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Reine Realpolitik, eigentlich
Deutsche Wohnen & Co enteignen ist eine der erfolgreichsten Kampagnen seit langer Zeit. Jetzt hat sie ein Debatten- und Lehrbuch veröffentlicht
Wie peinlich ist das denn? Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss jetzt wiederholt werden, aufgrund von Dummheit und Versagen. Doch es gibt etwas, das noch peinlicher ist: Die Missachtung des Volksentscheides für ein Gesetz »zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen«. Dafür waren 59,1 Prozent der abgegebenen Stimmen parallel zur Chaoswahl im September 2021. Und weil das eine so eindeutige Mehrheit ist, muss nur die Wahl wiederholt werden, nicht aber der Volksentscheid. Der bekam sogar etwas mehr Stimmen als SPD, Grüne und Linkspartei insgesamt.
Diese drei Regierungsparteien spielten nach der Wahl auf Zeit. Sie beschlossen kein Gesetz zur Vergesellschaftung, sondern die Einrichtung eines Expertenrats zur Überprüfung der Rechtssicherheit eines solchen Gesetzes. Dieser Rat tagt immer noch, er wird nun von den Neuwahlen überholt – Künstlerpech.
Die SPD will nicht so ein Gesetz, die Grünen wissen nicht so richtig, ob sie es wollen, nur die Linkspartei will es, doch sie machte es nicht zur Bedingung des Koalitionsvertrags. Auf ihrem Landesparteitag im Dezember 2021 stimmten drei Viertel der Delegierten für eine weitere Regierungsbeteiligung, juppheidi, juppheida.
Ist der Volksentscheid gescheitert? Nein – er ist der größte Erfolg linker unabhängiger Politik seit langer Zeit. Die Idee, ihn auf den Weg zu bringen, kam nicht aus den etablierten Parteien, sondern von kleinen linken Gruppen und stadtpolitischen Initiativen. Sie waren die einzigen, die es wagten, die Eigentumsfrage zu stellen. In Deutschland gilt das als Teufelszeug der Kommunisten, auch wenn es fast gar keine Kommunisten mehr gibt.
Aber wenn die Mieten immer teurer werden, leuchtet die Frage, wem die Häuser gehören, immer mehr Menschen ein. Seit der Finanzkrise 2008 ist der Wohnungsmarkt für Kapitalanleger sehr attraktiv geworden. Wohnungsmieten wurden zu Dividenden, Vermieter zu börsennotierten Unternehmen, aus Anlagefonds wurden Wohnungskonzerne. Und die sind ihren Aktionären und nicht ihren Mietern verpflichtet. Ihre Hausverwaltungen verschleppen die Reparaturen, sind kaum erreichbar und lassen ihre Häuser so lange verfallen, bis sie sie irgendwann modernisieren. Denn die Instandhaltung müssen die Vermieter zahlen, die Modernisierung die Mieter – durch höhere Mieten, vorzugsweise zu sogenannten Marktpreisen. So wurde aus dem billigen Berlin das teure Berlin. Das merken die meisten Berliner: 81,5 Prozent der Wohnungen in der Stadt sind Mietwohnungen.
Wer nun sagt, das kann doch nicht immer so weitergehen, der wird auch gehört. Das machte die Initiative »Spekulation bekämpfen – Deutsche Wohnen & Co enteignen« (dwe) in nur vier Jahren zu einem überaus erfolgreichen Projekt, das schneeballartig von immer mehr Menschen unterstützt wurde, die in der ganzen Stadt dafür um Unterschriften warben. In der entscheidenden Phase wurden – mit Slogans, Plakaten und Werbefilm (Kino und Internet) in einheitlichem Design (in wiedererkennbaren Farben und Schriften) – 349 568 Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt, für das dann 2021 über eine Million Menschen stimmten.
Die Geschichte dieser Kampagne, ihre Programmatik und Argumentation kann man in dem Sammelband »Wie Vergesellschaftung gelingt« nachlesen, den die dwe im vergangenen Herbst vorgelegt hat. Es ist gleichermaßen Bilanz wie Standortbestimmung, wohin die Reise geht, wie auch ein nützliches Lehrbuch für die politische Mobilisierung der Stadtbevölkerung, deren Grundproblem der Wirtschaftshistoriker Ralf Hoffrogge in der Einleitung so formuliert: »Kurzum, die Berlinerinnen und Berliner können ihre Mieten nicht mehr zahlen, weil andere nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld«.
Die Flucht von Klein- wie Großanlegern ins sogenannte Betongold nach der Finanzkrise wurde in Berlin begünstigt durch die zunehmend investorenfreundliche Politik des Berliner Senats, der versuchte, eine finanziell marode Stadt mit einem harten Sparkurs zu regieren. Mit dem Spruch, Berlin sei »arm, aber sexy« wollte der charismatische Klaus Wowereit (SPD) als Regierender Bürgermeister daraus ein positives Image basteln. Aber warum war Berlin so arm? Ein wichtiger Grund war, dass die Koalition aus SPD und PDS Anfang der Nullerjahre zwar durch die Aufdeckung des Berliner Bankenskandals an die Regierung kam, es aber nicht wagte, die Berliner Bankgesellschaft pleitegehen zu lassen, sondern sie stattdessen rettete. Das kostete mehrere Milliarden und verursachte eine »extreme Haushaltsnotlage«, die der Senat 2002 feststellte. Eine Folge war beispielsweise 2004 der Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft GSW mit 65 000 Wohnungen an ein Investmentkonsortium, das sie 2013 an die Deutsche Wohnen weiterverkaufte.
Der Kampf für bezahlbaren Wohnraum ist ein Thema, das jeder versteht. Dazu aufzurufen ist heute nicht revolutionär, sondern vollständig realpolitisch, dabei aber gleichzeitig ein Kampf gegen den bleiernen Status quo, weil die Eigentumsfrage tangiert wird. Es geht um eine »urbane Bodenrefom«, wie Ralf Hoffrogge schreibt. Wohnen soll dem Renditediktat entzogen, die Wohnungen sollen ins Gemeinwesen überführt werden. Und das auf völlig legale Weise, gestützt auf Artikel 15 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Der Witz besteht allerdings darin, dass dieser Artikel bislang noch nie im großen Stil angewendet wurde. Es ist auch sehr lange her, dass seine Anwendung überhaupt gefordert wurde: Das letzte Mal in den 1980er Jahren, als die IG Metall vergeblich die Sozialisierung der Stahlindustrie verlangte, um Arbeitsplätze zu sichern.
Die realpolitische Forderung nach Vergesellschaftung kann also durchaus utopisch wirken. Ihre Gegner verorten das Utopische im angeblich Unbezahlbaren. Es sei »wirtschaftlich verrückt«, Wohnungskonzerne enteignen zu wollen, meint Bausenator Andreas Geisel (SPD). Diese Frage werde »oft als reine Glaubensfrage« behandelt, schreibt Hoffrogge, denn es kursieren verschiedene Zahlen über die Höhe der Entschädigungszahlungen. Es gibt eine Schätzung des Berliner Senats, die sich am Marktwert der Wohnungen orientiert und von 36 Milliarden Euro ausgeht, wohlgemerkt als maximale Obergrenze, wobei eingeräumt wird, »die Entschädigungshöhe könnte auch deutlich darunter liegen«. Denn wenn sie sich am Modell leistbarer Mieten für Geringverdienende orientiert, dann kommt man auf 7,3 bis 13,2 Milliarden Euro.
Je höher die Entschädigung ausfällt, desto stärker ist der Zwang zu Mieterhöhungen – gerade diese sollen ja künftig vermieden werden. In einem weiteren Text im Buch stellen Sebastian Gerhardt und und Andrej Holm fest: »Bis zu einer Entschädigungshöhe von etwa 17 Milliarden Euro ist eine Refinanzierung (ohne Mieterhöhungen und zusätzliche Finanzierungsmittel) aus den laufenden Mieteinnahmen möglich«. Die Höhe der Entschädigung ist in erster Linie eine politische Frage, sie beruht auf »der Interessenabwägung zwischen Konzerninteresse und Allgemeininteresse«, wie es die dwe 2020 formulierte.
Bezeichnenderweise existiert in Deutschland keine Rechtsform für Gemeingut. »Es gibt allerlei öffentliches Eigentum wie Schulgebäude oder Wälder in Staatsbesitz, aber keine gesonderte Rechtsform, die dessen Verwendung regelt«, schreiben Ralf Hoffrogge und Stephan Junker und schlagen hierfür den Titel einer »Anstalt öffentlichen Rechts« (AöR) vor. Die Wohnungen wären damit kein kommunales, sondern »gesellschaftliches Eigentum«. Mögliche Überschüsse aus der Vermietung »verbleiben im Unternehmen und dürfen nicht an den Landeshaushalt abgeführt werden«. Sie sollen der Instandhaltung, Modernisierung und auch der Erweiterung des Wohnungsbestandes dienen. Eine solche AöR soll idealweise von einem Verwaltungsrat geführt werden, in dem ihre Mieter und Beschäftigten zusammen mit »Vertreter*innen der Stadtgesellschaft, gewählt von allen in Berlin gemeldeten Bewohner*innen gleich welcher Staatsangehörigkeit« die Mehrheit gegenüber den Vertretern des Senats bilden.
Dabei geht es auch darum, »Selbstverwaltungsstrukturen im Gemeineigentum überhaupt erst mit Leben zu füllen«. Für die Autoren ist Vergesellschaftung ein Prozess, »vor allem müssen weitere Erfahrungen in Kämpfen um Selbstverwaltung gewonnen werden«. Deshalb ruft die dwe dazu auf, bei der neuen Abgeordnetenhauswahl nur für Parteien und Kandidaten zu stimmen, die sich klar für die Umsetzung des Volksentscheids aussprechen.
Deutsche Wohnen & Co enteignen (Hg.): Wie Vergesellschaftung gelingt. Zum Stand der Debatte. Parthas Verlag, 296 S., br., 20 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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