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»Wie wundervoll die Freiheit ist ...«
Der 77. Jahrestag der Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald ist überschattet vom Ukraine-Krieg und Ausschlussdiktaten
»O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann es erst ermessen wie wundervoll die Freiheit ist«, heißt es im Buchenwaldlied von 1938, verfasst vom erfolgreichen Schlagertexter der 20er und 30er Jahre, Fritz Löhner-Beda, der nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland verhaftet, zunächst nach Dachau, dann in das KZ auf dem Ettersberg bei Weimar deportiert sowie 1942 in Auschwitz ermordet worden ist. Die Melodie komponierte dessen Landsmann, der Buchenwald-Überlebende Hermann Leopoldi.
Die Schar der Zeitzeugen lichtet sich rasant. Im vergangenen Jahr starb Günter Pappenheim, der als 17-jähriger Lehrling ob seiner Unterstützung französischer Zwangsarbeiter nach Buchenwald kam und als einer der Vizepräsidenten des Internationalen Komitees sowie Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora vielfach an historischer Stätte zu den Gedenktagen an die Selbstbefreiung des Lagers am 11. April 1945 Reden hielt und immer wieder vor den Gefahren neuen Rechtsextremismus warnte.
Auch der ukrainische Buchenwald-Überlebende Boris Romantschenko fehlt; er ist vor knapp drei Wochen bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw getötet worden. Seiner gedachte man in diesen Tagen insbesondere. Knapp über einem Dutzend, 16 ehemalige Buchenwalder können beim diesjährigen Gedenken zugegen sein. Zu den wenigen authentischen Stimmen, die zum 77. Jahrestag noch zu Wort kommen, gehört Naftali Fürst aus Israel, 1932 in Bratislava in einer slowakisch-jüdischen Familie geboren, seit 1949 in Israel lebend und sich dort in der Gedenkstätte Yad Vashem engagierend. Am Samstag bekam der 90-Jährige die Ehrenbürgerschaft von Weimar verliehen. Auch Raymond Renaud erzählt in der deutschen Klassikerstadt seine Geschichte; der französische Jungkommunist war 1942 wegen Verteilung von antifaschistischen Flugblättern verhaftet und im Jahr darauf nach Deutschland verschleppt worden. Und der Rumäne Vasile Nussbaum, 1940 mit seiner jüdischen Familie nach Ungarn geflohen, berichtet, wie er ab 1944 Zwangsarbeit hatte leisten müssen für die deutsche Rüstungsindustrie (die sich heute wieder an Kriegsaufträgen labt); kurz vor der Befreiung vom Faschismus war er noch von Auschwitz auf den Todesmarsch nach Buchenwald getrieben worden.
Es sind in diesem Jahr und werden mehr noch in den kommenden Jahren vor allem die Nachkommen sein, die stellvertretend für die Verstummten Zeugnis ablegen müssen. Etwa Elsa Kvamme, Tochter von Elling Kvamme, der 1943 von den deutschen Okkupanten als Praktikant in einem Osloer Krankenhaus festgenommen und mit einige hundert anderen norwegischen Medizinstudenten nach Deutschland transportiert worden war, um im KZ Buchenwald zu einem »Musterarier« ummodelliert zu werden. In »The Doctor’s War« hat die norwegische Regisseurin das Schicksal ihres Vaters filmisch nachgezeichnet. Zu den ebenfalls weniger bekannten Kapiteln der Lagergeschichte zählt das Jazzorchester, im Sommer 1943 von tschechischen Häftlingen um Jiří Žáim in Buchenwald gegründet. Ihm gehörten 23 Musiker aus neun europäischen Staaten an, von denen einige nach dem Krieg Karriere am Pariser Revuetheater Lido oder am New Yorker Broadway machten.
Die Häftlingsgemeinschaften waren vielstimmig, vielsprachig. Ungeachtet weltanschaulicher und politischer Differenzen einte alle Überlebenden faschistischer Barbarei der Wille zur Wahrung von Freiheit und Frieden, die Ablehnung von Gewalt, Krieg und Inhumanität. Wenige Tage nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine klagte das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos in einer Erklärung den russischen Präsidenten der gezielten Kriegshetze an, der systematischen Kriegsvorbereitung und des rücksichtlosen Überfalls auf einen souveränen Staat »unter völliger Missachtung bestehender Verträge des Völkerrechts«. Es mahnte zugleich »das tiefe Leiden der großen Zahl sowjetischer Häftlinge« an, darunter mehrheitlich Russen und Ukrainer: »Sie wurden von den Faschisten gefangen genommen, deportiert und zu Tausenden ermordet.«
Ende März nun gab der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, bekannt, dass offizielle Vertreter*innen der Regierungen von Russland und Belarus dieses Jahr bei den Gedenkveranstaltungen »nicht willkommen sind«. Der aus Göttingen stammende Historiker (Jg. 1966) beteuerte: »Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht.« Tatsächlich stößt sie bei Überlebenden des deutsch-faschistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieges und nazistischen Terrors respektive deren Angehörigen nicht unisono auf Verständnis. Zumal es sich nicht um eine einsame ausschließende Entscheidung handelt. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) sieht »in einem solchen Verhalten nicht nur ein falsches politisches Signal, sondern einen Affront gegenüber den sowjetischen Opfern und ihren Angehörigen. Wir fragen uns, wie man beispielsweise der Befreiung des KZ Sachsenhausen gedenken will, wenn Repräsentanten der Streitkräfte, die die militärische Befreiung ermöglicht haben, ausgeschlossen werden. Das erinnert uns fatal an die Haltung der polnischen Regierung vor wenigen Jahren, als Vertreter Russlands von den Feierlichkeiten zur Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ausgeschlossen wurden und ein polnischer Minister sich zu der absurden Behauptung verstieg, Auschwitz sei von der Ukraine befreit worden, weil Soldaten der 2. Ukrainischen Front am 27. Januar 1945 das Vernichtungslager erreichten.« So der Kommentar der FIR vom 8. April
Die deutsche Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wiederum betont: »Es ist uns wichtig, zwischen der notwendigen Verurteilung des Kriegs in der Ukraine und der Erinnerung an die Toten des deutschen Faschismus deutlich zu unterscheiden.« Die Rote Armee habe als Teil der Anti-Hitler-Koalition »den entscheidenden militärischen Beitrag zur Befreiung auch unseres Landes von der faschistischen Barbarei geleistet«. Und: »In dieser Armee der Sowjetunion kämpften Seite an Seite Russ*innen, Ukrainer*innen, Vertreter*innen aller Völker der Sowjetunion.« Beide Organisationen warnen vor einer sich wiederholenden geteilten, parteiischen Erwägungen unterworfenen Erinnerung am 8. Mai, dem Tag der Befreiung. Historische Erfahrung lehrt jedenfalls, dass Instrumentalisierung aktueller Ereignisse der Rezeption von Vergangenheit schadet.
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