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»Er gehört zu uns«
Einmal Kommunismus und zurück: Die Ausstellung »1922 – George Grosz reist nach Sowjetrussland« in Berlin
Kennen Sie den? »Wer mit 20 kein Kommunist ist, der hat kein Herz, und wer es mit 40 immer noch ist, der hat kein Hirn«. Das soll Winston Churchill mal gesagt haben. Und der Künstler George Grosz soll nach 1923 aufgehört haben, Kommunist zu sein. Da war er 30. Hat er selbst so formuliert, 1955 in einem Brief an seinen Anwalt, da war er 61 Jahre alt.
Damals erschienen seine Memoiren »Ein kleines Ja und ein großes Nein« auf Deutsch, nachdem sie 1946 in New York herausgekommen waren. In der deutschen Ausgabe findet sich erstmals ein Kapitel über die Reise, die er 1922 ins Land der Oktoberrevolution gemacht hatte, das da nicht sonderlich gut wegkommt: Interessant, aber auch schlimm. Auf Bitten seiner linken Freunde hatte er es bei der Erstveröffentlichung noch weggelassen, wie er in seinen gesamten Memoiren auch seine Mitgliedschaft in der KPD verschweigt, man also nicht richtig versteht, was er überhaupt in Russland gewollt hat. Er sei im Auftrag eines »kommunistischen Verlags in Berlin« hingefahren, schreibt er lapidar, wobei er unterschlägt, dass es sich dabei um den von ihm mitbegründeten Malik Verlag handelte. Ein Vorabdruck dieses Kapitels erschien 1953 in der Westberliner Zeitschrift »Der Monat«, die war ebenso linksliberal wie streng antikommunistisch, denn sie wurde, wie heute allgemein bekannt ist, von der CIA finanziert. Denn es war Kalter Krieg und George Grosz war US-amerikanischer Staatsbürger – capisce?
Seinem Anwalt Alfred McCormack gegenüber hatte Grosz angegeben, er sei von 1919 bis 1923 Mitglied der KPD gewesen. Nach seiner Russlandreise habe er mit dem Kommunismus gebrochen, behauptete er später. Dazu muss man wissen: Erstens wurde die KPD nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 vorübergehend verboten, es war also durchaus opportun, seine Mitgliedschaft zu leugnen. Zweitens entwarf Grosz weiterhin Agitprop-Kunst für die Partei. Drittens gab es 1924 in Moskau die »Erste Allgemeine Deutsche Kunstausstellung« mit Werken unter anderem von Grosz, vorbereitet von der »Roten Gruppe« – dem ersten kommunistischen Künstlerbund, den Grosz 1921 gegründet hatte. Es kamen 40 000 Besucher in die Ausstellung, das waren damals sehr viele Besucher. Und viertens schrieb der sowjetische Journalist und Diplomat Konstantin Umanski 1924: »George Grosz gehört zu uns!«
Von diesen Fakten, Taktiken und Zuschreibungen handelt die neue Berliner Ausstellung »1922 – George Grosz reist nach Sowjetrussland«, die bis zum April im Kleinen Grosz Museum gezeigt wird. Sie basiert auf neuen Sichtungen in Moskauer Archiven, die aber zu Beginn des Ukraine-Kriegs abgebrochen werden mussten. Die Schau ist konstruktivistisch in revolutionärem Rot gehalten und einen lesenswerten Katalog kann man sich mit nach Hause nehmen. Am unspektakulärsten ist noch die Kunst, die Grosz anfertigte, als er 1922 in Norwegen auf ein Schiff nach Russland wartete. Skizzen und Zeichnungen von Häusern ohne Menschen. Die gesamte Reise dauerte dreieinhalb Monate. Grosz war unterwegs mit dem dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexø, der mit seinem mehrteiligen, autobiografischen Roman »Pelle der Eroberer« berühmt geworden war. Bei Malik war ein schmaler Band mit Erzählungen herausgekommen, den Grosz illustriert hatte.
Nexø war wie Grosz Kommunist – und in Petersburg war die Kommunistische Internationale! Da mussten sie natürlich dabeisein. Am 5. November begann der 4. Weltkongress der Komintern, der letzte, bei dem Lenin auftrat. Grosz schüttelte ihm die Hand. Der schon bald verfemte Leo Trotzki wurde damals noch als die Nummer zwei der Partei gehandelt. Grosz schenkte ihm ein Buch mit seinen Werken, die diesem aber nicht sonderlich gefielen. Sie seien »eher zynisch als revolutionär«, soll er laut seinem Vertrauten Max Eastman geurteilt haben. Lenin aber fand die Kunst von Grosz gut, ebenso Karl Radek, der sich mit ihm anfreundete und ihn auch später in Berlin besuchte. 70 Zeichnungen und Bilder, die er nach Moskau geschickt hatte, kamen nie an und gingen verloren.
In Petersburg und Moskau war Grosz meistens mit dem Schriftsteller Arthur Holitscher unterwegs, sie sind empathische Zaungäste der Komintern und der Revolution. Grosz trifft Wladimir Tatlin (der den nie realisierten riesigen »Turm der Dritten Internationale« plante), den Komintern-Chef Grigori Sinowjew, den Volkskommissar für Bildung Anatoli Lunatscharski und auch den deutschen Linkskommunisten Franz Jung, der sich später von der Sowjetunion abwandte. Sinojew wurde von Stalin umgebracht.
Anfang Dezember reist Grosz mit einem Dampfer zurück nach Deutschland, vorher veröffentlicht die Parteizeitung »Prawda« eine Sonderbeilage zum Komintern-Kongress mit einer Doppelseite über den politischen Künstler George Grosz. Sein expressionistischer-agitatorischer Stil war lange sehr beliebt in Russland und galt als geradezu vorbildlich – bis die Stalinisierung der Partei schlimmer wurde, die dann in den späten 30er Jahren im »Großen Terror« mündete. Die Werke von Grosz wurden letztmalig 1934 im Moskauer Museum gezeigt, im Rahmen einer »Gemälde-und-Grafik-Ausstellung ausländischer revolutionärer Künstler« anlässlich des 10. Todestages von Lenin. Danach wurde mit dieser Kunst abgerechnet, schon im Katalog zur Ausstellung hieß es über Grosz und Käthe Kollwitz, deren »antimilitärische Propaganda« weise eine »pazifistische Schattierung« auf und sei für die »vorrückende Bewegung des Proletariats« nicht zu gebrauchen.
»1922 – George Grosz reist nach Sowjetrussland«, Das kleine Grosz Museum, Bülowstr. 18, 10783 Berlin
Der Katalog ist in der Buchhandlung Walther und Franz König erschienen, 248 S., geb., 35€
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