Es gibt was zu holen

Dank staatlicher Wirtschaftshilfe wächst auch in der Pandemie die Zahl der Millionäre. Der Zeitpunkt für höhere Steuern auf Vermögen ist günstig

Das Bündnis »Wer hat, der gibt« ruft am heutigen Samstag zum Aktionstag auf. Angesichts von Pandemie und sozialer Krise fordert das Bündnis, die »Hyperreichen in die Pflicht zu nehmen«. Und zwar durch eine Vermögensabgabe, durch Vermögens- und Erbschaftsteuern und höhere Spitzensteuersätze. Tatsächlich hat die Krise den Vermögenden - zumindest im Durchschnitt - nicht geschadet, im Gegenteil. Sie sind vor allem dank staatlicher Hilfe deutlich reicher geworden, und dieser Reichtum wird langsam zum Problem.

2020 war ein gutes Jahr für Millionäre. Laut Unternehmensberatung Cap Gemini überschritt die Zahl der »High Net Worth Individuals« (HNWI) weltweit die 20-Millionen-Grenze. HNWI sind Personen mit einem investierbaren Vermögen von mindestens einer Million US-Dollar, wobei Hauptwohnsitz und Verbrauchsgüter wie Jachten schon abgezogen sind. Das Vermögen dieser Gruppe wuchs laut Cap Gemini im Pandemiejahr 2020 um 7,6 Prozent auf über 80 Billionen Dollar. Von diesen wertvollen Individuen lebten laut Cap Gemini 1,54 Millionen in Deutschland, 69 100 mehr als 2019. Ihr Vermögen vermehrte sich 2020 um knapp sieben Prozent, im Vorjahr waren es fast neun Prozent.

Die Schweizer Bank Credit Suisse fasst den Begriff des Millionärs weiter und rechnet sämtliche Vermögensgegenstände mit ein. So kalkuliert legte die Zahl der Reichen in Deutschland 2020 um 633 000 auf fast drei Millionen Personen zu. Inzwischen gehörten 4,3 Prozent aller deutschen Erwachsenen zu dieser Gruppe - fünf Jahre zuvor waren es nur 2,5 Prozent. Der starke Anstieg ist allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass die Bank die Vermögen in Dollar berechnet und die Aufwertung des Euro die Vermögen in Deutschland dadurch rechnerisch erhöht.

Im Mittel sind die Deutschen damit laut Credit Suisse im vergangenen Jahr um 40 000 Dollar reicher geworden, jeder Erwachsene verfügt über knapp 270 000 Dollar. Doch das ist nur Statistik. Denn real verteilen sich die Vermögen sehr ungleich. So besitzt nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) das reichste ein Prozent der erwachsenen Bundesbürger fast ein Drittel des Gesamtvermögens, den reichsten zehn Prozent gehört mehr als zwei Drittel.

»Wir wollen eine eine radikale Umverteilung des Vermögens« - Das Bündnis »Wer hat, der gibt« ruft für das Wochenende zu Demonstrationen und Aktionen in 18 Städten auf

Woraus besteht der Reichtum der Reichen? Vor allem aus Finanzanlagen wie Aktien und Anleihen, aus Immobilien und aus dem Betriebseigentum. Allein das Betriebsvermögen der Privathaushalte summiert sich in Deutschland laut Wirtschaftsforschungsinstitut IW auf über drei Billionen Euro. Gleichzeitig, so merkte die Bundesbank bereits vor Jahren an, sind »Betriebsvermögen ebenso wie Aktienvermögen bei den vermögenden Haushalten im oberen Teil der Verteilung konzentriert und eine der am ungleichsten verteilten Vermögensarten«. Der Immobilienreichtum ist zwar breiter in der Bevölkerung verteilt, viele Deutschen haben ein Haus oder eine Wohnung. Doch da sie darin leben, ist dieser Reichtum nicht frei verfügbar oder veräußerbar - reich ist nicht unbedingt, wer ein Haus hat, sondern wer das Haus eines anderen hat.

Es sei seltsam, so Credit Suisse, dass die Vermögen besonders in jenen Ländern stark gewachsen sind, die von der Pandemie am stärksten betroffen waren. »Der Kontrast zwischen der Vermögensentwicklung und dem, was in der Wirtschaft geschehen ist, war nie stärker.« Die Erklärung dafür sind die außerordentlichen Summen, die gerade die Industriestaaten zur Stützung ergriffen haben. Sie pumpten Billionen in ihre Ökonomien und hielten sie so am Laufen, was die Geschäfte der Unternehmen stützte. Dies ließ die staatlichen Schulden wachsen. Um sie finanzierbar zu machen, kauften die Zentralbanken für weitere Billionen Staatsanleihen auf, was die Zinsen drückte.

Während in der Folge die Schulden anschwellten, profitierten die Reichen von dieser doppelten Staatshilfe: Erstens dämpfte die staatliche Hilfe den Einbruch der Gewinne der Unternehmen, derzeit erholen sie sich rasant. Zweitens drückte die Politik der Zentralbanken die Realzinsen für Staatsanleihen deutlich unter null Prozent, was für Investoren Aktien und Immobilien als Geldanlage attraktiv machte. Dies erklärt den Boom in diesen Sektoren. »Die Senkung der Zinsen«, so Credit Suisse, »hatte wohl den größten Einfluss auf die Entwicklung von Aktien- und Immobilienmärkten« - und damit auf das Vermögen der Reichen, denen Aktien und Immobilien gehören.

Damit setzt sich ein Trend fort, der bereits seit Jahrzehnten anhält: Die Vermögen wachsen schneller als die Wirtschaftsleistung, trotz periodischer Finanzkrisen, die von den Staaten regelmäßig mit neuen Schulden aufgefangen werden, um eine Entwertung der Finanzvermögen zu verhindern. So wuchs zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands laut Natixis seit 1990 um durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr. Die Vermögen brachten dagegen eine Durchschnittsrendite von 6,8 Prozent. In anderen Ländern seien »dank eines abnormalen Zuwachses bei den Finanzanlagen« ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Ursache dafür seien zum einen die niedrigen Zinsen und zum anderen eine sehr hohe Kapitalrendite der Unternehmen, die in den vergangenen Jahren in den USA bei sieben Prozent liegt und in der Eurozone bei zehn bis zwölf Prozent.

In der Folge steht den laufenden Einkommen - gemessen im BIP - ein immer größeres Vermögen gegenüber. Hatte das Gesamtvermögen - Aktien, Anleihen, Immobilien, Geld - 1990 in den USA und der Eurozone noch einen Wert von 350 Prozent des BIP, waren es vor Corona etwa 600 Prozent und heute etwa 650 Prozent, errechnet Natixis. »Langfristig sehen wir in den USA und der Eurozone eine Erhöhung des Verhältnisses von Vermögen zu Einkommen, also dem BIP, und eine Erhöhung der Vermögensungleichheit«, schreibt die Bank. Wesentlicher Grund dafür seien Wertsteigerungen bei bestimmten Investments wie Aktien und Immobilien - »also bei den Investments, die vor allem von Haushalten mit dem höchsten Einkommen und dem größten Vermögen gehalten werden«. Als mögliche Folgen dieser Entwicklung nennt die Bank zum einen »finanzielle Schocks, die starken Einfluss auf die Gesamtwirtschaft haben«, zum anderen eine wachsende Ungleichheit und in der Folge »soziale und politische Spannungen«. Die Gesamtwirtschaft wiederum profitiere kaum von dieser Vermögensaufblähung, da der gewachsene Reichtum in »unproduktive, spekulative Anlagen fließt anstatt in die Finanzierung zusätzlicher Produktion«. Insgesamt, so Natixis, sei der Effekt auf die Wirtschaftsentwicklung negativ, da die steigenden Vermögenswerte zu Spekulationsblasen führen anstatt zu einer Stimulation der Investitionen.

Gestoppt werden könne diese Aufblähung auf zwei Arten: Entweder entwerten sich die Vermögen durch Finanzkrisen, oder sie werden durch Staaten besteuert. »Regierungen sollten eine Solidaritäts- oder Vermögensabgabe für jene erwägen, die in der Pandemie profitiert haben« - dieser Appell kommt nicht vom Bündnis »Wer hat, der gibt«, sondern von UN-Generalsekretär António Guterres. Zu holen gäbe es was: Laut Prognose von Credit Suisse wächst allein in Deutschland die Zahl der Millionäre bis 2025 auf 4,3 Millionen.

Das Geld könnte gut gebraucht werden. Denn angesichts der steigenden Schulden werden bereits Sparappelle laut. »Aufgrund der schwachen Wachstumsaussichten kommt die Sanierung der Staatsfinanzen in den hoch verschuldeten Staaten einer Herkulesaufgabe gleich«, mahnt die Deutsche Bank. »Auch niedriger verschuldete Staaten wie Deutschland stehen aufgrund der Alterung vor enormen Herausforderungen.«

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