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- »Der Einzige und sein Eigentum«
Berliner Theatertreffen: Auf Nichts gestellt
Lieder von Sankt Max: Sebastian Hartmanns und PC Nackts Musical »Der Einzige und sein Eigentum« beim Theatertreffen
Kurz vor dem Ende der letzten Spielzeit hat uns das Deutsche Theater Berlin »Ein Musical nach Max Stirner« versprochen, wie der Untertitel zu »Der Einzige und sein Eigentum« lauten sollte. Nach der Premiere von Shakespeares »Der Sturm« in den Kammerspielen des ehrwürdigen Hauses in Berlin-Mitte wurde am Sonntag tatsächlich Max Stirners Gedankenwelt zum Saisonauftakt performativ zur Entladung gebracht, nun aber mit der harmloseren Bezeichnung »Ein Stück Musiktheater«. Ein bisschen lag aber gerade darin der Reiz: das Musical, dieses oft diffamierte Genre der Unterhaltungskunst, und Max Stirner, jenem Enfant terrible der Philosophie, zusammenzubringen. Auch wenn man den Begriff scheut, es bleibt ein Musical, womit wir es hier zu tun haben – eine Melange aus Schauspiel, Tanz, Gesang mit Nummerncharakter, die die Nähe zum Pop nicht scheut. Der Gegenstand dieses Bühnenabends ist allerdings nicht der Disney-Welt entlehnt, sondern zielt auf die großen, die schwindlig machenden Fragen.
Max Stirner, 1806 in Bayreuth geboren, ein halbes Jahrhundert später in Berlin gestorben, studierte bei Meister Hegel. Bald schon wurde er zu einer der zentralen Gestalten des Debattierzirkels der »Freien«, wo sich Sozialisten und aufrechte Liberale tummelten, und er korrespondierte auch darüber hinaus mit anderen oppositionellen Kräften seiner Zeit. Er entwickelte das Ideal des »Einzigen«, des »Eigners«, des von äußeren Zwängen freien Subjekts. Seine Philosophie ging vom Ich aus, das er zu befreien trachtete. Jedes Gesetz, jede Staatlichkeit war ihm nur eingrenzender Widerstand. Das unvollendete Projekt Aufklärung dachte er nur im Sinne eines solchen Solipsismus verwirklichen zu können.
Obgleich er wesentliche Gedanken Friedrich Nietzsches vorwegnahm, wurde er von den Nietzscheaner nicht geliebt. Auch Anarchisten vertrauten den Schriften Stirners nicht. Ein Protofaschist war er einigen Kritikern sogar. Friedrich Engels und Karl Marx geruhten den guten Materialisten, aber schlechten Klassenkämpfer »Sankt Max« zu nennen. Wer in den vergangenen 150 Jahren Geistesgeschichte Stirner der Vergessenheit enthob, tat das meistens, um sich von ihm abzugrenzen.
Es ist das Verdienst von Regisseur Sebastian Hartmann, gemeinsam mit dem experimentellen Musikkomponisten PC Nackt die poetische Qualität von Stirners Traktat ausfindig gemacht zu haben. Stirner, so wird hier offenbar, ist nicht nur Vorläufer späterer anarchistischer Denker, nicht nur Wegbereiter Nietzsches und existenzialistischer Philosoph avant la lettre, sondern er ist auch ein ein Säkulum zu früh geborener expressionistischer Literat. So abwegig erscheint die musiktheatrale Ausrichtung des Bühnenabends auf den zweiten Blick dann schon nicht mehr.
Wer Stirners seitenstarkes Hauptwerk »Der Einzige und sein Eigentum« nicht kennt – und wer tut das schon wirklich? –, dem mag das eine oder andere verborgen bleiben bei dieser Inszenierung. Sei’s drum, Spaß macht es trotzdem. Und Sebastian Hartmann ist kein Bühnenoberlehrer, der munter Biografien »nachspielen« lässt oder den Theorieerklärer gibt. Er mutet seinem Publikum gern Kunst zu, und für dieses knapp zweistündige Bühnenkunstwerk ist Stirner sein Ausgangspunkt. Wir haben es hier keineswegs mit einer systematischen Auseinandersetzung zu tun, aber mit einer überaus ästhetischen. Assoziativ und bildstark gerät die Inszenierung – und durchaus kurzweilig.
Das Goethe-Wort »Ich hab’ mein Sach’ auf Nichts gestellt« hat Stirner seinem Buch vorangestellt. Nach einem musikalischen Prolog betritt das sechsköpfige Schauspielerensemble die Bühne, bildet einen mehrstimmigen Chor der Individualisten und fragt: »Was soll Meine Sache sein?« So beginnt dieser düster-rauschhafte Theaterabend, den die herausragenden Darsteller um Linda Pöppel, Cordelia Wege und Elias Arens tragen. Die atmosphärische Elektro-Pop-Musik entwickelt einen meditativen Sog. Immer wieder bricht das Spektakel aus der sorgsam aufgebauten Stimmung aus, um den schrillen Musical-Charakter zuzulassen. Ohne jede Angst vor Unterhaltung.
Hartmann arbeitet nicht erst mit dieser Inszenierung an seinem Ruf als der große Existenzialist der Bühnenkunst. Das selbstbestimmte Individuum und die Möglichkeit der Freiheit in dieser Welt sind die Themen, die ihn interessieren – und mit diesem Interesse liest er auch Stirner. »Möglich, daß Ich aus Mir sehr wenig machen kann; dies Wenige ist aber Alles«, heißt es in »Der Einzige und sein Eigentum«. Hartmann und PC Nackt lassen daraus einen veritablen Ohrwurm werden. Sieht man dem Ensemble dabei zu, wie sie dem schöperischen Selbst ein Fest bereiten, ahnt man, wie gut diese beiden Sphären zusammenpassen: das Künstlertum und der Existenzialismus.
Neben PC Nackt ist Hartmanns entscheidender Partner bei dieser Produktion der bildende Künstler Tilo Baumgärtel, der für die Videoarbeiten verantwortlich zeichnet. Beide verbindet eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Baumgärtel entwirft zu dem kargen Bühnenbild, bei dem die Drehscheibe im Dauereinsatz das Weltgefüge als endlos kreisende Maschinerie zum Ausdruck bringt, visuelle Ergänzungen. In Retro-3D-Anmutung – dafür werden eigens die blau-roten Brillen aus den 90er Jahren verteilt – wird ein Bienenstaat projiziert: Was ist Freiheit? Was ist das Ich? So schallt das Echo der Fragen Stirners im Publikum beim Betrachten nach. Nirgends herrscht mehr Ordnung als bei den Insekten. Doch auch hier, zumindest in den hier aufgerufenen Bildwelten, ist die Auflösung von allem nicht fern.
Max Stirner, dieser keineswegs unproblematische Philosoph, ist dem Regisseur vor allem anderen ein künstlerischer Gegenstand. Sympathiebekundungen und Distanzierungsversuche verbieten sich da. Die Beschäftigung mit einem solchen Anti-Moralisten kommt vielleicht gerade zur rechten Zeit (obwohl auch das Loblied des Individualismus derzeit unüberhörbar laut geträllert wird). Dieser unbeschwerte – mittlerweile fast ungewohnte – Blick ist einnehmend. Und doch bekommt der ganze Theaterabend dadurch auch etwas Illustratives. Stirners Gedanken werden mit Bildern versehen, durch Klänge erweitert, aber es mangelt an darüber hinausgehenden Ideen, die szenisch aber durchaus entstehen könnten.
Es gehört auch etwas Mut dazu, »Der Einzige und sein Eigentum« zum Bühnenspektakel zu machen. Der scheinbare Widerspruch von Unterhaltungskunst und hoher Philosophie hält eine belebende Spannung bereit, aber am Ende verläuft dieses Stück Musiktheater im Sande. »Schließe deine Augen, denke nicht ans Licht, bis dies falsche Licht sich bricht«, heißt es am fortgeschrittenen Abend. Ein wenig Esoterik, eingängig, aber ohne sich erschließenden tieferen Sinn. Und so bleibt dann doch die Sehnsucht, hier hätte es – ob falsches oder richtiges Licht – mehr Brüche gegeben. Das Ausufernde, das man von anderen Inszenierungen Hartmanns kennt, wird hier vom revueartigen Charakter der Darbietungen verschluckt. Und so bleiben schließlich nur ein paar Bilder, ein paar atmosphärische Sounds, einigängige Melodien, aber nicht die große Frage Max Stirners an unsere Gegenwart. Aber vielleicht gibt es die auch gar nicht.
Nächste Vorstellungen im Rahmen des Theatertreffens: 14. und 22. Mai
www.berlinerfestspiele.de
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