Niemand ist immun

Maria Schrader erzählt in ihrem Hollywood-Film »She Said« die Geschichte zweier Journalistinnen, die den Produzenten Harvey Weinstein zu Fall brachten

Wie bringt man die Missbrauchsopfer dazu, ihr Schweigen zu brechen? Carey Mulligan (links) als die Reporterin Megan Twohey und Zoe Kazan als die Journalistin Jodi Kantor in »She Said«
Wie bringt man die Missbrauchsopfer dazu, ihr Schweigen zu brechen? Carey Mulligan (links) als die Reporterin Megan Twohey und Zoe Kazan als die Journalistin Jodi Kantor in »She Said«

Hollywood ist für seine Heldengeschichten bekannt. Jahrzehntelang wurden dort Filme produziert, in denen die Helden die Welt vor irgendwelchen Monstern gerettet haben. Dabei brauchte es nicht so viel Fantasie, war es gar nicht notwendig, sich Monster auszudenken; allein ein Blick auf Hollywood selbst hätte gereicht, um dort die tatsächlichen Monster zu finden, die längst ein Teil des Systems der Filmindustrie waren.

Das tut nun die deutsche Regisseurin Maria Schrader (»Unorthodox«, »Ich bin dein Mensch«) für Hollywood – und erzählt in ihrem in New York gedrehten und unter anderem von Brad Pitt produzierten Film »She Said« eine Geschichte realer Heldinnen, die das eigentliche Hollywood-Monster, den Produzenten Harvey Weinstein, zu Fall brachten. Das ist die Story eines 3300-Wörter-Artikels der zwei Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey, der die Welt verändert und die MeToo-Bewegung ins Leben gerufen hat.

Am 5. Oktober 2017 veröffentlichten Kantor und Twohey ihre Recherche unter dem Titel: »Harvey Weinstein Paid Off Sexual Harassment Accusers for Decades« (Harvey Weinstein fand jahrzehntelang die Klägerinnen der sexuellen Belästigung ab) in der »New York Times«. In dem Artikel deckten sie mithilfe von Beweismaterialien und Dokumenten auf, wie Weinstein und seine Anwälte etliche Frauen – Schauspielerinnen und Assistentinnen der Firmen Miramax und The Weinstein Company –, die Weinstein sexuellen Missbrauch vorgeworfen hatten, mit Abfindungen zum Schweigen brachten. Aus ihrer Recherche, für die die beiden Reporterinnen 2018 den Pulitzerpreis erhielten, machten Kantor und Twohey 2019 noch ein Buch. Schraders Film basiert auf diesem Buch.

»She Said« ist also nicht nur ein filmisches Werk, viel mehr auch ein juristischer Fall, bei dem jedes Detail, jede Aussage, jedes Wort genau überprüft werden sollte. Figuren werden mit realen Namen genannt. Jede Änderung im Drehbuch, das Rebecca Lenkiewicz geschrieben hat, sollte erstmals von Anwälten abgeklärt werden. So viel Spielraum für die kreative Arbeit gab es nicht. All das beeinflusst den Film natürlich. Zumal er noch den langsamen, nervenaufreibenden, geduldfordernden Prozess des Investigativ-Journalismus zeigt. So ist eine reale Heldinnengeschichte, auch wenn in Hollywood gedreht, eben etwas langatmig. Es geht darum, Quellen zu finden und Kontakte zu den Schauspielerinnen und anderen Missbrauchsopfern aufzunehmen. Erst dann beginnt die schwierigste Phase der Arbeit: Wie bringt man diese Frauen dazu, ihr Schweigen zu brechen und über sexuelle Gewalt zu reden?

Megan Twohey, die im Film von Carey Mulligan verkörpert wird, hat vor diesem Projekt Berichte über Donald Trump veröffentlicht, in denen sie einige Opfer der sexuellen Belästigung überzeugen konnte, ihr davon zu erzählen. Was sie jenen Frauen gesagt hat, ist der Schlüsselsatz dieser Geschichte: »Ich kann nicht ändern, was Ihnen in der Vergangenheit passiert ist. Aber wenn wir zusammenarbeiten, können wir Ihren Schmerz vielleicht nutzen, um anderen Menschen zu helfen.« Anfangs hatte Twohey selbst ihre Zweifel, ob sie bei Jodi Kantors Recherchen zum Fall Weinstein einsteigen sollte. »Als Investigativ-Reporterin versuche ich, den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Es fiel mir schwer, berühmte Schauspielerinnen als Opfer anzusehen, die auf die Hilfe der ›NYT‹ angewiesen sind«, sagte Twohey in einem Interview. Doch ein Argument Kantors (gespielt von Zoe Kazan) konnte sie endlich überzeugen: »Wenn selbst berühmten Schauspielerinnen so etwas passiert, spricht das dafür, dass niemand immun ist.«

Obwohl »She Said«, der bereits als Oscar-Kandidat gehandelt wird, komplett das Storytelling Hollywoods übernommen hat, kann man Maria Schraders Einfluss doch noch spüren. Einige ihrer wichtigen Entscheidungen waren, keine Vergewaltigungsszenen zu zeigen oder Weinstein nicht in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen. So ist Harvey Weinstein im Film nicht zu sehen, nur als wütende Stimme (Mike Houston) am Telefon zu hören: Ihm wurde die Möglichkeit gegeben, zu dem Artikel Stellung zu beziehen, stattdessen wollte er brüllend wissen, ob die Journalistinnen mit Gwyneth Paltrow gesprochen haben! Kurz vor der Veröffentlichung des Textes tauchte er tatsächlich mit lauter Anwälten in der Redaktion der »New York Times« auf. In dieser Szene sieht man ihn kurz von hinten. »›She Said‹ ist kein Film über Harvey Weinstein. Es ist ein Film über eine kleine Gruppe von hauptsächlich Frauen, die seine Verbrechen und das System, das ihn geschützt hat, aufgedeckt haben«, sagte Maria Schrader in einem Interview.

Dabei besteht ihr Team auch hinter der Kamera überwiegend aus Frauen. Die Dreharbeiten begannen in der Pandemiezeit im Sommer 2021, und Schrader hatte die Genehmigung, in den Redaktionsräumen der »New York Times« zu drehen. »Covid hatte wenigstens diesen einen Vorteil: Weil alle Redakteurinnen und Redakteure im Homeoffice saßen, hatten wir die ganze ›New York Times‹ für uns«, so Schrader.

Die einzige Schauspielerin, die damals bereit war, für den Artikel von Kantor und Twohey on the record zu gehen, war Ashley Judd. Im Film spielt sie sich selbst. Gwyneth Paltrow, die ebenfalls eine wichtige Quelle für die Story war, hat zunächst abgelehnt, mit eigenem Namen gegen Weinstein auszusagen. Eine Szene hat sie am Telefon selbst gesprochen. Fünf Tage nach dem ersten Artikel erschien ein zweiter in der »New York Times«, in dem weitere Schauspielerinnen – dieses Mal auch Paltrow – Weinstein sexuellen Missbrauch vorgeworfen haben. Daraufhin wurde der Hashtag #MeToo geboren.

Diese Hollywood-Geschichte hat zwar ein erfolgreiches Ende für ihre Protagonistinnen, aber kein Happy End. Wie viele MeToo-Skandale seitdem in der ganzen Welt aufgedeckt wurden, zeigt nur das erschreckende Ausmaß sexueller Übergriffe, wie alltäglich der Machtmissbrauch in allen Branchen und Betrieben ist. Und: Dass eben niemand immun ist.

»She Said«: USA 2022. Regie: Maria Schrader. Buch: Rebecca Lenkiewicz. Mit: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Samantha Morton und Ashley Judd. 129 Minuten. Start: 8. Dezember.

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