- Kultur
- Laibach und Heiner Müller
Die Kunst dem Volke
Laibach, Sloweniens subversive Konzeptband, zeigt im Berliner HAU ein Heiner-Müller-Musical
Wer glaubt, dass das Musikgeschäft - der Name legt es bereits nahe - schon in Gänze dem Kommerz zum Opfer gefallen ist, mehr noch: dass das letzte bisschen Subkultur und jugendliche Rebellion mit der Musik Jahrzehnt um Jahrzehnt aufs Neue eine Kommerzialisierung erfahren, der hat nicht ganz unrecht.
Aber, kann man hier einwenden, was ist mit Laibach? Die 1984 gegründete Band, Teil der Neuen Slowenischen Kunst (NSK), unterläuft solche Zwangsläufigkeiten. Mit politischen und religiösen Symbolen lädt die Band ihre Auftritte auf, überschreitet dabei Grenzen bis hin zu einer »totalitären« Ästhetik und lässt damit keine Gewissheiten zu. Hier ereignet sich also vielleicht so etwas wie Kunst, kein massenindustrielles Gedöns mit Popanstrich.
Kurz vor der ersten Auflage des Lockdowns, im Winter 2020, feierte Laibachs Heiner-Müller-Musical »Wir sind das Volk« am Berliner HAU seine Premiere und tourte in Folge an einigen Theatern. Nun kehrt Laibach mit dem Programm zurück, und die Künstler zeigen nochmals an vier Abenden, was sie an dem DDR-Dramatiker finden.
Der hatte 1990 - das Gerede vom »Volk« hatte bekanntlich wieder Konjunktur - kritisch angemerkt: »Sobald das Wort ›Volk‹ fällt, werde ich doch mißtrauisch. Es ist nicht mein Volk. Ich hab sehr gut verstanden, gerade im Herbst vorigen Jahres, warum der Brecht immer darauf bestand, ›Bevölkerung‹ zu sagen statt ›Volk‹.« Dessen Texte hat Laibach nun gemäß einer neuen volkstümlichen Kunstform, dem Musical, nach einem Konzept von Anja Quickert, der Geschäftsführerin der Internationalen Heiner-Müller-Gesellschaft, kompiliert.
Der Abend ist eine Mischung aus theatralem Vortrag der Müller’schen Texte, beatbetonter Überwältigungsmusik und düsteren Bild- und Videoprojektionen. Äußerst respektvoll blicken die slowenischen Avantgardisten auf Leben und Werk von Heiner Müller. Weitgehend bekannte Texte werden hier mit einigen Fundstücken aus dessen Œuvre verwoben. Wer seine Texte schätzt, weiß, wie selten man das Vergnügen hat, diese von der Bühne her zu hören. Und wenn das doch der Fall ist, werden sie allzu oft zum Opfer eher platter Regieeinfälle.
Es ist eine hingegen auf Anhieb überzeugende Idee, Heiner Müller, der schriftstellernd den deutschen Identitäts-Komplex zu bearbeiten suchte, und Laibach, die Konzeptkünstler ohne Angst vor »bösen« Zeichen, aufeinandertreffen zu lassen. Gänzlich geht das nicht auf: Müllers Misstrauen vor dem Völkischen wird von Laibach hier eher musikalisch und bildlich unterstützt. Ihr Konzept der affirmativen Überidentifikation mit dem in der Literatur aufgeworfenen Thema Faschismus kommt nicht zum Tragen, und also wird die Möglichkeit zum ausgesprochen produktiven Widerspruch verschenkt.
Sei’s drum: Das Phänomen Laibach versteht nur, wer sich einmal deren »Gesamtkunstwerk« in einer Live-Performance hingegeben hat. Mit dem können die popkulturellen Berufsprovokateure hierzulande wahrlich nicht mithalten, trachten sie auch noch so sehr nach einem, fast immer auch ökonomisch lukrativen, Skandal.
Wenn man dazu der Sprachgewalt eines Heiner Müller lauschen darf, kann man eigentlich nichts falsch machen. Dessen Zeilen machen einem bewusst, dass es auch um die deutschsprachige Literatur einmal besser bestellt gewesen sein muss. Jedenfalls ist Müller nicht feige den neuralgischen Punkten der menschlichen Existenz im 20. Jahrhundert aus dem Weg gegangen, sondern hat sich ihnen schreibend ausgesetzt. Und so besteht ein Höhepunkt dieses sogenannten Musicals auch in der Darbietung eines dem israelisch-argentinischen Dirigenten Daniel Barenboim gewidmeten Gedichts aus Müllers Feder. »Seife in Bayreuth« überschrieben, endet es mit den eindringlichen Versen über deutsche Kontinuitäten: »Jetzt weiß ich, sage ich gegen die Stille / Was es heißt in der Hölle zu wohnen und / Nicht tot zu sein oder ein Mörder. Hier / Wurde AUSCHWITZ geboren im Seifengeruch«.
Nächste Vorstellungen: 25., 26., 27. und 28.3.
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