Grazer KPÖ: »Das wichtigste Bündnis ist das mit der Bevölkerung«

Wie die Grazer KPÖ Erfolge in einem rechten Land erringt. Ein Gespräch mit Elke Kahr,der kommunistischen Oberbürgermeisterin in der zweitgrößten Stadt Österreichs

  • Interview: Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 9 Min.
Elke Kahr 2021 bei den Koalitionsverhandlungen in Graz
Elke Kahr 2021 bei den Koalitionsverhandlungen in Graz

Sie sind in einer Arbeitersiedlung groß geworden. Wie prägt das Ihre Sicht auf die Welt?

Sehr natürlich. Ich bin noch immer im selben Bezirk Gries, wo immer Menschen gelebt haben, die mehrheitlich aus Arbeiterfamilien gekommen sind. Gries ist sicher der Bezirk, wo in Graz der höchste Anteil von Menschen aus anderen Herkunftsländern ist. Das sind tolle Leute da, und ich fühle mich dem Bezirk sehr verbunden.

2005 bis 2017 waren Sie Stadträtin, seit 2021 Oberbürgermeisterin. Warum machen Sie Kommunalpolitik?

Ich mach Politik seit 1985. Und das Ziel war immer, dort, wo ich lebe und arbeite, was umzusetzen. Die Kommunalpolitik ist die Ebene, wo du den Leuten am nächsten bist, wo die Arbeit überprüfbar ist und du ganz konkret für die Leute was tun kannst. Sei es auf parlamentarischer Ebene, aber natürlich auch für jeden Einzelnen persönlich. Da zu sein für die Leute, das ist mir immer ein großes Anliegen gewesen.

Bei der Wahl 2021 mobilisierte die KPÖ viele Nicht-Wähler*innen. Wie gelang das?

Interview

Elke Kahr (62) wirkte ihr Leben lang in der Grazer Kommunal­politik. Dort habe sie eine unmittelbare Nähe zu den Menschen, sagt sie. 1983 trat Kahr in die österreichische KPÖ ein und arbeitete von 1985 bis 2004 in deren Bezirksleitung Graz. Von 2005 bis 2017 war sie Stadt­rätin. Mittlerweile ist die KPÖ in Graz die stärkste Partei. Seit 2021 ist Kahr Oberbürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs.

Dadurch, dass ich so lebe wie jeder andere Mensch, der mittlere und untere Einkommen bezieht, kann ich die Menschen gut verstehen. Ich hab auch nur eine Mietwohnung. Ich sag das, was ich denk und versuche ehrlich mit den Leuten umzugehen, das spüren die Menschen. Sie haben nicht das Gefühl, da sitzt jetzt eine Beamtin oder Politikerin vor ihnen, sondern schlichtweg ein Mensch. Das erzählen mir die Leute selber. Ich glaub, das schafft Vertrauen – auch in die Politik, dass es anders gehen kann. All das hat dazu geführt, dass sehr viele, auch aus dem Bildungsbürgertum, die wegen der ganzen Korruption gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind, gesagt haben, da wähle ich. Das war übrigens schon 2017 bemerkbar.

Es heißt, hochrangige Vertreter der Wirtschaft, müssten manchmal vor Ihrem Büro warten, weil Sie Sprechstunden und Beratungsgespräche mit Bürger*innen führen. Eine Studentin erzählte, jede*r in der Stadt könne Sie bei Problemen anrufen. Welche Rolle spielt die Erreichbarkeit der KPÖ-Mandatare für Ihren Erfolg?

Schon eine große. Als Bürgermeisterin musst du für alle da sein. Mir sind unsere Industriebetriebe nicht Wurst, ganz im Gegenteil. Das sind große Arbeitgeber, und selbstverständlich ist es wichtig, auch ihre Anliegen zu hören. Wissen und Wissensaneignung über alle Felder und alle sozialen Milieus und Gruppen ist immer wichtig. Du musst deine Stadt in allen Fasern kennen. Insofern gibt es niemanden, der keinen Termin kriegen kann. Aber natürlich gewichte ich. Wenn einer seine Wohnung verliert und ein anderer einen Termin hat, wo er sein Projekt vorstellt, werde ich den, der die Wohnung verliert, natürlich früher drannehmen, logisch.

Warum haben Sie sich für das Oberbürgermeister-Amt entschieden? Hätte die KPÖ nicht in der Opposition wachsen können?

Seit 2003 haben sie uns gesagt: Warum geht ihr nicht in eine Koalition? Weil wir immer wieder gesagt haben, auch wenn wir zweitstärkste Partei sind, ist es manchmal besser, eine starke Opposition zu sein, als in einer Koalition zu sein, wo du dich verbiegen und verkaufen müsstest. Jetzt ist es aber insofern anders, weil die Menschen in unserer Stadt einen Kurswechsel wollten und die ÖVP, die 18 Jahre lang regiert hat, abgewählt haben. Die KPÖ ist jetzt die stärkste Partei, und es ist ein Unterschied, ob du stärkste Partei wirst oder zweit- oder drittstärkste.

Welche Bedeutung hat die Wohnungspolitik?

Die KPÖ ist in Graz seit Jahrzehnten die Wohnungspartei schlechthin. Wenn jemand eine Sorge oder ein Problem mit dem Wohnen hat, kommt er zu uns. Wir haben eine Ressortzuständigkeit für die kommunalen Wohnungen und mehr als 1500 Wohnungen gebaut. Wir haben einen Flächenentwicklungsplan für weitere 1000 neue Gemeindewohnungen. Das Vorhaben arbeiten wir Zug um Zug ab.

Wie müsste ein neues Mietrechtsgesetz auf Bundesebene aussehen?

Das Wichtigste ist: weg mit der Befristung von Mietverträgen, her mit einer Obergrenze bei den Mieten.

Wie können Protest, Streik und parlamentarische Arbeit zusammenwirken?

Ich bin, wie gesagt, seit den 80er Jahren in der KPÖ. Wenn wir sehen, dass wir für wichtige Fragen, die auf kommunalpolitischer Ebene zu lösen wären, keine Mehrheit kriegen, dann wählen wir in Graz immer den außerparlamentarischen Weg – in Volksbefragungen, Initiativen nach dem Volksrechtegesetz und in Aktionen gemeinsam und im Bündnis mit der Bevölkerung. Das ist uns wichtig, in jeder Phase, ob wir nur einen Gemeinderat gestellt haben oder jetzt die stärkste Partei sind. Das wichtigste Bündnis ist immer das mit der Bevölkerung.

Auf welche Weise kämpft die KPÖ gemeinsam mit der Bevölkerung?

Jeden Tag, sei es für die Verhinderung einer Delogierung (Zwangsräumung, Anm. d. Red.), sei es der Erhalt von Gemeindewohnungen oder Ackerflächen, die das Land versiegeln wollte. Es ist ein Unterschied, ob ich 20 Aktionen mache und sag, wir sind dagegen, oder ob ich es schaffe, dass die Bevölkerung abstimmen kann. Deshalb halte ich dieses Instrument von Volksabstimmungen für so wichtig, weil das die einzige Möglichkeit ist, tatsächlich eine Sache umzudrehen, wenn du auf parlamentarischem Weg nichts erreichst.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen erreichte in Berlin einen erfolgreichen Volksentscheid. Aber das Ergebnis ist nicht bindend, und die regierenden Parteien setzen die Entscheidung der Bürger*innen nicht um.

Die Bevölkerung hat sich dafür entschieden. Das ist eine wichtige Erkenntnis, auch für die Organisatoren und alle, die sich da engagiert haben. Ihr Anliegen ist nichts Utopisches. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich das. Das ist nicht irgendwas. Die Enteignungsfrage ist das größte Instrument. Dass sich die Immobiliengesellschaften mit Händen und Füßen wehren, ist logisch. Da muss man einfach weiterkämpfen und nicht lockerlassen. Man kann scheitern, aber aus jedem Scheitern gewinnst du neue Leute und gewinnst Erfahrung. Du gewinnst neue Menschen und du bindest auch Leute.

Sie begrenzen Ihr Oberbürgermeisterinnengehalt von 8300 Euro netto freiwillig auf 2000 Euro. Den Rest spenden Sie. Ist das nicht karitative Arbeit? Was daran ist Politik?

Politik daran ist, dass ich dem Menschen, der in einer Notlage ist, ganz konkret helfe. Ich hab vorhin einen Parteienverkehr (Bürgersprechstunden bei Parteien, Anm. d. Red.) gehabt, da war ein alleinerziehender Vater. Der ist schwerkrank, hat deshalb in Frühpension gehen müssen. Er hat eine Nettopension von 1400 Euro, eine Wohnung und drei Töchter. Der Mann hat Fixkosten von über 1000 Euro und hat Hilfe für Schulkosten gebraucht. Die gebe ich ihm natürlich. Ein anderer Mensch hat jetzt den ersten Monat einen Mietrückstand und deshalb helfe ich ihm bei der Miete. Ich habe bis Ende 2022 über eine Million Euro weggegeben. Da könnte ich mir eine super Villa kaufen, aber ich brauche das nicht. Dann hast du überhaupt kein Gefühl mehr dafür, wie schwer es jemand hat, der für 900 Euro arbeiten muss, wenn du so abhebst.

Sollten alle linken Politiker*innen ihr Gehalt freiwillig deckeln?

Absolut. Das machen ja zum Beispiel die PTB, unsere Schwesterpartei in Belgien, egal ob das ein EU-Abgeordneter ist oder in Landtagen, die machen das genauso. Alles andere ist unglaubwürdig.

Die FPÖ in Österreich ist stark. Ihre Demagogie greift. Wie geht die KPÖ gegen rassistische Spaltungsversuche der Arbeiterklasse vor?

Indem sie aufklärt und da ist für diese Leute, sie nicht der FPÖ überlässt. Das klingt jetzt vielleicht viel zu simpel, aber genau darum geht es. Du darfst die arbeitenden Menschen, die Arbeiter nicht der FPÖ überlassen. Diese einfache Geschichte: »Wenn die Ausländer weg sind, dann geht es euch besser«, darauf fallen natürlich viele rein. Da, wo die KPÖ stark ist, merkt man, dass die FPÖ auch eingedämmt ist.

Ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie mit einem Arbeiter über dieses Thema diskutiert haben?

Einmal? Tausende Male!

Was sagen Sie diesen Leuten?

Dass der Kollege bei dir in der Arbeit nie dein Gegner sein kann. Der macht die gleiche Arbeit wie du. Der Unterschied in der Welt verläuft nie zwischen den Kulturen, sondern immer nur zwischen oben und unten, zwischen denen, die besitzen, und denen, die von ihrer Arbeit abhängig sind. Und das verstehen die Leute. Die FPÖ spaltet die Leute. Da halten wir aber dagegen. Wir werden deshalb angefeindet, auch ich persönlich. Riesige Kampagnen wurden gegen mich geführt, die Kahr, tut ja nur Ausländern Gemeindewohnungen zuweisen. Was soll’s?

Wie antworten Sie auf diese Angriffe?

Da darf man sich nicht zurückziehen, sondern muss die Diskussion mit den Leuten suchen. Wenn sie sehen, dass du keinen Unterschied machst in der Behandlung der Leute und das jahrzehntelang, dann merken sie sich das und sind zugänglicher für andere Argumente. Sie müssen zuerst Vertrauen in dich als Politikerin gewinnen. Wenn du das schaffst, dann kann man auch über große Fragen wie Arbeitszeitverkürzung und Migration reden, weil sie wissen, dass du das aufrichtig meinst und immer im Auge hast, dass es der arbeitenden Bevölkerung besser gehen soll.

Erfolg lockt die Kritiker. Nicht nur Konservative, sondern auch Linke kritisieren die KPÖ immer wieder. Die Partei sei weder revolutionär noch kommunistisch. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Gar nichts. Das interessiert mich überhaupt nicht. Wir sind Kommunisten, und wir verstecken uns nicht hinter irgendwelchen linken Formeln oder Phrasen. Unser Ziel ist, in unserem Land Sozialismus zu erreichen. Das steht in unserem Programm. Das sag ich auch als Bürgermeisterin. Aber dafür braucht es ein Kräfteverhältnis. Daran müssen wir arbeiten. Als links verstehen sich viele. Derzeit sind Linke führende Kriegstreiber in Deutschland. Es gibt so viele linke Splittergruppen, die übers Reden nicht hinausgekommen sind, und das ist mir zu wenig. Das interessiert mich überhaupt nicht, solche Fragen, das geht da rein und dort raus. Tut mir leid, wenn ich das so sage.

Was würden Sie einem Antikommunisten sagen?

Dass es letztendlich darauf ankommt, sich sein eigenes Bild zu machen. Du kannst jemanden, der Antikommunist ist und mit unserer Partei keine konkrete Erfahrung gemacht hat, nicht davon überzeugen. Aber dadurch, dass die Menschen unsere Arbeit sehen, haben wir schon viele Antikommunisten in Graz davon überzeugt, die KPÖ zu wählen.

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