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Neu im Kino: »Geschlechterkampf«: Die Diktatur der Körper
Schauspielerin Margarita Breitkreiz über ihren neuen Film »Geschlechterkampf« und die Dominanz von Äußerlichkeiten im Filmgeschäft
Nachdem Sie Sobo Swobodnik in seinem autobiografischen Filmessay »Klassenkampf – Porträt einer sozialen Herkunft« (2021) verkörperten, basiert »Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats« nun auf Ihrer Biografie. Wie hat sich der Regisseur Swobodnik diesmal Ihrer Perspektive angenähert?
Wir sind seelenverwandt, so wie ich Sobo spüre, scheint er mich zu spüren. Mir ist sehr wichtig, dass sich Gefühle in Gesprächen übertragen. Sobo kann das Grundgefühl einer Situation in meinem Erzählen auffangen.
Warum haben Sie sich auch bei diesem Projekt für eine hybride Filmerzählung, bei der die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem verschwimmen, entschieden?
Diese Mischung ermöglicht am besten einen Moment des Unvorhersehbaren, Ungeplanten, setzt ihn sogar voraus.
»Der Film ist mein Leben«, sagen Sie. Sind die Spielszenen, die, teils grotesk überspitzt, zeigen, wie die Schauspielerin Marga Sexismus, Ageismus, Rassismus und Machtmissbrauch in Job, Alltag und bei der Arbeitsagentur erlebt, dennoch bewusst als Standardsituationen, also exemplarisch, angelegt?
Jap. Außer der Situation im Jobcenter (wo ihr unter anderem ein Engagement in Bremerhaven und ein Job im Callcenter nahegelegt werden; M.H.), die ist original (lacht).
Der »sogenannte Geschlechterkampf«, sagen Sie, lasse sich »hervorragend anhand der Theater- und Filmbranche erzählen«. Warum? Und was verbindet diese Branche mit der Arbeiterinnenklasse?
In dieser Branche bist du nicht nur auf deine kognitiven Fähigkeiten, sondern auch sehr auf deinen Körper als Arbeitsmaterial angewiesen. Gleichzeitig ist es so, dass dein Körper, deine Erscheinung oft ausschlaggebend bei der Vergabe von Arbeit sind. Einfach ausgedrückt: Es wird extrem intensiv auf den Körper geschaut und bewertet. Und von dieser Bewertung hängt ab, ob du die Rolle bekommst. Ist diese Person für die Zuschauer*innen im sexuellen Sinne interessant? Weibliche Figuren werden sehr oft nach diesem Kriterium besetzt. Die Körperteile sind interessanter als der Mensch im Ganzen. Beim Film gibt es Sprüche wie: »Oh, sie bekommt ein Kind, na dann können wir sie vergessen, schade. Wenn Frauen ein Kind bekommen, verändern die sich, dann ist die Frische weg.« Beim Theater meinte ein Kollege ernsthaft zu mir: »Na, man muss sich schon entscheiden: Kinder oder Theater.« Und was uns mit der Arbeiterinnenklasse verbindet? Wir sind Arbeiterinnenklasse.
Wegen Ihrer russischen Herkunft werden Sie häufig auf bestimmte Rollen reduziert. Wie oft haben Sie Rollen annehmen müssen, von denen Sie nicht überzeugt waren?
Tatsächlich nicht so oft, eigentlich gar nicht. Ich habe schon immer nur Rollen angenommen, wenn sie mir interessant und spielenswert vorkommen. Oft habe ich Arbeit entweder von Anfang an abgelehnt oder nicht bekommen, nachdem ich den Regisseur*innen beim Casting zu verstehen gegeben habe, dass ich die Rolle auf meine eigene Weise spielen werde und nicht so, wie sie es möchten. Beim Film gab es auch enttäuschende Projekte, die im Prozess der Produktion (Maske, Regie, Schnitt) in eine Ecke gedrängt wurden, mit der ich nicht einverstanden war. Im Theater mache ich immer nur, was ich will.
Hat sich seit der Metoo-Debatte und der Gründung der Organisation ProQuote Film etwas verändert im Film- und Theatergeschäft?
Grundsätzlich sind die Strukturen gleich geblieben, die Veränderung erfolgt in Zeitlupe. Es gibt die Beratungsstelle Themis für Opfer sexueller Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, die aber nur mit einem Minimum gefördert wird. Nein heißt neuerdings nein. Über das Thema spreche ich auch als soziale Skulptur »Artist at Work«, die ich gerade zusammen mit Julia Thurnau für die Volksbühne in Berlin entwickelt habe: Wir kennen seit #Metoo auch die andere Seite. Der Einsatz von erotischem Kapital ist beim Erklimmen der Karriereleiter hilfreich, wenn nicht sogar notwendig. Es war toll: Anspruchsvolle Tageszeitungen bildeten plötzlich Frauen aller Altersgruppen gleichzeitig ab, meistens sogar mit ihren Bewerbungsfotos – unter dem Titel: »Wurde sie vergewaltigt?« Die durften erzählen, ob – und wenn, dann wie – sie vergewaltigt oder missbraucht wurden. Dass in deren Umfeld auch Frauen existieren, die nicht vergewaltigt wurden, entlastete die potenziellen Vergewaltiger. Und die ganze Diskussion fand im Feuilleton statt, das ist ja dann keine Pornografie. Die Frauen, die abgebildet und benannt wurden, prozessieren teilweise heute noch, um ihre Behauptungen zu beweisen, also ob sie nun vergewaltigt wurden oder nur belästigt, ob sie Nein gesagt hatten oder nicht – obwohl es längst niemanden mehr interessiert. Diese Frauen arbeiten größtenteils sowieso nicht mehr oder mischen sonst irgendwie mit.
Margarita Breitkreiz ist im Jahr 1980 im sowjetischen Omsk geboren. Nach dem Ende der Sowjetunion kam sie 1994 mit ihren Eltern und einem Bruder nach Deutschland. 2006 schloss sie ihr Schauspielstudium an der Ernst-Busch-Schule in Berlin ab, wo sie immer noch lebt. Anschließend war sie jahrelang in mehreren Produktionen an der Berliner Volksbühne unter Intendant Frank Castorf zu sehen. Sie spielte in diversen »Tatort«- und »Polizeiruf«-Episoden mit.
Wie kam es zur Auswahl der drei Expert*innen, Lady Bitch Ray, Michaela Dudley und Teresa Bücker, die Sie im Film interviewen?
Wir haben aktive Feministinnen gefragt, deren Bücher und Auftreten uns in den sozialen Netzwerken interessiert haben, und es war in allen drei Fällen inspirierend. Wir hatten auch andere Feministinnen angefragt. Es hat mich überrascht, dass eine Feministin nicht bei unserem Film mitmachen wollte, weil eine andere Feministin dabei war. Es war ernüchternd. Die Feministinnen sind untereinander zerstritten; anstatt sich gegenseitig zu ergänzen und zu bestärken, feinden manche sich an. Es ist schon klar, dass Feminismus verschiedene Sichtweisen beinhaltet und es Konflikte gibt. Aber Konflikte können eine krasse Energie erzeugen, die die Bewegung sehr produktiv einsetzen kann. Dazu müssen sich die verschiedenen Sichtweisen begegnen, in Dialog treten. Es braucht ein Zusammenwirken unterschiedlicher Sichtweisen.
Ihre Agentin schickt die Protagonistin in die Therapie und pathologisiert damit ihren Widerstandsgeist. Auch die Therapeutin wird im Film entsprechend negativ gezeichnet. Kann Therapie nicht auch dabei stärken, Widerstand gegen strukturelle Missstände zu leisten?
Meine Protagonistin spürt das Spannungsfeld und nutzt die dabei generierte Energie, um aus der Opferhaltung und aus der Teilnahmslosigkeit auszusteigen. Die Therapeutin bietet ihr an, aus dieser Spannung auszusteigen, das will Marga nicht. Es braucht eine Aktion: Jetzt oder nie!
Die Sprache im Film ist teils poetisch, teils akademischer Diskurs. Wie Banden bilden, wenn man einen Teil der Betroffenen damit ausschließt?
Spätestens die Poesie erreicht jede*n am genau richtigen Ort. Niemand wird ausgeschlossen.
»Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats«, Deutschland 2023. Regie: Sobo Swobodnik, Drehbuch: Margarita Breitkreiz, Sobo Swobodnik. Mit: Margarita Breitkreiz, Lars Rudolph. 97 Minuten, Start: 3.8.
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