Alles Omikron oder was

Ein Subtyp der Coronavirus-Variante übernimmt steigende Anteile am Infektionsgeschehen. Das könnte die jetzige Welle verlängern

Die vereinbarten Lockerungsübungen von Bund und Ländern beruhen auf Prognosen zum weiteren Verlauf der derzeitigen Corona-Welle. Diese erreichte in Deutschland offensichtlich vor einigen Tagen ihren Scheitelpunkt und ist seither deutlich im Fallen begriffen. Ein klarer Hinweis auf die erreichte Trendwende ist der Reproduktionswert, der aussagt, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt: Er geht schon seit dem 20. Januar zurück und liegt laut Robert-Koch-Institut (RKI) aktuell bei 0,9. Ein Wert unter eins bedeutet, dass es immer weniger Neuinfektionen gibt.

Der deutsche Lockerungsplan, laut dem am 20. März so gut wie alle Maßnahmen fallen, hat epidemiologisch zur Grundlage, dass die Omikron-Welle genauso steil zurückgeht, wie sie sich aufgebaut hat. Dafür gibt es empirische Belege aus Ländern wie Großbritannien, die uns einige Wochen voraus sind. Mit Blick auf die Krankenhäuser ist es zudem äußerst positiv, dass die Omikron-Variante, die für weniger schwere Erkrankungen sorgt, Delta in Deutschland fast komplett verdrängt hat. Der Anteil der gefährlicheren Variante an den sequenzierten Infektionsfällen sank schon im Dezember von fast 100 auf 45 Prozent. Vergangene Woche lag er laut RKI bei 2,0 Prozent. Diese Entwicklung war absehbar, da Omikron noch etwas infektiöser als Delta ist und vor allem den Impf-Immunschutz viel besser austrickst.

Virologen schauen aber etwas stirnrunzelnd auf ein Detail der aktuellen Statistiken. Die zuerst in Südafrika entdeckte Omikron-Variante ist – wenig überraschend – selbst bereits mutiert. Das RKI spricht aktuell von drei Sublinien. Nun spielen bei Viren die meisten Mutanten keine Rolle im Infektionsgeschehen, sondern verschwinden sofort wieder. Das dürfte auch bei Omikron der Fall sein, doch ein Untertyp wird mit rasch steigendem Anteil sequenziert: BA.2. In der vergangenen Woche lag er laut RKI bei 8,1 Prozent. In Ländern wie Dänemark führt man schon jeden zweiten Fall auf BA.2 zurück. Auch die Weltgesundheitsorganisation weist darauf hin, dass sich der Subtyp in vielen Ländern ausbreitet.

Daher sind Forscher längst dabei, dem Erfolgsgeheimnis von BA.2 auf die Spur zu kommen. Was man bisher weiß: Der Subtyp hat gegenüber dem ursprünglichen BA.1 einige Veränderungen im Spike-Protein, mit dem das Virus an den Körperzellen andockt. Da BA.2 eine charakteristische Mutation an Position 69 und 70 der Rezeptorbindedomäne fehlt, lässt sich der Subtyp mit manchen PCR-Tests nicht mehr nachweisen, sondern es braucht die vollständige Sequenzierung. Das aufwendige Verfahren wurde in Deutschland wegen der aktuellen Überforderung der Testlabore zurückgefahren. Das müsste jetzt aber überdacht werden, wie manche Experten fordern.

Die bisherigen Erkenntnisse beinhalten die gute Botschaft, dass BA.2 wohl nicht für schlimmere Erkrankungen sorgt als BA.1. Es scheint sich aber noch etwas schneller zu verbreiten, was den Erfolg erklärt. Ob das daran liegt, dass der Subtyp infektiöser ist oder dass er für mehr Immundurchbrüche sorgt, ist dabei unklar. Coronavirus-Experte Christian Drosten tendiert eher zu ersterer Hypothese und zieht im NDR-Podcast einen Alltagsvergleich heran: »Das Auto hat fast gleich breite Reifen, aber der Motor hat schon ein paar PS mehr.«

Die Unterscheidung ist für den weiteren Verlauf eher unwichtig, da das Ergebnis ähnlich wäre: eine zeitliche Streckung der Omikron-Welle. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck spricht von einem »Knick in dem absteigenden Ast«, sollte sich BA.2 durchsetzen, was aber noch spekulativ sei. »Wir könnten dann ein Plateau oder ein zweites Peak kriegen.«

In Großbritannien lässt sich dies längst beobachten: Dort gehen die Fallzahlen zwar weiter zurück, doch mit der BA.2-Häufung hat sich die sinkende Kurve schon vor einem Monat stark abgeflacht. Auf Deutschland übertragen, könnte das bedeuten: Wenn am 20. März die meisten Maßnahmen fallen, könnten die Infektionszahlen doch noch relativ hoch liegen. Das Virus hat eben seinen eigenen Zeitplan.

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