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»Noch wach?«: Die Verdammten dieser Branche

Stuckrad-Barres MeToo-Erfolgsroman »Noch wach?« feiert als Theaterstück Uraufführung am Hamburger Thalia-Theater

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 6 Min.
So zerbrechen sogenannte Männerfreundschaften: Nils Kahnwald und Hans Löw
So zerbrechen sogenannte Männerfreundschaften: Nils Kahnwald und Hans Löw

Gerade mal ein halbes Jahr ist es her, dass unter großer medialer Begleitmusik ein Roman erschien, der unter anderem die Mechaniken medialer Begleitmusiken zum Thema hat. »Noch wach?« von Benjamin von Stuckrad-Barre wurde einhellig als Schlüsselroman über die Vorwürfe gegen den Chefredakteur von »Bild« nach dessen Ablösung aufgenommen und brachte den Autor unter anderem auf den Titel des »Spiegel« und an die Spitze der »Spiegel«-Bestsellerliste. Am vergangenen Freitag feierte die Bühnenfassung in Hamburg unter der Regie von Christopher Rüping Premiere vor ausverkauftem Haus.

Kein Medium des Landes kam im Frühjahr drumherum, sich mit »Noch wach?« zu befassen, zu erörtern, was Fiktion, was nacherzählte Realität war. Natürlich doppelt sich darin auch das zynische Geschäftsmodell, von dem »Noch wach?« erzählt, von den Währungen namens Auflage und Klicks, von einem Journalismus, der im Zweifel über Leichen geht, zumindest aber auch mit dem Elend anderer ein Geschäft macht. Zwei zentrale Figuren in »Noch wach?« sind dabei einerseits kaum verkennbar Ex-»Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt und dem Immer-noch-Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner nachempfunden, nur dass sie über keine Boulevard-Zeitung, sondern über einen Krawall-Fernsehsender herrschen, zugleich sind sie in ihrem eitlen Ramentern von New Work, Führungskultur und Visionen und ihren reaktionären Weltsichten deprimierend austauschbar. Christopher Rüping stellt sie in ihrer Klischeehaftigkeit auf der Bühne so dermaßen bloß, dass die Lacher so wohlfeil sind wie sie vergessen lassen könnten, dass der reale Kern dieser Klischees reichlich brutal ist. Schließlich geht es hier immerhin um sexuelle Belästigung und Gewalt und die Förderung und Zerstörung von medialen Karrieren, kurz all das, was man so Machtmissbrauch nennt.

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Die Orte des Geschehens, das berühmte Luxushotel Chateau Marmont an der ewigen Sonne Hollywoods und das herbstlich dauerverregnete Berlin um den im Bau befindlichen »Turm des Bösen« herum, den neuen Sitz des Fernsehsenders, der hier den Springer-Konzern stellvertritt, hat Peter Baur einesteils als Plastikplanschbecken mit Silberpalme (Hollywood) vor dem Eisernen Vorhang, zum anderen als ziemlich tolle Gruselhaus-Kulisse eingerichtet, die dem namenlosen Chef des ebenso namenlosen »Brüllsenders« (gespielt von Hans Löw) einige ziemlich lustige Auftritte erlaubt. Hier inszeniert er, der Unternehmer, sich als weltläufiger Visionär, mit allem Wortgetöse, das heute auch in den unteren Etagen der Branche die Runde macht, wenn es um die Zukunft nicht allein des Medienmachens geht: Niemand hat mehr seinen oder ihren eigenen Schreibtisch, Teams werden immer wieder neu zusammengewürfelt, »themengebunden«. In den modernen Büros laden Lounge-Ecken zum kreativen Austausch ein. Arbeitszeit? Gibt’s nicht mehr. Was freilich heißt: Eigentlich nur noch. International, sagt der Chef, sei man damit eher »late to the party«, in Deutschland aber ganz vorn dabei.

Diese Welt bildet den Hintergrund für den Fall der Sophia (Maike Knirsch), die Hauptfigur neben oder vielleicht auch hinter dem Ich-Erzähler, den Rüping auf der Bühne als gemischtes Ensemble oft widerstreitender Gedanken und Emotionen auftreten lässt. Die junge Frau lässt sich von dem Chefredakteur umgarnen, entwickelt echte Gefühle für ihn, geht auf seine geradezu sprichwörtlich gewordenen Chatnachrichten in anachronistisch jugendsprachlichem Duktus (»Starke vermissung«) ein, von denen eine dem Roman seinen Titel gab. Und sie muss erleben, dass sie dem narzisstischen Journalisten doch nur ein Spielzeug war. Während parallel dazu die Freundschaft des Ich-Erzählers mit dem mächtigen Senderbesitzer, die nicht weniger als Liebe gewesen sei, zerbröselt. Kaum ein Stoff für Lacher, könnte man denken, zumal Stuckrad-Barre diesen Plot in die MeToo-Debatte einhängt, deren Beginn der Ich-Erzähler in Hollywood fast buchstäblich hautnah miterlebt, als er am Pool mit Rose McGowan ins Gespräch kommt. Für die Medienbranche war der Weinstein-Skandal natürlich auch ein gefundenes Fressen. Da darf dann auch im sexistischen Brüllsender mal ein »edgy script über MeToo« laufen. Was klickt schließlich mehr?

Bei alledem gibt es auch einiges an Theaterzauber, wenn Sängerin Inéz begleitet von Schlagzeuger Matze Pröllochs »Into The Light« von Falco singt, oder wenn Nils Kahnwald als Ich-Erzähler und Hans Löws Boss-Figur in verschwiemelter Männerfreundschaft schwelgen, bevor ihre Freundschaft, die wohl nie wirklich eine war, zerbricht. Es ist überhaupt durchaus ein Vergnügen, diesem Ensemble zuzusehen, zu dem neben den Genannten Cathérine Seifert, Oda Thormeyer und Julia Riedler gehören, wie es die durchaus kunstvoll rotzige Sprache des Romans performt.

Dass man unwillkürlich lachen muss, wenn sich aus den Erzählungen Sophias das Bild des Chefredakteurs als Alpha-Männchen herausschält, das sich als Mensch mit Brüchen inszeniert, als verletztlich, traumatisiert, ist indes verräterisch. Typen wie der Chef und sein Redakteur, das sind eben immer die anderen.

Dabei ließe sich die Verschlüsselung des literarischen Personals nicht nur als Funktion erkennen, den Autor vor den Anwälten eines mächtigen Konzerns zu schützen, sondern auch ein Stück Verallgemeinerung: Machtverhältnisse wie die in »Noch wach?« geschilderten gibt es ja nicht nur in dem mächtigen Medienkonzern. Sowohl Sophia als auch der Ich-Erzähler haben dann auch sichtlich ihre liebe Not damit, die eigene Position in diesen Verhältnissen zu bestimmen, zu klären, wo das Mitmachen aufhört und die Gewalt der ökonomischen Zwänge anfängt, sprich: was es eigentlich mit der Freiheit im Kapitalismus auf sich hat. Allerdings leuchtet das in Rüpings Inszenierung nur am Rande auf.

Stattdessen entführt er im Finale an einen dritten, utopischen Ort, mit futuristischen Kostümen und einem von Emma Lou Herrmann komponierten Video-Himmel voller Bilder einer Frauen-Power-Wunderwelt, während im Hintergrund das Inventar der kleinen Horror-Show zu Bruch geht: »Der Turm« als ein Ort der Verwüstung, aber schon mit Flatterband abgesperrt – ein Betriebsunfall. Man kümmert sich darum. Die Verdammten dieser Branche haben sich aufgebäumt, Springer zu zerschlagen. Aber es fehlt dem Abend dann doch an Einsicht oder Mut, vielleicht auch am Willen, im Besonderen das Allgemeine zu erkennen. Das Publikum, das zu einem gar nicht so geringen Teil aus Journalisten und Journalistinnen bestanden haben dürfte, war gleichwohl begeistert. Nur ein paar vereinzelte Buhs war zu vernehmen, als Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne trat und demonstrativ vor dem Ensemble niederkniete, aber das trübte die Freude nicht. Es kann ja nun weitergehen, die Bösen sind – zumindest zum Teil – abgestraft. MeToo hat seine Schuldigkeit getan.

Nächste Vorstellungen: 19.9., 24.9., 15.10.
www.thalia-theater.de

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