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Klimapolitische Gemengelage

Nord gegen Süd, Süd gegen Süd, Nord-Süd gegen Nord-Süd: die schwierige Suche nach Ergebnissen bei der UN-Konferenz COP 27

Der Außenminister des kleinen Südpazifikstaates Vanuatu hat die Faxen dicke: »Ziemlich frustrierend« seien die Verhandlungen im ägyptischen Scharm El-Scheikh, sagte Ralph Regenvanu am Donnerstag auf der UN-Klimakonferenz COP 27. »Wir haben keine Zeit mehr und wir haben kein Geld mehr und keine Geduld mehr.« Daher wolle man nun den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen anrufen, um die Frage klären zu lassen, wer für die Klimaschäden haftet. Bereits 80 Staaten, so der Minister, unterstützten den Vorstoß.

Es geht um die Finanzierung von »Loss and Damage« (Verluste und Schäden), wie das Thema bei den Klimaverhandlungen offiziell genannt wird. Dieses war über viele COP-Jahre so etwas wie der Elefant im Raum. Bei der UN-Konferenz in Ägypten, die eigentlich am Freitagabend hätte zu Ende gehen sollen, aber wohl noch bis Sonntag weiterlaufen wird, ist es erstmals offizieller Verhandlungsgegenstand. In der Nacht auf Freitag gab es einen ersten Entwurf dazu für die Abschlusserklärung, der mehrere Optionen beinhaltet: die sofortige Schaffung eines Fonds, eine Entscheidung in einem Jahr bei COP 28 oder eine allgemeiner gehaltene Formulierung.

Die Hauptverursacher der Erderwärmung sollen für die bereits entstehenden Schäden im Gefolge des Klimawandels aufkommen. Dies ist besonders brisant, denn hierbei könnte es um gewaltige Summen gehen. Außerdem formiert sich hier noch einmal ein klassischer Nord-Süd-Konflikt. Aus Scharm El-Scheikh verlautete, dass die 134 Mitgliedstaaten der G77-Ländergruppe des globalen Südens in seltener Einmütigkeit hinter der Forderung nach einem finanzstarken Fonds stünden und dies zum Knackpunkt der Verhandlungen erklärt hätten.

Die Industrieländer wollten das Thema möglichst klein halten. Von den USA kam zunächst die klare Ablehnung eines Fonds. Washington dachte wohl, es reiche, dass Präsident Joe Biden in der ersten Gipfelwoche wie ein Strahlemann neue US-Klimaschutzmaßnahmen und das Erreichen der eigenen Klimaziele vorstellte sowie vorgab: »Auf diesem Gipfel müssen wir unsere Klimaziele erhöhen. Die USA handeln, aber alle müssen handeln.« Doch diesmal dominiert eben die Frage der Finanzierung. Die USA hatten schon beim UN-Anpassungsfonds relativ geringe Summen mobilisiert, und angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den USA dürfte bei einem ganz neuen Fonds wenig zu erwarten sein.

Die EU als zweiter großer Klimawandelverursacher wollte zunächst ebenfalls mit Planübererfüllung bei der Minderung der Treibhausgasemissionen punkten und das Thema Klimaschutz nach vorne rücken. Der Brüsseler Kommissionsvize Frans Timmermans wies im Plenum darauf hin, dass die Europäer dank neuer Maßnahmen bis 2030 sogar minus 57 Prozent gegenüber 1990 schaffen werden statt wie bisher versprochen minus 55 Prozent. In Finanzfragen war man aber etwas spendabler als die USA und auch kompromissbereiter. Zum Bereich Verluste und Schäden stellte die deutsche Regierung eine Art Versicherungslösung vor, die aber bestenfalls eine kleine Ergänzung sein kann. Was die großen Summen angeht, wollte man eher private Gelder und vor allem die multilateralen Entwicklungsbanken ins Spiel bringen, was im Süden auf wenig Gegenliebe stößt: Der Fonds sei »ganz klar die Erwartung«, so die klare Botschaft aus den Reihen der G77.

Natürlich wissen längst alle Staaten, dass der Klimawandel längst katastrophale Folgen hat und es mit Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen allein nicht mehr getan ist. Laut Timmermans ist die EU durchaus bereit, über einen Entschädigungsfonds zu sprechen, aber nur wenn »alle großen Emittenten« hier einzahlen. Hier kommt die dritte CO2-Großmacht, China, ins Spiel. Peking zählt sich, wenn dies gelegen kommt, einfach selbst zu den Entwicklungsländern. Selbst einzahlen will man höchstens auf freiwilliger Basis. »Wir wissen alle, dass China und Indien große Verursacher von Emissionen sind, und die Verursacher müssen bezahlen«, hält Gaston Brown, der Premierminister des Karibikstaates Antigua und Barbuda dagegen. »Ich denke nicht, dass es einen Freifahrtschein für irgendein Land gibt.«

Daran zeigt sich, dass es die Verhandlungsposition des globalen Südens bei den Klimakonferenzen schon lange nicht mehr gibt, dass es Einigkeit bestenfalls bei einzelnen Punkten gibt. Die G77-Länder sind viel zu heterogen: bitterarme Staaten und wirtschaftlich boomende Schwellenländer, vulnerable und deutlich weniger vulnerable Länder, Rohstoffexporteure und -importeure. Das zeigt sich besonders beim Thema Klimaschutz. Bekanntlich sind die Staaten dieser Welt mit ihren bisherigen Emissionsminderungszielen weit davon entfernt, die 1,5-Grad-Obergrenze bei der Erderwärmung einzuhalten. Längst geht es nicht mehr nur um die Nachschärfung der nationalen Ziele, sondern auch um konkrete Maßnahmen. Fand bei COP 26 in Glasgow bereits das Ziel eines globalen Ausstiegs aus der Kohle Eingang in die Abschlusserklärung, soll dies in Scharm El-Scheikh erstmals auch für Öl und Gas gelingen. Die Hauptblockierer kommen aus der G77, darunter Iran, Saudi-Arabien und China. »Wir müssen aus fossilen Brennstoffen aussteigen, Punkt«, hält der UN-Botschafter der Fidschi-Inseln, Satyendra Prasad, dagegen. Indien sieht dies genauso. Insbesondere eine Nord-Süd-Staatenallianz unter Leitung Dänemarks und Costa Ricas setzt sich dafür ein, die Öl- und Gasförderung zu beenden.

Es gibt zahlreiche weitere Initiativen, in denen sich einige Länder aus dem Süden und dem Norden zusammengetan haben. Rund 120 Staaten unterstützen mittlerweile den »Globan Methane Pledge«, der das Ziel ausgegeben hat, die weltweiten Emissionen des besonders klimaschädlichen Treibhausgases Methan bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Die »Ambition on Melting Ice Coalition«, gegründet unter anderem von Chile, Island und Neuseeland, setzt sich für den Schutz der Kryosphäre, also der Gesamtheit der festen Vorkommen von Eis, ein. Aus ihrer Sicht ist das nicht nur eine Angelegenheit der Berg- und Polarnationen, »sondern ein dringendes globales Anliegen, da die größten Auswirkungen auf menschliche Gemeinschaften weit außerhalb dieser Regionen liegen«. Und Norwegen will nach dem Machtwechsel in Brasilien den Fonds zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes wieder in Gang bringen. Noch kleinteiliger ist die Konfliktlage in dem südamerikanischen Land, wo die Interessen des Agrobusiness und des Waldschutzes aufeinanderprallen: Hier versprechen die Gouverneure der meist rechts dominierten Amazonas-Bundesstaaten jetzt eine nachhaltige Entwicklung und wollen mit der neuen Zentralregierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zusammenarbeiten. Einen entsprechenden Brief übergaben sie in Scharm El-Scheikh.

Die unterschiedlichsten Bündnisse sind der Vielschichtigkeit des Themas geschuldet. Diese bringen einerseits Bewegung in die Klimaverhandlungen, machen diese aber andererseits zu einer komplexen Gemengelage. Die ägyptische Konferenzleitung, wie Beobachter es einschätzen, ist damit überfordert. Der überfrachtete erste Entwurf für die Abschlusserklärung beinhaltet 31 Punkte, von denen bis Donnerstagabend erst zwei geklärt waren. Wohl auch aus diesem Grund reiste UN-Generalsekretär António Guterres, gestärkt durch eine gemeinsame Erklärung zum Klimaschutz beim G20-Gipfel auf Bali, erneut nach Ägypten. »Ich rufe Sie zum Handeln auf – und zwar schnell«, sagte er dort.

Auch wenn bei den Klimakonferenzen meistens am Ende Hektik wegen ungelöster Fragen ausbricht, braucht man dort aber einen langen Atem. Das weiß man gerade auch in Vanuatu, das auf der Liste der durch Katastrophen besonders gefährdeten Staaten zeitweilig auf Platz eins lag: Dessen Regierung brachte die jetzt heiß diskutierte Frage von Entschädigungen erstmals auf – vor über 30 Jahren.

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