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Bis alles in Scherben fällt?
Manfred Weißbecker über den Machtantritt Hitlers, Ideologie und gesellschaftliche Triebkräfte sowie Gefahren heute
Vor 90 Jahren wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Woran sollte an diesem 30. Januar vor allem erinnert werden?
Professor Manfred Weißbecker, Jg. 1935, studierte Geschichte und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo er auch promovierte und sich habilitierte sowie über zwei Jahrzehnte einen Lehrstuhl innehatte – bis zu seiner Abwicklung 1992.
Der Faschismusforscher, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, ist Autor zahlreicher Bücher, darunter mit seinem Berliner Zunftkollegen Kurt Pätzold der ersten Geschichte der NSDAP im deutschsprachigen Raum, die 1982 in der DDR unter dem Titel »Hakenkreuz und Totenkopf. Die Partei des Verbrechens« erschien (Neuauflage 1998), sowie der ersten marxistischen Hitler-Biografie. Zudem war er Mitherausgeber eines viel beachteten vierbändigen »Lexikons zur Parteiengeschichte« und eines zweibändigen Lexikons historischer »Schlagwörter und Schlachtrufe«.
Nun, sicher daran, dass mit der von Hitler geleiteten sogenannten Regierung der nationalen Konzentration der Weg frei war für eine terroristische Diktatur sondergleichen, für ein Regierungssystem, das sich gegen alle anders Denkenden, gegen alle Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe richtete und das alles Leben einer barbarischen Herrschaftspraxis unterordnete. Zugleich an eine extrem nationalistische und rassistische Politik in bis dahin unbekanntem Ausmaß gegen andere Völker, insbesondere gegen Juden, ob alt oder jung, ob Mann, Frau oder Kind, ob arm oder reich. Und an die insbesondere im Osten und Südosten Europas auf dem Weg zum angestrebten »Großgermanischen Reich« praktizierte Unterdrückung, Vertreibung oder Ermordung von Millionen Menschen. Polen, Russen, Ukrainern und anderen Völkern und Ethnien war allenfalls eine Existenz als Arbeitssklaven zugedacht. Daher markieren deutscher Faschismus, der von ihm entfesselte Zweite Weltkrieg und der Genozid an den europäischen Juden zweifellos einen absoluten Tiefpunkt der Geschichte.
Die Nazis hinterließen Berge von Leichen.
Über 50 Millionen Tote und furchtbar verwüstete Länder. Dies erlebt zu haben und mit den Folgen leben zu müssen, hat sich tief in das Denken sowohl der Überlebenden als auch der Nachkommenden eingeprägt. Einen Abschluss kritischer Auseinandersetzung mit diesem schlimmsten Teil der deutschen und auch der europäischen Geschichte darf es nicht geben. Gerade auch, weil wir erneut in schrecklichen Kriegszeiten leben und sich furchterregende Perspektiven eröffnet haben. Ich sprach von einem Tiefpunkt der Geschichte, frage mich aber, ob nicht eher von einem Tiefpunkt bisheriger Geschichte zu reden wäre. Ob nicht eine Situation nahen könnte, in der alles, aber wirklich auch alles »in Scherben« zerfällt.
Das klingt nach einem Nazi-Lied.
Ja. Sein Titel lautete »Es zittern die morschen Knochen«. Der 1934 entstandene Text eines Haus- und Hofpoeten des braunen Regimes meinte, man müsse immer »weiter marschieren bis alles in Scherben fällt«. Er bejubelte das »ewig germanische Wesen« sowie »Frontkameradschaft«. Die Welt habe Deutschland zu »gehören«, hieß es darin ursprünglich. Später formulierte man vorsichtiger, alle hätten auf Deutschland zu »hören«, wobei sogleich das »Gehorchen« der anderen mitgedacht wurde. Ein Lied also für andauerndes, nicht enden sollendes Großmachtstreben und pure völkisch-rassistische Menschenverachtung.
Wie würden Sie den von den deutschen Faschisten entfesselten Zweiten Weltkrieg charakterisieren?
Er ist geplant, vorbereitet und schließlich geführt worden als ein Eroberungs-, Bereicherungs- und rassistischer wie kolonialistischer Vernichtungskrieg. Um dessen Ziele erreichen zu können, wurde mit dem Bild vom Marschieren militärisches Denken und Handeln zu einer alles überwölbenden Norm erhoben. Marschiert wurde in den Krieg, im Krieg und schließlich immer weiter auch in die Niederlage. Die sinnlose Alternative lautete: »Endsieg« oder totaler Untergang.
Wer über 1933 redet, muss also auch an 1945 denken?
Und noch weiter. Es ist unglaublich und unbegreiflich, dass heute erneut bedenkenlos, unvernünftig und menschenverachtend »marschiert« werden kann – und ein mögliches Zertrümmern der ganzen Welt in Kauf genommen wird. Der seit fast einem Jahr geführte Krieg auf ukrainischem Boden könnte sich ausweiten. Im Unterschied zu den circa 240 Kriegen seit 1945 sowie zu den ungezählten gewaltsamen Massenkonflikten in aller Welt hat der als »militärische Spezialoperation« verharmloste russische Krieg gegen die Ukraine das Potenzial, ungebremst auszuufern und in einen neuen Weltkrieg zu führen, der ein atomarer sein wird.
Aber den will natürlich keiner.
Unzählige Beispiele belegen, dass in Kriegen eine stetig eskalierende Dynamik wirkt, ebenso dass im Laufe der Geschichte neu entwickelte und produzierte Waffen schließlich auch stets angewandt wurden. Albert Einstein urteilte zutreffend, die Rüstungsindustrie sei »eine der größten Gefährdungen der Menschheit«. Hoffnungen auf ein Verbleiben ausgerechnet der Atombomben in Bunkern halte ich für lebensgefährlich. Besser wäre es, sie würden überall unbrauchbar gemacht.
Ansätze dazu gab es, darunter Verträge zwischen den Supermächten zu Zeiten des Kalten Krieges, die dann einseitig, durch die USA, aufgekündigt worden sind.
Während des Kalten Krieges stand die Welt eigentlich nur 1962 unmittelbar vor einem Atomkrieg, als US-Raketen in der Türkei stationiert wurden und sowjetische Raketen auf Kuba stationiert werden sollten. Damals wurde ein Ausweg gesucht und gefunden. John F. Kennedy und Nikita S. Chruschtschow ließen Vernunft walten und dachten in Kategorien diplomatischen Verhandelns. Zu dem in wenigen Tagen erreichten Kompromiss erklärte der US-Präsident: »Man sollte nicht versuchen, sich als Sieger und den anderen als Besiegten hinzustellen. Gewonnen haben wir beide. Gewonnen hat die ganze Welt.« Demgegenüber wird heute nur noch und nahezu ausschließlich in Kategorien eines militärischen Eingreifens sowie des ständigen Fortsetzens von Kriegen geurteilt. Die Diplomatie hat leider ohnmächtig zu sein. Schlimm, wie sich auch deutsche Medien in Kriegsrhetorik üben.
Sie haben sich in jüngerer Zeit verstärkt mit der in der deutschen Geschichte oftmals wabernden Russophobie und deren verheerenden Wirkungen befasst. Nehmen Sie davon seit dem 24. Februar 2022 Abstand?
Nein. Warum sollte ich nicht mehr über Russophobie sprechen? Es hat sie gegeben, zuhauf sogar. Sie half, die Köpfe eines großen Teils der Deutschen zu vernebeln. Sie diente sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg als rechtfertigendes Argument für das Streben nach »Land im Osten«, den von Slawen bewohnten Gebieten – fast bis zum Ural. Ich wäre ein schlechter deutscher Historiker, erst recht kein marxistischer, würde ich historische Schuldumkehrung betreiben und der leider sehr zielorientiert verbreiteten These auf den Leim gehen, der zufolge zwei Diktatoren den Zweiten Weltkrieg verantworteten, gern ergänzt mit dem Diktum von den beiden Diktaturen auf deutschem Boden.
Großrussische Ambitionen und Ansprüche – ja, sie liegen der Politik der Kreml-Herren zugrunde. Es gab sie auch früher. Horst Schützler hat kürzlich in dieser Zeitung auf diese und deren Folgen für die sowjetische Nationalitätenpolitik verwiesen. Politik auf dieser Grundlage zu betreiben und auch militärisch durchsetzen zu wollen, ist nachdrücklich zu verurteilen. Vergessen werden darf dabei allerdings nicht, dass es keine der deutschen Russophobie auch nur irgendwie vergleichbare Position von Russen gegenüber den Deutschen gegeben hat und gibt. Im Gegenteil.
Seit der Ausstellung »Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht« in den Neunzigerjahren wird in der Bundesrepublik nicht mehr bestritten, dass es sich beim Überfall auf die Sowjetunion um einen solchen gehandelt hat, zumindest kann das kein Mensch ernsthaft leugnen.
Klar, landauf, landab wird von einem »nationalsozialistischen Vernichtungskrieg« gesprochen. Ein solcher wurde geführt. Daran gibt es nichts zu deuteln. Selten wird übrigens daran erinnert, dass bereits 1935 Palmiro Togliatti vor einem solchen gewarnt hat. Er war ja Kommunist, und das reicht vielen Politikern, leider auch Historikern, um dies nicht zur Kenntnis zu nehmen oder es sogar a priori für falsch zu erklären. Ich meine allerdings, dass der Begriff »Vernichtungskrieg« einer Erläuterung bedarf, sonst wird kaum die Gesamtheit seiner Ursachen und Ziele erfasst. Charakterisiert werden eher die Art und Weise, die verwendeten Mittel der Kriegsführung. Dabei sehen sich ausgeblendet andere wesentliche Ursachenkomplexe.
Und die wären?
Na ja, gesprochen wird in der Regel vom Rassenwahn der Nazis, deren moralischer Enthemmung. Es gab hingegen ein eigentlich eindeutig erkennbares Beziehungsgeflecht zwischen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnissen einerseits und faschistischer Ideologie, faschistischen Bewegungen und Parteien andererseits. Das Verdrängen dieser Ursachen nenne ich »Entökonomisierung« und »Entkapitalisierung«. Ganz zu schweigen davon, dass jede Einordnung in die Kontinuität ostpolitisch-kolonialistischer Bemühungen vermieden wird, obgleich diese ja bereits beim Griff nach der Weltmacht im Ersten Weltkrieg erkennbar waren. Da scheinen Nebelwände entfacht, hinter denen gesellschaftlich bedingte Antriebe zu Krieg und Eroberung verborgen bleiben. Auch in den meisten Medien wird suggeriert, es habe sich bei dem Krieg ab 1941 nur um ein Ergebnis von – zugegeben wahnhaften – Ideen gehandelt.
Nicht so in der Faschismus- und Weltkriegsforschung der DDR.
Ja, sie hat gerade in dieser Hinsicht viel geleistet und sollte wieder mehr Berücksichtigung finden. Sie war eingebunden in die Kapitalismus- beziehungsweise Imperialismusforschung und ging über pure Schlachtenbeschreibung hinaus. Sie suchte nach kausalen Zusammenhängen auf allen Ebenen sowie in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie hatte nichts im Sinne mit dem anderenorts für lange Zeit dominierenden Motto »Der Hitler war’s«. Natürlich spielte der eine große Rolle. Kurt Pätzold und ich behandelten diese in unserer Biografie des Nazi-Führers. Aber generell dürfte doch gelten, dass eine Geschichtsdarstellung, die alles Geschehen lediglich einzelnen Personen zuschreibt, an der Realität vorbeigeht. Übrigens gilt das gegenwärtig auch für Aussagen wie »Putins Krieg«. Wie auch immer man zu diesem Krieg Haltung bezieht – ich verurteile ihn ganz entschieden –, ist doch unübersehbar: Die russische Führung repräsentiert wirtschaftliche, politische und ideologische Interessen neuer und aufstrebender Eliten in einem kapitalistisch gewordenen Land.
Ganz sicher muss dieser Krieg möglichst rasch beendet werden. Könnte dazu beitragen, mehr nach den Ursachen, also nach seiner Vorgeschichte zu fragen?
Oh, ein sehr brisantes Thema, über das ja viel gestritten wird, selbst in einer Partei, die sich programmatisch als Friedenspartei versteht. Eine Antwort habe ich nicht parat. Vielleicht wäre es aber hilfreich, sich in der Geschichte umzuschauen. Da zeigt sich zum Beispiel, dass es nach den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer Bemühungen gab zu erforschen, weshalb sie ausbrachen und wofür sie geführt worden sind.
Schon in den Jahren der Weimarer Republik gab es umfangreiche Bände, betitelt »Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch« und »Große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914«, herausgegeben von einem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung beziehungsweise des Reichstags sowie vom Potsdamer Reichsarchiv. Statt einer Klärung der Kriegsschuld-Frage wurde allerdings eher versucht, die sogenannte Kriegsschuld-Lüge zu widerlegen, also sich selbst reinzuwaschen und die Verantwortungslosigkeit der anderen anzuklagen. Wohin dies führte, ist bekannt.
Eine etwas andere, aber großartige Arbeit leistete 1946/47 das Nürnberger Tribunal der Alliierten in seinem Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Danach wirkten in beiden deutschen Staaten gut ausgestattete wissenschaftliche Einrichtungen. Inzwischen sind viele Regale in den Bibliotheken reich gefüllt. Auch mit Werken, die belegen, wie bereits vor den Kriegen über die Entwicklung zu ihnen hin klar geurteilt worden ist. Gelesen wird dies alles anscheinend nicht.
Hingegen hört und liest man immer wieder, es seien die Massen gewesen, die Hitler gewählt, also gewollt hätten.
Ja, es bleibt festzustellen, dass völkisch-rassistisches Denken tief in die Köpfe vieler Deutscher eingedrungen war. Um die damalige Wirkungsmächtigkeit nazistischen Denkens ergründen zu können, müsste wohl auf viele Aspekte verwiesen werden. Einer davon berührt die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen von Feindbildern in unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens. Da bündeln sich allgemeine rassistisch-biologistische Behauptungen und pseudowissenschaftliche Untersuchungen durchaus auch mit Gefühlen des Bedrohtseins und friedensdemagogischen Politikbegründungen. Da wirkt nationalistisch-überheblicher Stolz mit blinder Wut, Vorurteilen, Klischees, Stereotypen. Im Verbund ruft alles Hass hervor.
Das muss man leider auch für heute konstatieren. Was wäre dagegen zu tun?
Sehr viel mehr, als getan wird. Aus meiner Sicht ist nicht nur Wissen über historisches Geschehen verlangt, sondern zugleich ein Wissen um unübersehbare Grundelemente zeitgeistiger und zunehmend rechtslastiger Deutungen der Geschichte. Zu diesen gehören nicht zuletzt Auffassungen, denen zufolge die Welt und damit auch ihre Vergangenheit prinzipiell undurchschaubar sei, dass die Menschen schicksalhaft gebunden wären an die »Natürlichkeit« von Ungleichheit und von triebhafter Gier, frei nach dem Motto, alles sei nun einmal so, seit Kain seinen Bruder Abel erschlug. Auf solche Weise lassen sich dem Unwissenden auch die größten Absurditäten der Kapitalgesellschaft als Konstanten menschlicher Existenz erklären und als alternativlos deuten.
Und dazu passt – es sei hier bewusst wiederholt – eine zunehmende »Entökonomisierung« in der Erklärung von Geschichtsverläufen, erst recht in der Darstellung und Erörterung aller gesellschaftlichen Ursachen und Zusammenhänge. Gleichzeitig erfolgt eine zunehmende Mystifizierung des Geldes, der »Märkte« und so weiter. »Entkapitalisierung« findet statt, genauer: Es handelt sich um Entlastungskampagnen zugunsten des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das vom bekannten Soziologen Jean Ziegler mit Recht als ein »Imperium der Schande« charakterisiert wurde. Wenn gegenwärtig – sehr erfreulich – gefragt wird, ob es noch eine Existenzberechtigung für den Kapitalismus gibt – wobei sicher nur daran gedacht ist, ihn »grün« unzuwandeln –, dann bedauere ich, dass dies kaum von linken Politikern kommt, die zudem ihre Partei im Streit selbst zu zerlegen scheinen.
Was erwarten Sie beim kritischen Blick zurück auf den 30. Januar 1933 nicht nur von den Linken, sondern von Antifaschisten und Kriegsgegnern unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Position?
Antifaschisten dürfen mit Recht stolz sein, vor 1933 mit all ihrer Kraft versucht zu haben, dass ein Hitler nicht an die Macht gelangt. Unser Erinnern an Faschismus und Krieg darf jedoch auch eigenes geschichtliches Versagen nicht verschweigen. Wir wissen um den Parteien-Egoismus, der Kräfte unnötig und unsinnig zersplitterte. Sozialdemokratische und kommunistische Organisationen brachten keine gemeinsame Gegenbewegung zustande, während alle konservativen, völkischen und faschistischen Bemühungen sich vorrangig unter dem Schlagwort »Ausrottung des Marxismus« sowohl gegen die KPD als auch gegen die SPD richteten.
Zwischen den Arbeiterparteien gab es zeitweilig ein relatives Gleichgewicht, das deren Vorstände jedoch zu euphorischer Überschätzung der jeweils eigenen Kraft führte und sich mit einer folgenreichen Unterschätzung des Potenzials der NSDAP verknüpfte. Und wie sehr pazifistisch, antifaschistisch und liberal Gesinnte von diesem Gegeneinander der Arbeiterparteien abgestoßen wurden, zeigte sich beispielsweise sehr deutlich im mahnenden Ruf des Carl von Ossietzky: »Ein runder Tisch wartet.« Der Ruf blieb unbeantwortet. Den Gedanken an ein sinnvolles, das heißt beide stärkendes Zusammengehen wiesen die Arbeiterparteien bekanntlich nicht nur wegen unterschiedlicher Zukunftsvorstellungen weit von sich.
Was sagt uns das für heute?
Die Frage ist, ob eine linke Partei bei ihrer Suche nach Auswegen aus den bestehenden Verhältnissen ihren Blick nicht auch auf ein alternatives Selbstverständnis sowie auf Veränderungen des gesamten Parteien- und Organisationswesens richten müsste. Denn die Tatsache, dass in Deutschland fast alle politischen Parteien auf dem Boden kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse agieren sowie in bestehende gesetzliche Regelungen eingebunden sind, macht sie zumindest in organisationsstruktureller Hinsicht einander ähnlicher, als die Gegensätzlichkeiten ihrer Interessen und Programme vermuten lassen.
Und wie können wir gegenwärtig wachsendem rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Gedankengut, das bis in die Mitte der Gesellschaft vordringt, zurückdrängen und besser noch vorbeugen?
Indem wir uns dafür interessieren, wie früher Faschismus ermöglicht worden ist, wie sich die Nazi-Ideologie schon lange vor 1933 entfalten durfte, wie und weshalb antidemokratische und terroristische Organisationen in parlamentarischen Regimen folgenreich geduldet worden sind, wie weggeschaut und verharmlost wurde. Wer könnte in unserer Gegenwart auffällige, strukturell bedingte Duplizitäten historischer und aktueller Erscheinungen übersehen!
Haben wir es heute aber nicht mit anderen Faschismen zu tun? Rechtsaußen traut man sich natürlich nicht, sich offen zum Hitlerfaschismus zu bekennen.
Faschismus als Ideologie und Bewegung sollte abgehoben von einem Faschismus an der Macht betrachtet werden. Seine Ideologie und seine Organisationen waren bereits bekämpfenswert, als sie im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg auftauchten und bevor er an die Macht gelangen konnte. Es passierte damals jedoch anderes: In Deutschland wurde die NSDAP zunächst von nationalkonservativen Kreisen als willkommener Juniorpartner gegen die organisierte Arbeiterbewegung und im Ringen um eine deutsche Machtstellung in der Welt gehätschelt. Man machte sie zunächst hoffähig und behinderte den Kampf gegen sie.
Vor dem 30. Januar 1933 war es nicht möglich, dem Verderben Einhalt zu gebieten. Den zahlreichen Gebrechen der heutigen Gesellschaft und der Gefahr, dass alles »in Scherben« fällt, widersetzt sich eine Vielzahl einzelner Organisationen, Gruppen, Zirkel, Strömungen usw. Vielleicht, nein hoffentlich kommt statt des leidigen Gegeneinanders doch ein Miteinander zustande, ganz im Sinne der damaligen Forderung Ossietzkys. Es wartet wieder ein »runder Tisch«.
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