Identitätspolitik machen die anderen

Am Mittwoch startet das Queerfilmfestival in elf Städten. Das Motto in diesem Jahr: »Jede*r hat das Recht auf Liebe«. Thematisiert wird damit unter anderem die queerfeindliche Politik in Russland

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 6 Min.

Menschen rennen durch einen Wald, in blaues Licht getaucht. Zwei blonde Jungen schwimmen aufeinander zu, in blaues Wasser getaucht. Der eine - Dima, eine Figur aus der Vergangenheit - wird für immer aus dem Leben des anderen verschwinden. Der andere, das ist der Soldat Sergey (Tom Prior), der das Theater liebt und Männer. Genauer gesagt, den Piloten Roman (Oleg Zagorodnii). Beide sind in den 1970er Jahren auf einer Militärbasis der UdSSR im heutigen Estland stationiert.

Eine zärtliche Sexszene, bei denen die beiden lachend aus dem Bett fallen, wird allzu bald von einem strengen Major gestört, der es sich zur Mission gemacht hat, herauszufinden, ob Roman schwul ist. Damit wäre dessen Fliegerkarriere beendet. Stattdessen entschließt er sich, das Verhältnis zu Sergey zu beenden - zumindest für den Moment. Im Laufe des Films »Firebird« entsteht eine komplizierte Dreiecksbeziehung zwischen Roman, Sergey und dessen bester Freundin Luisa.

Es handelt sich um den Eröffnungsfilm des Queerfilmfestivals, das in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindet. Vom 1. bis 5. September zeigt der Filmverleih Salzgeber 15 queere Filme in zehn deutschen Städten und Wien. Das Team versteht sich nicht als Kurator*innen, sondern will einen Raum bieten, »um die vorhandene Vielfalt an großartigen queeren Filmen abzubilden«, wie sie dem »nd« erklären. »Firebird« ist ein sehr politischer Film und er beruht auf wahren Begebenheiten.

Die Liebesgeschichte zwischen Roman und Sergey kann nur im Geheimen stattfinden, weil Artikel 121 sexuelle Handlungen zwischen Männern in der Sowjetunion unter Strafe stellte. Erst 1993 wurde dieser Artikel abgeschafft. Seit 2013 stehen in Russland allein positive Äußerungen über Homosexualität im Beisein von Kindern oder in den sozialen Medien unter Strafe, in vielen Regionen ist sogenannte »homosexuelle Propaganda« verboten. »Firebird« wurde zwar auf dem Internationalen Filmfestival Moskau gezeigt, doch das zweite Screening fand nach einer Beschwerde ohne Publikum statt.

»Sie haben alle Tickets storniert«, erzählt Regisseur Peeter Rebane aus Estland, für den dieser Film sein Spielfilmdebüt ist: »Sie haben ihn nicht im eigentlichen Sinne verboten, aber er wurde nicht mehr gezeigt.« Doch ein politischer Film ist er eben nur einerseits. Rebane und sein Co-Drehbuchautor Tom Prior haben sich wohl die Worte des echten Sergey, dem russischen Schauspieler Sergey Fetisov, zu Herzen genommen, der ihnen bei einem Treffen in Moskau gesagt habe: »Bitte machen Sie diesen Film über Liebe und nicht über Politik.«

Es ist nicht leicht, die Politik auszusparen, wenn es um Menschen geht, die durch ihr bloßes Sosein zum Politikum gemacht werden. Und doch gelingt es dem ganzen Festival sehr gut, die Liebe in den Mittelpunkt zu stellen. Empfehlenswert sind die Filme deswegen auch für so manche heterosexuelle Person, die gern mal auf sogenannte Identitätspolitik schimpft. Denn hier wird immer wieder klar: Die Menschen in diesen Filmen wollen einfach ihr Leben leben. Wollen studieren, sich verlieben, sich politisch engagieren, bezahlbar und in Würde leben und altern. Identitätspolitik, das machen die anderen. Jene, die das Leben dieser Menschen als »nicht normal« diskreditieren. Es sind Filme über Liebe und es sind Filme über das Herausfallen aus der Norm. Und das liegt nicht immer (ausschließlich) an der sexuellen Orientierung oder Identität der Protagonist*innen.

Das Motto des Festivals ist dem Kurzfilm »We Will Become Better« von Andzej Gavriss entlehnt, der sich kritisch mit der homophoben Gesetzgebung und dem queerfeindlichen Klima im heutigen Russland auseinandersetzt. Es lautet: »Jede*r hat das Recht auf Liebe!« Doch dass dieses Recht nicht nur in Russland keine Selbstverständlichkeit ist, das wird auf dem Festival auch deutlich. In »Hochwald«, dem Regiedebüt der österreichischen Drehbuchautorin Evi Romen, lässt sie eine Figur sagen: »In Rom sind alle schwul.« »Aber bei uns doch nicht«, entgegnet der Hauptcharakter Mario, der sich in der beklemmende Idylle eines österreichischen Bergdorfs zwischen Seilbahn, Bahnhofstoilette und Metzgerjob herumtreibt und seine Emotionen lautstark beim Tanzen in der Sporthalle seiner alten Schule ausdrückt - zum Missfallen der Sportlehrerin.

Nach einem islamistischen Terroranschlag, bei dem sein Freund Lenz getötet wird, ist er tagtäglich mit seiner Existenz als Störfaktor in seinem Heimatort konfrontiert. »Warum ist der Lenz tot und nicht du?« fragt ihn Lenz’ Mutter, kurz bevor sie ihm seinen Job in ihrer Weinkellerei kündigt.

In keinem Film wird diese Frage so radikal gestellt wie in »Hochwald«. Warum existierst du? Und: Warum existierst du so? Doch auch in vielen anderen Filmen des Festivals geht es um das Hadern mit der eigenen Existenz, als Künstler*in, als queere Person, als Mensch, der sich den gesellschaftlichen Erwartungen entzieht. So auch in dem Biopic »Tove« von der finnischen Regisseurin Zaida Bergroth. Sie erzählt das Leben der finnlandschwedischen Schriftstellerin Tove Jansson (1914-2001), der Schöpferin dieser nilpferd-ähnlichen Trollwesen namens Mumins. Der Spielfilm ist einer von drei Filmen des aktuellen Queerfilmfestivals, der sich mit lesbischem Leben beschäftigt.

Auch Tove will nicht so ganz in ihre Welt passen. Als unverheiratete Frau im Finnland der 1940er Jahre malt sie Frauen rauchend und karikiert Adolf Hitler. »Das ist keine Kunst«, bekommt sie von ihrem berühmten Vater, dem Bildhauer Viktor Jansson über ihre »Kritzeleien« zu hören, mit denen sie später berühmt werden sollte. Im Gegensatz zu anderen, experimentelleren Filmen des Festivals, wie zum Beispiel »Borderline«, ist »Tove« klassisch erzählt. Tove verliebt sich in die Theaterregisseurin Vivica, die ihre Kunst fördert, ihre Liebe aber nicht auf die gleiche Weise erwidert. Und sie führt eine offene Beziehung mit dem sozialistischen Zeitungsmacher Atos, der sie heiraten würde. Mit beiden bleibt sie Zeit ihres Lebens befreundet, auch als sie längst keine Geldsorgen mehr plagen.

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Ein großer Gewinn für das Festival ist der Dokumentarfilm »Genderation«, der bei der Berlinale im Panorama-Programm lief. Die Regisseurin Monika Treut trifft hier die Protagonist*innen aus ihrem ersten Film »Gendernauts« von 1999 wieder, in dem sie die Trans-Bewegung in San Francisco porträtierte. Viele der einstigen Pionier*innen können es sich heute kaum noch leisten, in der Metropole zu leben. Neben ihrem andauernden Kampf für die Rechte von Trans-Personen sind ihre Themen heute auch Gentrifizierung, Altersarmut und Klimawandel. Ohne den Film wäre ein großer Teil der Protagonist*innen auf dem Festival jung, männlich, weiß, gut aussehend - und gar nicht so divers, wie man es sich von einem queeren Filmfestival wünschen könnte. Sehenswert ist es trotzdem.

Das dritte Queerfilmfestival findet vom 1.-5. September in ausgewählten Kinos in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Köln, Leipzig, Magdeburg, München, Nürnberg, Stuttgart und Wien statt: www.queerfilmfestival.net

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