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Asbest-Gefahr in Berlin: Giftige Sanierungen
Weil viel saniert werden muss um die Klimaziele zu erreichen, warnt die IG BAU vor Asbest-Gefahr für Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter
Thomas Hentschel macht sich Sorgen. »Altbauten in Berlin sind ein tonnenschweres Asbest-Lager«, warnt der Berliner Bezirksvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) am Montag. Die »Asbest-Fallen«, wie er sie in einer Mitteilung nennt, lauerten überall: im Putz, in Spachtelmassen und Fliesenklebern, vor allem aber im Asbest-Zement, aus dem lange Zeit Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen gefertigt wurden.
Bei der IG BAU ist die Rede von einer »neuen Asbest-Gefahr«, die vor allem Bauarbeiter*innen und Handwerker*innen in der Hauptstadt betrifft. Sie sind diejenigen, die bei Sanierungen in unmittelbaren Kontakt mit dem giftigen, seit 1993 verbotenen Baustoff kommen werden. Für die Gesundheit wird Asbest gerade dann bedrohlich, wenn er durch Arbeiten freigesetzt und eingeatmet wird.
Bis zu 30 Jahre kann es Hentschel zufolge dann dauern, bis es zur Krebsdiagnose kommt. Mindestens eine FFP3-Atemschutzmaske, Overall, Schutzbrille und Handschuhe seien ein Muss am Arbeitsplatz, um sich vor der »unsichtbaren Gefahr« schützen. »Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, worauf er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert«, sagt der Gewerkschafter. Er fordert einen Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung.
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Neben einer Sanierungsprämie vom Bund, die zusätzliche Kosten bei der Entsorgung von Asbest abfedern soll, sieht die IG BAU zudem die Notwendigkeit einer Aufklärungskampagne. Arbeiter*innen, sagt Hentschel, müssten darüber informiert werden, wie optimaler Schutz aussehe. »Und das muss den Menschen in der Sprache gesagt werden, die sie verstehen – den ausländischen Beschäftigten also auch in ihrer Muttersprache«, ergänzt er.
Vor allem von 1950 bis 1989 kam der Stoff beim Neubau und bei Modernisierungsmaßnahmen zum Einsatz. »In den vier ›Asbest-Jahrzehnten‹ wurden in Berlin rund 121 600 Wohnhäuser mit 874 600 Wohnungen neu gebaut«, rechnet Hentschel vor. »Das sind immerhin 37 Prozent aller Wohngebäude, die es heute in der Stadt gibt. Dazu kommen noch Gewerbegebäude, Garagen, Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft.« Um die Klimaziele nicht zu verfehlen, sollen in den kommenden Jahrzehnten etliche Bauten energiesparend saniert werden. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich laut Hentschel, anders als die Bauarbeiter*innen, keine Sorgen um seine Gesundheit machen.
Der arbeitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Martin Pätzold, begrüßt, dass die IG BAU auf die Schwierigkeiten aufmerksam macht, warnt allerdings vor Panik. »Dass man in der ein oder anderen Großsiedlung etwas zu tun hat, ist ganz klar«, sagt er zu »nd«. Lösen ließe sich das Problem hauptsächlich in Zusammenarbeit mit dem Bund, doch »der Senat muss natürlich sensibilisieren und informieren«. In der Pflicht sieht Pätzold darüber hinaus die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. »Sie haben die Verantwortung, eine Übersicht darüber zu erstellen, was wo verbaut wurde«, sagt der CDU-Politiker.
Sven Meyer, Arbeitsexperte der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt sich gegenüber »nd« überrascht: »Die Handwerksbetriebe müssten das Thema eigentlich auf dem Schirm haben und den Umgang mit Asbest schon in der Ausbildung schulen.« Sollte sich dies als nicht gegeben herausstellen, müsse das Land Berlin an dieser Stelle ansetzen. »Das ist etwas Grundlegendes. Wenn der Senat und die Landeseigenen hier nicht ihrer Verantwortung nachkommen würden, wäre das ein Skandal.« Beim Schutz illegaler Bauarbeiter*innen verweist Meyer in erster Linie auf die Verantwortung der Firmen, auch wenn der Senat hier ebenfalls prüfen müsse, was im Bereich des Möglichen liege.
Mit ihrem Asbest-Problem ist die Hauptstadt nicht alleine. Im August warnte die IG Bau vor Risiken in ganz Deutschland. Schon jetzt sterben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zufolge jedes Jahr über 1500 Menschen in der Bundesrepublik an Folgen des beruflichen Kontakts mit dem krebserregenden Baustoff.
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