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Knotenpunkt transnationaler Kämpfe

Regisseurin Bianca Theis über Feminismus, Vernetzung und ihren Film »Bodies we take to the Streets«

Proteste wie hier in Berlin am 25.11.20, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, zeigen die transnationale Vernetzung feministischer Kämpfe.
Proteste wie hier in Berlin am 25.11.20, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, zeigen die transnationale Vernetzung feministischer Kämpfe.

Kürzlich hatte Ihr feministischer Dokumentarfilm »Bodies we take to the Streets« Premiere. Was steckt hinter dem Titel?

Bianca Theis
Bianca Theis (34) ist Video-Aktivistin und Filmemacherin in Berlin und seit 2017 Online-Redakteurin in der Bundesgeschäftsstelle der Linken. Sie studierte Dokumentarfotografie an der Ostkreuzschule Berlin und Kulturwissenschaften in Frankfurt/Oder. Seit 2014 ist sie Teil des selbstorganisierten Video- und Filmkollektivs »Leftvision« und realisierte zahlreiche Video- und Dokumentarfilmprojekte. 2021 wurde ihr erster Lang-Dokumentarfilm »Bodies we take to the Streets« fertig, der die transnationale Perspektive von feministischen Kämpfen zeigt.

Die Zeile stammt aus einem Text von Marta Dillon, Mitbegründerin der Bewegung Ni Una Menos in Argentinien. Ich fand den Text sehr inspirierend. Und die Zeilen verknüpfen so viel von dem, was feministische Bewegungen für mich bedeuten. »Bodies« steht dafür, dass feministische Kämpfe immer mit unserem Körper verbunden sind, wie etwa wenn es um Gewalt geht, um Geschlechtszuschreibungen und vieles mehr. Und »to the Streets«, dieses nach draußen auf die Straße tragen, sich den Raum als Frau zu nehmen, den öffentlichen, den politischen Raum, der in der binären Geschlechterzuschreibung eigentlich den cis-Männern vorbehalten ist. Ich finde, auf die Straße zu gehen mit vielen anderen Frauen und Queers, hat etwas sehr empowerndes.

Sie porträtieren fünf Frauen beziehungsweise vier Gruppen und ihre feministischen Kämpfe. Wen bekommen die Zuschauer*innen zu sehen?

Darunter ist Alicja von der »Collaboration of Liberation«. Das ist eine polnische feministische Gruppe in Berlin, der es darum geht, Kämpfe gegen das sehr restriktive polnische Abtreibungsgesetz auch in Deutschland sichtbar zu machen. Die Gruppe war Teil des vermutlich etwas bekannteren Kollektivs »Dziewuchy Berlin«, das 2016 den Czarny Protest (Schwarzen Protest) gegen die Verschärfung der Gesetze zur Abtreibung unter der PiS-Regierung organisiert hat.

Außerdem zeigt der Film die Arbeit von Denise vom »International Women* Space« (IWS). Die Gruppe zeigt Perspektiven migrantischer und geflüchteter Frauen in Deutschland, setzt sich für mehr Sichtbarkeit und gegen Diskriminierung ein. Der IWS gründete sich, als geflüchtete Frauen zusammen mit Feministinnen, die in der Hausbesetzungsszene in Berlin aktiv waren, einen Flügel der schon von Geflüchteten besetzten Gerhard Hauptmann Schule übernahmen und dort einen einen Women-Only-Raum machten. Es war quasi eine Besetzung innerhalb der Besetzung. Es ging vor allem darum, einen Raum für Frauen zu errichten, wo sich Frauen mit Frauen über die spezifische Situation austauschen konnten. Es gab Workshops, eine Bibliothek, Schlafplätze und auch Rechtsbeistand. Nachdem die Schule geräumt wurde, konnte die Gruppe andere Räumlichkeiten in Kreuzberg finden. Die Leute beim IWS wollen nicht andere über sich sprechen lassen, sondern dokumentieren und veröffentlichen ihre Erfahrungen mit alltäglicher Gewalt, Sexismus und Rassismus in ihren eigenen Worten. Ich finde auch, dass sie gleichzeitig Teil eines größeren Protests um politische Räume in der Stadt oder überhaupt um Lebensräume sind. Gerade in Berlin ist es zunehmend schwer, solche Räume zu behalten. Dabei sind sie Orte der Vernetzung und des Empowerments.

Dann geht es noch um Anthea vom »Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit«.

Das Thema der reproduktiven Gerechtigkeit passt super zu der Arbeit der anderen beiden Gruppen. Weil es eine andere, aber ergänzende Perspektive aufmacht: Bei den Kämpfen um sexuelle Selbstbestimmung geht es viel um das Recht auf Abtreibung. Aber selbstbestimmt über den eigenen Körper zu entscheiden beinhaltet auch, das Recht zu haben, Kinder bekommen zu können. Das war in feministischen Bewegungen lange nicht sichtbar. Das »Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit« macht deutlich, dass es neokoloniale und rassistische Politiken gibt, die Menschen auch heute noch daran hindern, Kinder zu gebären. Gleichzeitig verknüpft es Feminismus mit sozialer Ungleichheit von Schwarzen Frauen, People of Color und überhaupt marginalisierten Frauen. Diese Perspektive gibt es in den USA schon länger, in Deutschland ist sie noch neu.

Und die vierte Gruppe?

Das ist »Women defend Rojava« mit Valeria und Rosa. Sie sind im Grunde ein Positivbeispiel dafür, dass andere Strukturen möglich sind. Sie zeigen, wie in dem autonomen Gebiet in Syrien versucht wird, Gesellschaft anders zu gestalten. Spannend dabei ist der Versuch, Gewalt gegen Frauen anders anzugehen. Valeria erklärt das auch in dem Film. Sie hat jahrelange Erfahrung mit der Arbeit in einem deutschen Frauenhaus und meint, in Europa und Deutschland sei der Gewaltaspekt mit einem Ohnmachtsgefühl verbunden. Die Gewalt sei eben da und man versuche, etwa durch die wirtschaftliche Stärkung von Frauen, aus der Gewaltspirale herauszukommen. Das Problem wird so aber nicht an der Wurzel gepackt. In Rojava gibt es Frauenhäuser und Schutzräume, wo über Gewalt auch mit Männern gesprochen wird - sofern die Betroffenen das in dem Moment auch wollen. Das ist hier noch komplett unvorstellbar.

Wie lange haben Sie die vier Gruppen begleitet?

Ich habe Anfang 2020 angefangen zu filmen und habe sie ein knappes Jahr begleitet. Ich muss dazu sagen: Das war natürlich auch der Anfang der Corona-Jahre. Ich hatte zu Beginn andere Pläne und hätte auch gern Aktionen und Treffen der Gruppen gefilmt, aber das wurde alles abgesagt.

War das Ihr erster Film?

Nicht mein erster, aber schon das erste große Projekt. Zu Beginn meiner Schwangerschaft dachte ich, während meiner Elternzeit habe ich ja keinen Vollzeitjob, mache ich mal einen Film. Ich habe unterschätzt, dass das natürlich auch viel Arbeit ist mit einem Baby. Aber ich bin sehr froh, dass ich es geschafft habe und es hat mir beides auch viel Kraft gegeben. Es ist der erste Feature-Film, mit dem ich nun auch in Kinos gehe. Das habe ich bisher noch nicht gemacht.

Die Dokumentation spielt zwar in Berlin, aber Sie legen den Fokus auf transnationale Kämpfe. War das von vorn herein der gewünschte Fokus?

Das war tatsächlich meine Anfangsmotivation, diese transnationale Perspektive aufzumachen. Weil ich den Eindruck hatte, dass die in den Medien nicht behandelt wird. Natürlich hat man immer wieder Proteste feministischer Bewegungen mitbekommen: Demonstrationen gegen das Abtreibungsverbot in Argentinien, Streiks in Spanien und der Schweiz, die Proteste gegen den damals neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump oder auch Kämpfe in Chile, Libanon und Südafrika. Aber es wurde meist nur über ein Land gesprochen. Die Vernetzung fehlte und damit auch die Solidarität. Mir hat ein Film darüber einfach gefehlt. Über feministische Proteste aus unterschiedlichen Ländern zu sprechen und gleichzeitig die verschiedenen Problematiken nicht gleichzusetzen, ist die große Herausforderung dieses Films.

Warum spielt der Film nur in Berlin?

Es gibt hier in Berlin so viele coole, queerfeministische Bewegungen und Gruppen und es gibt diese Vernetzung. Wenn man auf eine Demo geht, sprechen FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und asexuelle Personen, Anm. d. Red.) aus der ganzen Welt. Berlin als internationale Metropole ist also Schauplatz und Knotenpunkt zahlreicher feministischer Bewegungen. Aber dass ich in Berlin geblieben bin, hatte natürlich auch etwas mit dem Budget zu tun. Manchmal kommt man aus der Not zu solchen Schlüsselideen und ich bin wirklich froh, dass ich in Berlin geblieben bin und von hier diese Transnationalität gezeigt habe.

Was ist das Empowernde und Emanzipative an dem Film?

Ich würde sagen, es ist der Moment des Zusammenkommens: Am Ende treffen alle Protagonistinnen bei der Demo am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November zusammen. Und es ist so ein Moment der Gemeinsamkeit zu sehen, obwohl es um unterschiedliche feministische Themen geht. Gemeinsamkeit in der Unterschiedlichkeit gibt auch viel Raum dafür, sich angesprochen zu fühlen und ein Teil feministischer Bewegungen und Kämpfe sein zu können.

Die Dokumentation ist produziert von einem feministischen Team. Was bedeutet das konkret?

Das bedeutet, dass die fast alle Mitschaffenden auch selbst feministisch aktiv sind. Alle sind auch aus politischen Beweggründen Teil der Produktion gewesen. Das heißt nicht, dass das alle umsonst gemacht haben, wobei natürlich auch Ehrenamt in so einer Produktion steckt. Und 99 Prozent der Menschen, die mitgewirkt haben, waren FLINTA. Das war mir auch wichtig.

Warum?

Weil es in der Filmbranche, gerade bei Dokumentarfilmen, immer noch so ist, dass dort überdurchschnittlich viele cis-Männer arbeiten. Gerade in Positionen wie Kamera und Schnitt. Man muss sich nur einen Abspann angucken - da bin ich immer wieder aufs neue überrascht. Denise vom International Women* Space ist selbst auch Filmemacherin und mit ihr bin ich im Austausch, eine Art Netzwerk aufzubauen. Oft braucht man eine Person für den Sound oder jemanden, der Farbkorrekturen macht, und dann kriegt man auf die Schnelle fünf Männernamen. Unser Anspruch ist es, das zu ändern und uns gegenseitig zu unterstützten.

Da schließt sich der Kreis zum Film.

Ja genau, richtig. (lacht) Vernetzung als etwas, das empowert.

»Bodies we take to the Streets«, Buch und Regie: Bianca Theis, Deutschland 2021, 62 Min. Der Film ist in verschiedenen Kinos in Berlin zu sehen.
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