen zu enden«. Immer wiederkehrendes menschliches Leid, verschuldet durch gleichwährende gesellschaftliche Übel.
»Das Wissen um die Ursachen und Zusammenhänge derartiger Verwüstungen lagert über Jahrhunderte sorgsam aneinandergereiht in Bibliotheken«, weiß Karla Dyk. Und machte sich ergo daran, kluge Bücher zu lesen und widerständige Frauenleben zu studieren. Eine treffliche Schilderung des »jähen Entgleitens vermeintlicher Zivilisation in die Barbarei« fand sie beispielsweise in der Erzählung »Kultur« von Hermynia Zur Mühlen (1883 - 1951), einer Anhängerin der russischen Oktoberrevolution.
Ob der stetigen Rede von der Alternativlosigkeit und dem Ende der Geschichte, aber auch eigenen »nicht nachlassenden Grübelns« seit der Epochenwende 1989 befasste sich Karla Dyck mit adeligen Frauen, »die sich aufmachten zu neuen Ufern, nachdenkend, schreibend, handelnd, aneckend, sich trotzig nützlich machend, die ›vergähnte Lebenszeit‹ (Marie von Ebner-Eschenbach) und die ›Behaglichkeit ihrer faulen, verschwenderischen Klasse‹ (Hermynia Zur Mühlen) verlassend«. Die uns zeitlich am fernsten stehende, hier porträtierte Schriftstellerin ist Sophie von La Roche (1731 - 1807), die sich gleich ihrer jüngeren Zeitgenossin Karoline von Günderrode (1780 - 1806) für die Ideale der Französischen Revolution begeisterte, während Bettina von Arnim (1785 - 1895) und Jenny Marx, geborene von Westphalen (1814 - 1881), für die 1848er Revolution und die Pariser Kommune fieberten. Bettina betonte: »Revolutionen sind nicht Verbrechen, aber die Folge davon.« Und Karoline klagte angesichts der Ausgrenzung von Frauen aus Bildung und politischem Geschäft ihrer Zeit: »Warum ward ich kein Mann!« Annette von Droste-Hülshoff (1797 - 1848) und Lou Andreas-Salomé (1861 - 1937) hingegen konnten sich für Revolutionen nicht erwärmen.
Allen vorgestellten Frauen ist gemeinsam, so Karla Dyck, dass sie »heute noch ermutigen können« - weil sie wissbegierig, vorurteilslos, sensibel waren und eine hehre ethische Gesinnung sowie soziales Gewissen aufwiesen. Mit ihrer Erzählung »Die Judenbuche« hat Droste-Hülshoff eine zeitlose Kritik an Judenhass und Judenfeindschaft hinterlassen. »Die Waffen nieder!« der Bertha von Suttner (1843 - 1914) war quasi das Gründungsdokument des Pazifismus. Und wie zeitgemäß ist leider auch noch deren Kritik: »Die bürgerliche Friedensbewegung bei uns ist wirklich von einer Schlappheit, die ihresgleichen sucht.« Es war für Karla Dyck »erfrischend« zu entdecken, wie sehr Bebels Buch »Die Frau und der Sozialismus« die junge Franziska zu Reventlow beeinflusste. Im Kapitel über sie erinnert die Autorin an die bereits erkämpfte und nach 1990 zurückgedrehte Gleichberechtigung der Frau in der DDR. Sie verweist zudem darauf, dass Franziska in ihrem Essay »Erziehung und Sittlichkeit« sich verwundert äußerte, dass staatlicherseits »Totschlag verboten, der Krieg aber erlaubt ist«.
Alle Lebensbilder sind unglaublich aktuell. Sie sind einfühlsam verfasst, die jeweiligen historischen Kontexte einbeziehend. Die Autorin erläutert ihren Zugang zu den Porträtierten und begründet ihr Interesse an diese. Karla Dyck begnügte sich nicht mit der Wiedergabe von biografischen Stationen, ausgiebig zitiert sie aus Briefen und Schriften und spiegelt die Vergangenheit in der Gegenwart. Vorangestellt ist jedem Porträt ein Zitat, so bei Sophie von La Roche: »Nützlich sein ist der Wunsch edler Menschenfreunde und Tätigkeit ihr wahres Leben.«
Zu Jenny Marx schreibt Karla Dyck: »Mit ungewöhnlicher Intelligenz, Mut und Fleiß, Liebe und natürlicher Schönheit behaupte sie sich an der Seite eines der größten Denker der Menschheitsgeschichte als eigenständige Persönlichkeit.« Die Autorin ist voller Bewunderung für Jenny, die trotz Leid, Verfolgung, Vertreibung, Exil, Bespitzelung, Hetze, Armut, Krankheiten und frühen Todes von vier Kindern menschliche Größe bewies. Karla Dyck bezieht sich auf deren Erinnerungen, »Kurze Umrisse eines bewegten Lebens« von 1865, würdigt sie als Theaterkritikerin und emsige Briefschreiberin. Sie zweifelt, dass Jenny von Marxens Vaterschaft für Frederick Demuth wusste. Dies behauptete Jennys Großneffe, Lutz Graf Schwerin von Krosigk, später Hitlers Finanzminister, im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess verurteilt. Dessen Enkelin ist die AfD-Funktionärin Beatrix von Storch, deren anderer Großvater SA-Standartenführer Nikolaus Erbgroßherzog von Oldenburg war, der 1941 bei Himmler um »Güter im Osten« bettelte. Sic!
Von Karla Dyck wünscht man sich mehr, eine Fortsetzung ihrer Geschichten von und über kluge, selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen. Ob blaublütig oder nicht.
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