Spurenelement falsch eingeschätzt

Aus Angst vor einer möglichen Strahlenbelastung kommt es aktuell zu Hamsterkäufen von Jodpräparaten

Aus Angst vor einem Atomschlag oder der Beschädigung ukrainischer Atomkraftwerke sind etliche Menschen auf die Idee gekommen, dass es sinnvoll wäre, jetzt vorbeugend Jodtabletten zu kaufen und auch zu horten. Das melden Apotheken aktuell aus vielen Bundesländern, darunter aus Nordrhein-Westfalen, Thüringen oder Sachsen, aber auch schon Hersteller. Aber diese Bevorratung an sich ist so wenig vernünftig wie das private Aufstapeln von Toilettenpapier - eigentlich noch unvernünftiger.

Wozu brauchen wir eigentlich Jod? Ohne dieses Spurenelement kann unsere Schilddrüse nicht funktionieren. Der menschliche Körper kann Jod nicht selbst herstellen und auch nur begrenzt speichern, aber der natürliche Weg der Aufnahme über die Nahrung ist in der Regel gesichert. Zumal Salz in der Mehrzahl der Fälle nur jodiert verkauft wird und diese angereicherte Version in vielen Lebensmitteln bereits enthalten ist.

Bei Schilddrüsenstörungen kann eine zu hohe Jodaufnahme problematisch werden: Die Zufuhr regt die Produktion von Hormonen in dem Organ weiter an - im Ernstfall kann das zu einer gesundheitlichen Krise mit neurologischen Ausfällen oder Koma führen.

Aber auch ohne diese Zuspitzung kann eine erhöhte tägliche Jodaufnahme die Bildung bestimmter Antikörper in der Schilddrüse anregen - diese Veränderung kann ein Hinweis auf eine Hashimoto-Thyreoditis sein. Patienten, die diese Diagnose bereits haben, sollten auf zusätzliche Jodpräparate oder eine einseitige Ernährung mit jodreichen Lebensmitteln verzichten. Das gilt jedoch nicht für Schwangere mit Hashimoto-Diagnose. Wegen dieser und weiterer gesundheitlicher Folgen raten jetzt diverse Einrichtungen sowie auch die Apotheken dringend davon ab, prophylaktisch oder ohne jede Empfehlung die entsprechenden Mittel einzunehmen.

Leidet jemand ohnehin an einer Überfunktion der Schilddrüse oder hat sogenannte heiße Knoten in diesem Organ, sollte vor der Einnahme unbedingt mit einem Arzt gesprochen werden. Das gilt auch für Menschen ab 45 Jahren, weil es bei steigendem Alter häufiger zu Schilddrüsenstörungen kommt. Unter den möglichen Nebenwirkungen noch die harmloseste ist eine Reizung der Magenschleimhaut.

Angestiegen ist die Nachfrage auf jeden Fall, wie aus Apotheken zu hören ist. Am Montag dieser Woche war bereits das einzige hoch dosierte Jodpräparat, Kaliumiodid Lannacher, nicht mehr zu bekommen. Seit Freitag nehmen beim österreichischen Hersteller Gerot Lannach Pharmazie die Anfragen extrem zu. Obwohl immer eine gewisse Reserve zur Verfügung stehe, sei auch diese aufgrund der explodierenden Nachfrage aktuell vergriffen, teilte das Unternehmen mit.

Nur sehr hoch dosierte Jodtabletten könnten aber unter anderem laut der NRW-Verbraucherzentrale bei einem nuklearen Katastrophenfall vor Schilddrüsenkrebs schützen. Diese Tabletten würden im Notfall über die Katastrophenschutzbehörden verteilt werden. Beim Bund ist ein Vorrat von fast 190 Millionen dieser Tabletten angelegt.

Aber auch in einem solchen Fall gibt es Einschränkungen: Die sogenannte Jodblockade ist nur sinnvoll bei einer Entfernung bis zu 100 Kilometern vom Ort des atomaren Unfalls, und sie darf weder zu früh noch zu spät erfolgen. Sonst könnte entweder auch radioaktives Jod aufgenommen werden oder das schützende Jod schon längst wieder zu Teilen abgebaut sein.

Die Einnahme von Jodtabletten schützt dabei ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, nicht vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe. Verängstigte Apothekenkunden haben aber nun bereits begonnen, niedrigdosierte Jodmedikamente zu kaufen. Von diesen müssten bis zu 500 Tabletten gleichzeitig eingenommen werden, um wirklich zu schützen. Zum Problem wird ein solches Verhalten aktuell für Patienten, die wegen eines Mangels auf die Einnahmen von Jod angewiesen sind. Ihre Versorgung könnte jetzt gefährdet werden.

Die NRW-Verbraucherzentrale warnte Anfang dieser Woche auch vor der vorbeugende Einnahme von jodhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln. Ebenso wie in Bezug auf Jodtabletten sei das »weder nötig noch sinnvoll«. Ein dauerhafter Jodüberschuss könne die Gesundheit gefährden. Auch die Sprecherin der Apothekerorganisation Abda, Ursula Sellerberg, hatte Ende letzter Woche das Horten von Jodpräparaten zum Schutz vor einer vermeintlichen Belastung aus einem ukrainischen Atomkraft als »Panikmache« bezeichnet. Das Bundesamt für Strahlenschutz schrieb via Twitter: »Wir empfehlen es nicht, einen persönlichen Vorrat anzulegen.«

Von einer selbstständigen Jodeinnahme rieten ebenso die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker wie auch das Bundesumweltministerium (das in Deutschland auch für die nukleare Sicherheit zuständig ist) ab: Das gesundheitliche Risiko sei erheblich, während die Einnahme aktuell keinen Nutzen habe. Das Bundesumweltministerium rät dazu, sich auf der Webseite des Bundesamtes für Strahlenschutz und auch über die Webseite www.jodblockade.de über die Entwicklungen zu informieren. Beide Webseiten würden bei relevanten Entwicklungen aktualisiert, hieß es.

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