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Bücherverbrennung vor 90 Jahren: Barbaren und Brandstifter
Vor 90 Jahren loderten in ganz Deutschland Scheiterhaufen: Die Nazis wollten »undeutschen Geist« verbrennen
Mit Beginn des Sommersemesters 1933 entwickelten die Hochschulen mit den rechten Studentenverbänden Kampagnen zur Ausgrenzung politisch unliebsamer und jüdischer Dozenten. Als juristischer Hebel diente dabei das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Vertreter der Deutschen Studentenschaft (DS) organisierten gemeinsam mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) Rollkommandos zur Störungen von Vorlesungen und Seminaren jüdischer Hochschullehrer und politischer Gegner des NS-Regimes.
Schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik hatten Nazis und andere Rechtskräfte Kampagnen gegen kritische Wissenschaftler und Literaten organisiert. Drei Beispiele: Emil J. Gumbel, der die politischen Morde der extremen Rechten in Deutschland angeprangert hatte, wurde als Dozent an der Universität Heidelberg immer wieder von den Korporationen und der DS angegriffen, seine Vorlesungen gestört und verhindert. Schließlich wurde er am 5. August 1932 gezwungen, die Universität zu verlassen, »weil ihn seine national gesinnten Kollegen nicht ertrugen«, wie es in der Universitätschronik heißt.
Erich Maria Remarque wurde wegen seines Antikriegsromans angefeindet. Der Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels ließ im Dezember 1930 die Aufführungen der Verfilmung von »Im Westen nichts Neues« in Berlin durch Straßenkrawalle stören. Dem Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf wurde vorgeworfen, er habe mit seinem Theaterstück »Cyankali« Werbung für »gewerbsmäßige Abtreibung« gemacht. Das Stück wurde verboten, Wolf verhaftet und erst nach Massenprotesten freigelassen.
Offener Antisemitismus war schon damals an deutschen Universitäten präsent. 1932 verbreitete die DS ein Plakat unter dem Titel »Wider den undeutschen Geist«, auf dem es hieß: »Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter! Der Student, der undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu. Wir fordern deshalb von der Zensur: Jüdische Werke erscheinen in hebräischer Sprache. Erscheinen sie in Deutsch, sind sie als Übersetzungen zu kennzeichnen. Schärfstes Einschreiten gegen den Mißbrauch der deutschen Schrift. Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.«
In diesem Sinne begann man im April 1933 mit der »Säuberung der öffentlichen Büchereien«. Aktionen wie »Schandpfahl« an der Marburger Universität oder Bücherverbrennungen in Düsseldorf und Wuppertal machten propagandistisch deutlich, wie die Säuberung stattfinden solle. Ausgehend von der Zentrale des NSDStB in Berlin, verbunden mit dem »Kampfbund für deutsche Kultur« wurde Ende April die reichsweite Aktion zur öffentlichen Vernichtung »undeutscher Literatur« vorbereitet. Ausgestattet mit provisorischen Listen, auf denen linke und jüdische Autoren und ihre Werke standen, zogen Anfang Mai SA-Studenten durch Buchhandlungen und Bibliotheken und forschten nach Büchern in dortigen Beständen, die für eine Vernichtung auszusondern seien. Gemeint waren NS-kritische Literatur sowie Werke marxistischer und jüdischer Autorinnen und Autoren.
Den ersten Höhepunkt dieser Aktion bildete am Abend des 10. Mai 1933 in Berlin die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz. 25 000 Bücher marxistischer, pazifistischer, liberaler und jüdischer Autoren waren in den Tagen zuvor aus den öffentlichen Bibliotheken und universitären Einrichtungen zusammengetragen worden. Eskortiert von berittener Polizei marschierten Mitglieder des NSDStB, Korporationsstudenten in ihrer jeweiligen Couleur, Professoren in Talaren, Verbände von SA, SS und Hitler-Jugend sowie Mitglieder des »Kampfbundes für deutsche Kultur« durch das Brandenburger Tor zum Opernplatz.
Dort wurden auf einem Scheiterhaufen – trotz strömenden Regens – die inkriminierten Werke unter Verkündigung martialischer »Feuersprüche« öffentlich verbrannt. Beispielsweise: »Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.« Und: »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.« Oder: »Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!«
Ähnliche Aktionen fanden in über 20 deutschen Städten statt – in Braunschweig auf dem Schlossplatz, in Dresden auf dem Wettiner Platz, in Göttingen auf dem Adolf-Hitler-Platz, in München auf dem damaligen Königsplatz, in Marburg auf dem Festplatz an den Lahnwiesen und in Frankfurt/Main auf dem Römerberg. Unter aktiver Beteiligung der Studentenschaft wurden aus Bibliotheken und Buchhandlungen die indizierten Werke herausgeholt, auf Karren zum zentralen Platz gefahren und dort auf Scheiterhaufen geschichtet und angezündet.
Exemplarisch hier ein historischer Bericht über Erlangen, wo zwei Tage später die Bücher verbrannt wurden: »Ein Fackelzug nähert sich dem Schlossplatz. Vorne spielt die Reichswehr Musik, dahinter marschieren die studentischen Korporationen, SA, SS und Hitlerjugend. Im Zentrum des Zuges: ein Pferdewagen voller Bücher. Am Schlossplatz erwarten schon Tausende Erlanger das nächtliche Spektakel. Ein Scheiterhaufen wird entzündet, das Deutschlandlied gesungen, Brandreden gehalten. Dann übergeben SA-Männer die Bücher den Flammen: Bücher aus Wohnzimmern und Bibliotheken, Bücher von Erich Maria Remarque, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Heinrich Heine und anderen.« Auch hier waren Dozenten der Erlanger Universität aktiv bei der Vernichtungsaktion. Und der damalige Rektor stand neben dem Scheiterhaufen.
In Städten, in denen keine Universitäten existierten, organisierten NSDAP, SA und »Kampfbund für deutsche Kultur« die Aktionen. Dabei wurden sie von Mitarbeitern der Bibliotheken und örtlichen Buchhändlern unterstützt, hatte doch der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, schon am 11./12. April 1933 erklärt: »In der Judenfrage vertraut sich der Vorstand der Führung der Reichsregierung an. Ihre Anordnungen wird er für seinen Einflussbereich ohne Vorbehalte durchführen.«
Den Buchhändlern wurde erklärt, dass die zwölf Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwald, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky (alias Theobald Tiger, Peter Panter, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser) sowie Arnold Zweig »für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind. Der Vorstand erwartet, dass der Buchhandel die Werke dieser Schriftsteller nicht weiter verbreitet.« Mit solchen Maßnahmen gegen den »undeutschen Geist« wurde öffentlich demonstriert, dass marxistische und jüdische Wissenschaftler nicht mehr Teil des akademischen Denkens sein durften.
Auf Grundlage »Schwarzer Listen« wurde anschließend eine »Säuberung der Volksbüchereien« betrieben. Die erste »Schwarze Liste« stammte vom 16. Mai 1933 aus dem Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und umfasste die Bücher, die aus Leihbüchereien entfernt werden mussten. Formell galt diese Liste nur für Preußen, in den übrigen Teilen des Deutschen Reiches wurde analog verfahren.
Die erste Liste umfasste über 130 Namen. In den Folgejahren wurde diese »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« erweitert. Die größte Zahl der Verfasser fand man nicht bei der Belletristik, sondern in der wissenschaftlichen Fachliteratur. Aus der Abteilung Geschichte des Weltkrieges sollte sämtliche pazifistische und sogenannte defätistische Literatur entfernt werden, aus der Abteilung Geschichte Russlands sämtliche probolschewistische Parteiliteratur.
Interessant ist der Hinweis, dass von der Literatur des wissenschaftlichen Marxismus je ein Exemplar im »Giftschrank der Studien-, Haupt- und Stadtbüchereien« aufgehoben werden solle. Offenbar meinte man, ohne solche Texte keine ideologische Auseinandersetzung mit dem marxistischen Denken ermöglichen zu können. Vor allem aber richtete sich die Kampagne gegen jüdische Autoren; 90 000 samt ihrer Schriften sollten aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Leben in Deutschland verschwinden.
1948 bilanzierte der Literaturwissenschaftler Hans Mayer: »Kaum ein anderes Ereignis aus der Geschichte des Dritten Reiches, besonders aus seinen Anfängen, ist gleichermaßen geeignet, das Wesen dieser Hitler-Herrschaft, nämlich den Rückfall in die Barbarei deutlich zu machen.«
»Lesen gegen das Vergessen« auf dem Berliner Bebelplatz, 10. Mai, 17 bis 18.30 Uhr, unter anderem mit Beate Klarsfeld und chilenischen Künstlern, die aus dem »Canto General« von Pablo Neruda lesen, das von der chilenischen Militärjunta verbrannt wurde; Moderation: Gesine Lötzsch (Linkspartei).
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