Protesttag 5. Mai: Barrieren in den Häusern und Köpfen abbauen

Zur jährlichen Demonstration am Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung werden Tausende erwartet

»Unsere wichtigste Forderung ist Barrierefreiheit in all ihren Facetten«, sagt Dominik Peter, Vorstandsvorsitzender des Berliner Landesverbands des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, zu »nd«. Dabei gehe es nicht nur um Stufen und Treppen, die das Leben von Rollstuhlfahrenden erschwerten, sondern auch um barrierefreie Kommunikation durch Übersetzungen in Gebärdensprache und Leichte Sprache, oder um den digitalen Bereich. »Alle Barrieren, die dazu führen, dass Menschen nicht teilhaben können, müssen abgebaut werden«, sagt er. Dafür demonstriert an diesem Freitag ein breites Bündnis an Verbänden und Vereinen, dessen Sprecher Peter ist. Anlass ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai.

»Es geht auch um die Barrieren in den Köpfen«, sagt Christiane Müller-Zurek, Sprecherin der Berliner Lebenshilfe, zu »nd«. Auch die Lebenshilfe ist Teil des Bündnisses, das zur Demonstration aufruft. Müller-Zurek sieht ein großes Problem in der Ausgrenzung von Schüler*innen mit Behinderungen. »Es gibt Kinder, die gezwungen werden, ihre Schulzeit zu verkürzen, oder ganz von Schulen ausgeschlossen werden«, sagt sie. Es freue sie deshalb, dass sich in diesem Jahr erstmals auch das Berliner Bündnis für schulische Inklusion am Protesttag beteiligen und einen Redebeitrag auf der Abschlusskundgebung halten werde.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD fehle dieses Thema weitestgehend, kritisiert sie. »Es ist viel die Rede von Begabtenförderung, was ja auch total wichtig ist. Aber es fehlen die Aussagen zu schulischer Inklusion«, so Müller-Zurek. Das sei eine Verschlechterung im Vergleich zum vorherigen gün-rot-grünen Vertrag, in dem dazu »ein bisschen mehr« zu finden gewesen sei. Immerhin befinde sich aber das Ziel von interdisziplinären Teams an Schulen im aktuellen Vertrag. »Das ist schon lange eine Forderung von uns«, so die Sprecherin der Lebenshilfe.

Der Fortschritt ist eine Schnecke

Eine Forderung, die schon am Protesttag im vergangenen Jahr aktuell war, ist die Finanzierung des Berliner Behindertenparlaments. Schon an diesem Sonntag, dem 7. Mai, findet die Auftaktveranstaltung des diesjährigen Parlaments statt. Im vergangenen Jahr wurden viele Anträge in Fokusgruppen erarbeitet, die im Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus vom Behindertenparlament beschlossen wurden.

Allzu viel habe sich seitdem allerdings nicht getan, so Müller-Zurek. »Wir haben bisher nur Antworten aus der Verwaltung, dass sich damit beschäftigt wird.« Da sich die Berliner Senatsverwaltungen aber nach den Neuwahlen neu zusammensetzten, gehe man davon aus, dass es noch etwas dauern werde, bis konkrete Ergebnisse zu erwarten seien. »Der Fortschritt ist manchmal eine Schnecke«, sagt Müller-Zurek. Sie freue sich trotzdem darüber, dass die neue Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) am Auftakttreffen des Behindertenparlaments teilnehmen wolle.

Eine weitere langjährige Forderung ist bezahlbarer barrierefreier Wohnraum in Berlin. Davon gebe es definitiv zu wenig und es gehe nur langsam voran, sagt die Sprecherin der Lebenshilfe. So wachse auch die Frustration bei Menschen mit Behinderungen, die auf zugänglichen Wohnraum angewiesen seien.

Dominik Peter hält das ebenso für ein sehr wichtiges Thema der diesjährigen Demonstration wie in den vergangenen Jahren. Die Arbeit der Verbände und Selbstvertretungen habe aber, trotz aller Langsamkeit, auch konkrete Ergebnisse hervorgebracht: In der novellierten Bauordnung wurde der Pflichtanteil von barrierefreien Wohnungen in allen Neubauten, die eine Aufzugspflicht bei vier oder mehr Stockwerken haben, von 33 auf 50 Prozent erhöht. »Das ist eine deutliche Steigerung und durchaus ein Erfolg«, sagt der Bündnis-Sprecher.

Ein anderes Problem bleibe aber weiterhin bestehen: Die Regeln für Milieuschutzgebiete, die eigentlich eine gute Sache seien, würden den Umbau von Wohnungen zur Barrierefreiheit verhindern. »Wenn Rollstuhlfahrende beispielsweise Türschwellen abbauen wollen, damit sie sich durch die Wohnung bewegen können, dann gilt das als wertsteigernde Maßnahme und wird nicht genehmigt.« Das führe schließlich dazu, dass der Milieuschutz, anstatt ihr wie vorgesehen entgegenzuwirken, die Verdrängungsgefahr für langjährige Mieter*innen noch erhöhe, wenn diese im Alter auf barrierefreies Wohnen angewiesen seien. »Es ist absurd, dass Barrierefreiheit eine Wertsteigerung ist«, sagt Peter. Eigentlich sollte sie der Standard sein.

Vom Brandenburger Tor bis zum Rathaus

Ein kleiner Erfolg sei auch im Koalitionsvertrag festzustellen. Dieser sehe einen Fonds aus Landesmitteln vor, auf den Vereine und Initiativen zugreifen könnten, um Übersetzungen in Gebärdensprache zu finanzieren. »Das ist sehr wichtig, um Veranstaltungen barrierefrei zu gestalten. Kleine Vereine haben aber oft nicht die finanziellen Mittel, um das selbst zu bezahlen«, sagt Peter.

Trotz der Erfolge bleibt noch viel zu schaffen und viel zu fordern. Die Demonstration zum Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung will sich diesem annehmen. Laut Müller-Zurek werden bis zu 3000 Menschen erwartet. Die Demonstration startet um 14 Uhr am Brandenburger Tor und läuft über Unter den Linden bis zum Roten Rathaus, wo eine Abschlusskundgebung stattfinden wird.

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