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Omikron macht große Sorgen
Die neue Virusvariante kann sich rasend schnell verbreiten - Wissenschaftler warnen davor, jetzt zu wenig zu tun
Die noch recht neue Sars-CoV-2-Variante Omikron macht zunehmend Sorgen. Vor allem im Spikeprotein weist das Virus sehr viele Mutationen auf, und kann damit schlechter durch Antikörper neutralisiert werden. Die Version des Virus entkommt also einer teilweise bestehenden Immunität, etwa durch Impfung oder überstandene Infektion, absehbar zumindest teilweise besser als die Delta-Variante. Hinzu kommt, dass sich Omikron sehr schnell verbreitet. In Großbritannien verdoppeln sich die Infektionszahlen aktuell alle zwei bis drei Tage. Der R-Wert, die Reproduktionszahl, liegt bei 3,7 - das heißt, zehn Infizierte stecken dort 37 weitere Menschen an.
Überrascht von dieser hohen Geschwindigkeit bei der Ausbreitung ist auch Dirk Brockmann. Der Physiker leitet eine Forschungsgruppe zu komplexen Systemen am Institut für Theoretische Biologie an der Berliner Humboldt-Universität. Außerdem leitet er die Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert-Koch-Institut. Brockmann beobachtet nur geringen Widerstand in den Wirtspopulationen - das ist aktuell die Bevölkerung von Südafrika, Dänemark und Großbritannien. Erste Ansteckungen wurden auch schon in Deutschland festgestellt.
Bei einer Veranstaltung des Science Media Centers am Mittwoch erklärte Sandra Ciesek, leitende Virologin an der Universität Frankfurt am Main, dass die deutliche Immunflucht mit der starken Verbreitung zusammenhängt. Der Schutz vor der Omikron-Infektion sei sehr unterschiedlich: »Bei jenen, deren erste beiden Impfungen ein halbes Jahr zurück liegen, gibt es kaum Schutz vor einer Infektion. Nach einer Booster-Impfung steigt der Infektionsschutz wieder auf 58 bis 75 Prozent an, fällt aber nach drei Monaten wieder ab.«
Zur Immunantwort auf die Ansteckung erklärt Christoph Neumann-Haefelin, dass das Virus zwar gut entkommen kann, wenn der jeweilige Wirt, also der Mensch, nicht gerade frisch geboostert ist. Jedoch können die T-Zellen, die aus Sicht des Internisten kaum vermindert sein sollten, die Krankheit immer noch kontrollieren. Neumann-Haefelin arbeitet am Universitätsklinikum Freiburg zur Virusimmunologie. Der Schutz vor der Erkrankung ist also bei dreifach Geimpften besser als der Schutz vor der Ansteckung. Das bestätigt auch Ciesek - aber unter Vorbehalt, denn noch gebe es keine systematischen Daten für Deutschland. Deshalb könne jetzt noch nichts zur Schwere der Erkrankungen gesagt werden. »Mit der Situation in Südafrika lässt sich das nicht eins zu eins vergleichen, da dort die Bevölkerung viel jünger ist und es viel mehr Genesene gibt.«
Es könnte also auch in Deutschland zu einer stark dynamischen Ausbreitung kommen, warnt der Berliner Physiker Brockmann: »Das Virus trifft hier auf 20 Prozent geboosterte Leute. Die restliche Bevölkerung kann zur Ausbreitung genutzt werden.« Wenn nicht sehr viele Maßnahmen dagegen getroffen und von jedem Einzelnen eingehalten werden. Deshalb hält er es ebenso wie die Virologin Ciesek für keine gute Idee, jetzt bei dreifach Geimpften auf das Testen zu verzichten. Die Gefahr bestehe, dass sehr viele Menschen gleichzeitig erkranken, unter anderem in Einrichtungen des Gesundheitswesens, wo die Boosterimpfung mitunter schon drei Monate zurückliegt.
Leichte Hoffnung macht, dass in Dänemark eine Hospitalisierungsrate (also die Zahl der Krankenhauseinweisungen pro 100 000 Einwohner) von »nur« 0,8 für Omikron festgestellt wurde - für die Delta-Variante liegt sie bei 0,7. Ciesek warnt für diese Angaben aber vor großen Unsicherheiten und merkt an, dass erst niedrige absolute Zahlen vorliegen. Es sollte zugleich zu denken geben, dass in Dänemark jetzt mit bis zu 10 000 Omikron-Neuinfektionen pro Tag gerechnet wird - und zwar bei einer Impfquote von 78 Prozent. Hingegen reagiere die dänische Regierung vorbildlich schnell mit Eindämmungsmaßnahmen.
Auch für Deutschland gelte das »Flatten the curve« aus der ersten Covid-19-Welle, fordert Neumann-Haefelin: »Es ist auf jeden Fall sinnvoll, die Zahlen gering zu halten: Viel testen, schnell boostern.« Alle Mittel zu nutzen, empfiehlt auch Ciesek: Die Vorgaben für Abstand, Hygiene und Lüftung sollten streng eingehalten werden. Der Berliner Forscher Brockmann meint ebenfalls, dass nicht mehr lange nachgedacht werden sollte: »Es ist besser, zu viel als zu wenig zu tun.«
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