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Sex und Besinnung
Gibst du mir Sexismus, gebe ich dir Avantgarde: Siegfried Schmidt-Joos zeigt, wie früher über Jazz in Deutschland geschrieben wurde
Hätten Sie’s gewusst? Fünf Jahre, bevor in den USA der »Playboy« erstmals erschien, wurde in Hamburg 1948 die »Gondel« gegründet, ein kleinformatiges Hochglanzmagazin für Männer, die sich halbnackte Frauen (damals noch ansatzweise verhüllt) anschauen wollten. Dieselbe Firma organisierte auch Wettbewerbe, bei denen die »Miss Germany« gekürt wurde. So weit, so sexistisch – aber: Die »Gondel« hatte eine achtseitige Beilage, das »Jazz-Echo«. Das war damals neben der Berliner »Melodie« in die einzige deutsche Publikation, in der regelmäßig über Jazz berichtet wurde. Diese »Beilage für die Jazzfreunde« wurde von Joachim Ernst Berendt betreut, der von 1947 bis 1987 die Jazz-Redaktion des Südwestfunks leitete, mit seinem 1953 erstmals erschienenem »Jazzbuch« zum bundesdeutschen Jazz-Papst aufstieg und in der halbseidenen »Gondel« unter dem Pseudonym Joe Brown schrieb.
1959 übergab er die Redaktion des »Jazz-Echos« an den damals 23-jährigen Siegfried Schmidt-Joos, der bei Radio Bremen Musikredakteur war und aus der DDR kam, wo er 1956 die erste Jazz-Serie im Fernsehen moderiert hatte. Berühmt wurde er mit dem »Rock-Lexikon«, das er 1973 mit dem RIAS-Moderator Barry Graves erstmals herausgab – bis heute immer noch das beste deutschsprachige Nachschlagewerk zum Thema. Aber eigentlich war Schmidt-Joos ein Mann des Jazz und Blues. Für die »Gondel« ergab das die eigentümliche Kombination aus trashig-obskurem Halbnackte-Frauen-Magazin und mehrseitigen Besinnungsaufsätzen über fortschrittliche Musiker wie Sonny Rollins, Bill Evans oder Don Cherry.
Im Kontext der »Gondel« wurde der Jazz einerseits der männlich dominierten Vergnügungswelt der Nachtklubs zugeschlagen, andererseits aber bildungsbürgerlich bearbeitet – wie ja der Jazz allgemein ab den Siebzigerjahren zum akademischen und damit auch latent weltabgewandten Thema wurde (was die Popmusik trotz aller neo-kulturwissenschaftlichen Anstrengungen von Greil Marcus, Diedrich Diederichsen und Mark Fisher bis heute nicht geschafft hat). Der Hauptaufsatz im ersten »Jazz-Echo«, das Schmidt-Joos 1960 betreute, hieß dann auch »Wider die Diktatur des harmonischen Gerüsts« und war dem Avantgardisten Ornette Coleman gewidmet, der gerade den Free Jazz mit seinem gleichnamigen epochalen Album erfunden hatte.
Wie auch im Kino wurde im Jazz in den Sechzigerjahren alles Wesentliche ausprobiert und durchgesetzt, was bis heute die Ästhetik bestimmt. Auf der einen Seite Nouvelle Vague und Autorenkino, auf der anderen Seite Miles Davis, John Coltrane und Peter Brötzmann. Das alles kann man mit dem lesenswerten Buch »Jazz-Echos aus den Sixties« nachvollziehen, das Siegfried Schmit-Joos nun herausgegeben hat. Darin finden sich seine Aufsätze und die von Autoren wie Joachim Ernst Behrend, Manfred Miller oder Mike Zwerin. Die heißen dann »Die Jazz-Seele des Frank Sinatra«, »Versuch über Jimmy Giuffre« oder »Die Saga von John Lee Hooker«. Mike Zwerin betont schon 1968, »dass alle Welt Jazz hört, ohne es zu wissen. Nun glaubt bloß nicht, dass sei jemals anders gewesen. Jazz hat seinen größten Einfluss immer nur als Einfluss gehabt.«
Siegfried Schmidt-Joos: Jazz-Echos aus den Sixties. Kritische Skizzen aus einem hoffnungsvollen Jahrzehnt. Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, 228 S., geb., 19,60 €
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