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Ein Leben für die Revolution
Ronald Friedmann hat Elise Ewert der Vergessenheit entrissen
Es ist ein Leben im Sprint gewesen, atemlos, aufregend, abenteuerlich – das kurze Leben der Elise Ewert, von Freunden und Mitstreitern liebevoll »Sabo« genannt. Der Berliner Historiker Ronald Friedmann, ausgewiesener Experte für die Geschichte der deutschen und internationalen kommunistischen Bewegung, will sie mit seinem einfühlsamen Porträt der Vergessenheit entreißen. Mit seiner Hommage an diese tapfere Streiterin gegen Ungerechtigkeit, Gewalt, Unterdrückung und Faschismus ehrt er zugleich die vielen anderen, dem öffentlichen Gedächtnis hierzulande entschwundenen Frauen, die den höchsten Preis zahlten, den ein Mensch geben kann – für eine bessere, friedvollere Welt: das eigene Leben.
Elise Ewert war die Frau von Arthur Ewert, einem in den 20er und 30er Jahreneinflussreichen und bekannten Spitzenfunktionär der KPD und der Kommunistischen Internationale, zugleich »eine eigenständige schöpferische Persönlichkeit«, wie der Biograf bereits eingangs betont. Geboren am 14. November 1886 als Auguste Elise Saborowski in Ostpreußen als Tochter eines Dorfschmieds und einer Lehrerin drängte es sie nach dem Tod der Mutter hinaus aus provinzieller Enge. Sie stürzt sich sogleich in die brodelnde Metropole Berlin. Während ihre Schwester sich für ein Leben als Ehefrau und Mutter entscheidet, will sie einen selbstbestimmten Weg gehen, arbeitet in der deutschen Hauptstadt als Telefonistin, als »Fräulein vom Amt«, wie es damals hieß.
1912 oder 1913, so Friedmann angesichts dürrer Überlieferungen, lernt sie den um vier Jahre jüngeren Arthur kennen, der bei einem Onkel nicht nur das Sattlerhandwerk erlernt, sondern auch in Kontakt zur sozialistischen Bewegung kommt. Ein Foto aus dem Sommer 1913 zeigt Arthur und Elise bei einem Ausflug von Funktionären der Berliner Arbeiterjugend in die Umgebung Berlins. Es folgt alsbald der beiden erster »Ausflug« in die weite Welt – nach Kanada. Nicht als von Deutschland gelangweilte oder dem drohenden (Ersten) Weltkrieg (der Elise ihre beiden Brüder nehmen soll) entfliehende Auswanderer; Friedmann vermutet, dass sie bereits mit einem politischen Auftrag über den Atlantik schipperten.
Arthur wie Elise schließen sich der illegalen Sozialistischen Partei Nordamerikas an und sorgen im November 1918 für eine politische Sensation, die die kanadische Polizei ratlos macht und die Regierung in Ottawa in Aufregung versetzt. Ein spektakulärer agitatorischer Einstand: Mitte November 1918 zirkuliert in Ontario, im Süden Kanadas, ein »in höchstem Maße ungewöhnliches Flugblatt«, in hoher Qualität gedruckt und in unauffälligen Umschlägen in Briefkästen gesteckt oder unter Wohnungstüren hindurchgeschoben. Überschrieben ist es mit »Der Frieden und die Arbeiter«, es richtet sich gegen die »verlogenen Siegesfeierlichkeiten« nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommen der Entente mit dem besiegten Deutschland. Es fordert die Volksmassen zur Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten auf. Nur die »Überwindung der Macht der Kapitalisten und ihrer Institutionen« könne die »Grundlage dafür legen, dass ... die Arbeiter ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen«.
Das Flugblatt sorgt für Furore, die Polizei tappt bis Frühjahr 1919 im Dunkeln. Am 23. März 1919 werden Arthur Ewert, Elise Saborowski und der 24-jährige, aus Russland stammende Student Lieb Samsonovitch in Toronto verhaftet; am 28. April 1919 wird die Öffentlichkeit per Pressekonferenz informiert. Die »Toronto World« titelt: »Polizei verhaftete die Führer der Bolschewisten von Toronto«. Und die »Toronto Times« vermeldet: »Bolschewistische Propaganda in Kanada auf Agenten aus Deutschland und Russland zurückzuführen«.
Mehrere weitere Verhaftungen folgen. Aus Gründen, die sich nicht mehr feststellen lassen, so Friedmann, verzichten die kanadischen Behörden allerdings auf eine Anklage gegen Arthur, Elise und Lieb Samsonovitch. Jahre später berichtet Sabo in der von der KPD herausgegebenen illustrierten Zeitschrift »Der Rote Stern«: »Wie wir Flugblätter druckten«.
Während Arthur schon wenige Wochen später nach Deutschland ausgewiesen wird, muss Elise fast ein Jahr in kanadischer Haft verbringen, ehe auch sie abgeschoben wird. Kaum ein Jahr in Freiheit ist Arthur beschieden, ehe er wieder ins Gefängnis muss – wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«. Der Märzaufstand der KPD von 1921, ein Nachhall der abgewürgten Novemberrevolution, war gescheitert. Involviert ist Arthur auch im zwei Jahre darauf erneut versuchten, vergeblichen Aufstand, in die Annalen der Geschichtsschreibung als Deutscher Oktober eingegangen; er muss untertauchen, ist jahrelang auf der Flucht vor den Behörden. Inzwischen gehört er der engeren Parteiführung an.
Wie Arthur ist auch Elise gleich nach der Rückkehr nach Deutschland – sie just zur Zeit des mächtigen Generalstreiks gegen den Kapp-Putsch im März 1920 – der KPD beigetreten. Im September 1922 heiraten die beiden, nach zehn Jahren Zusammenlebens, das Getrenntsein im Sinne der Sache einschloss und auch fürderhin erfordern sollte. Zuvor hat sich Elise in Moskau erste Sporen für die Weltrevolution verdient, als Mitarbeiterin der Presseabteilung des Exekutivkomitees (Ekki) der Kommunistischen Internationale (KI). Bis Juni 1923 ist sie, im »Vaterland der Werktätigen« zur Stenotypistin und Sekretärin ausgebildet, für das Westeuropäische Büro des Internationalen Frauensekretariats tätig, an der Seite von Clara Zetkin, Alexandra Kollontai und Nadeschda Krupskaja, Lenins Frau. Sie verfasst unter anderem Artikel für die Zeitschrift »Kommunistische Fraueninternationale« und lebt im berühmten, später berüchtigten Hotel »Lux«.
Im Sommer 1927 reist Elise mit Arthur in die USA im Auftrag der Komintern, um den in der KP der USA seit Jahren schwelenden Konflikt zu dämpfen. In New York treffen sie auf bekannte US-Schriftsteller wie Theodore Dreiser und Upton Sinclair, lernen den mexikanischen Maler Diego Rivera kennen und engagieren sich in die Befreiungskampagne für Sacco und Vanzetti, zwei zum Tode verurteilte italienische Anarchisten.
Dann geht es auf die andere Seite der Erdkugel, nach China. In Shanghai begegnen sie Richard Sorge, den berühmtesten Sowjetspion in Fernost. Hier kommt es auch zum Zusammentreffen mit Ruth Werner, geborene Ursula Kuczynski, die ebenfalls für den sowjetischen Geheimdienst tätig ist und in ihrer in der DDR erschienenen Biografie über Olga Benario-Prestes auch Elises mit warmherzigen Worten bedenkt, von Friedmann mehrfach zitiert. »Man feierte gemeinsam den Jahreswechsel und kam sogar in einem größeren Kreis zusammen, um den Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland zu begehen.«
Mit dem Einzug von Arthur in den Deutschen Reichstag im Mai 1928 habe sich ein gewisses Maß an Normalität im täglichen Leben von Elise und Arthur Ewert eingestellt, so der Autor. »Durch die parlamentarische Immunität war Arthur Ewert nun nicht mehr unmittelbar von Verhaftung und juristischer Verfolgung bedroht. Allerdings spitzten sich im Verlaufe des Jahres 1928 die innerparteilichen Macht- und Richtungskämpfe zwischen den ›Linken‹ um den Parteivorsitzenden Ernst Thälmann, den ›Rechten‹ um Heinrich Brandler und August Thalheimer und den ›Versöhnlern‹ um Ernst Meyer und eben Arthur Ewert in dramatischer Weise zu«, berichtet Friedmann.
Brandler und Thalheimer wurden bekanntlich aus der Partei ausgeschlossen, Arthur musste Selbstkritik üben und wurde aus der KP-Führung ausgestoßen. »Im Frühherbst 1930 schied er endgültig aus der deutschen Parteiarbeit aus.« Arthur und Elise stellen sich nunmehr vollends in den Dienst der »Weltpartei«, der Komintern. »Ihre Missionen führten sie um die halbe Welt.«
Arthur wird mit der Leitung des Südamerikanischen Sekretariats beauftragt, Elise Mitarbeiterin der OMS, der Abteilung für internationale Verbindungen der KI, »eine bis heute geheimnisumwobene Einrichtung, die seit ihrer Gründung in den frühen zwanziger Jahren eng mit dem sowjetischen Außenministerium und den sowjetischen Geheimdiensten verbunden war«, wie Friedmann informiert. Sie war zuständig für geheime Nachrichtenübermittlung über Funk und Kurier, für Geld- und Materialtransfers zwischen der Zentrale in Moskau und den Sektionen im Ausland. »Zu ihren Aufgaben gehörte die Beschaffung von Pässen, Visa und weiteren Dokumenten, die zur Sicherung illegaler Missionen erforderlich waren« sowie »für die Ein- und Ausschleusung von ausländischen Funktionären«.
Einen tiefen Einschnitt im Leben des Ehepaares Ewert sollte der Beschluss der Kominternführung markieren, den Sitz des Südamerikanischen Sekretariats von Montevideo in Uruguay nach Rio de Janeiro, die damalige Hauptstadt Brasiliens, zu verlegen. Dort hatte sich eine breite antifaschistische, antiimperialistische Volksbewegung gebildet, die Aliança Nacional Libertadora (Nationale Befreiungsallianz), der sich Zehntausende Menschen anschlossen.
»In der Führung der kleinen und nur wenig wirksamen Kommunistischen Partei Brasiliens war man gegenüber der Allianz zunächst skeptisch gewesen, dann aber zu der Überzeugung gelangt, dass in Brasilien ohne Frage eine revolutionäre Situation im Entstehen war und dass die Übernahme der politischen Macht durch die Allianz, unter ›Führung‹ der Kommunistischen Partei, auf der Tagesordnung stehen würde.« Diese Ansicht vertrat auch Luíz Carlos Prestes, der legendäre »Ritter der Hoffnung«, der 1925 bis 1927 – damals noch nicht Kommunist, sondern frischgebackener Absolvent der Militärakademie – die sogenannte Coluna Prestes angeführt hat, einen opferreichen Marsch von über 1000 bewaffneten Revolutionären quer durch das ganze Land, die das alte oligarchische Regime hinwegzufegen versuchten. Zwar ist dieses Anliegen gescheitert, doch kam es im Gefolge zu einigen Reformen.
Prestes hatte indes außer Landes flüchten müssen. Seit 1931 in Moskau lebend, kannte er die nachfolgende Entwicklung in seiner Heimat nur aus Berichten Dritter, was auch bei ihm zu einer Überschätzung der revolutionären Situation in Brasilien führte, ebenso wie an der Spitze der Komintern, die seinen Wunsch zur Rückkehr goutiert. »Als seine Begleiterin hatte man in Moskau eine junge deutsche Kommunistin ausgewählt, die auch in Brasilien die Verantwortung für die persönliche Sicherheit von Luíz Carlos Prestes tragen sollte: Olga Benario. Arthur Ewert, der Luíz Carlos Prestes im Januar 1931 in Montevideo kennengelernt und einige Monate später dessen Reise nach Moskau angeregt und vorbereitet hatte, erhielt den Auftrag, das Wirken von Luíz Carlos Prestes in Brasilien als politischer Berater zu unterstützen.«
Die vier müssen laut Ruth Werner ein gutes Gespann abgegeben haben: »Olga und Sabo passten ausgezeichnet zusammen, sie wurden sehr gute Freundinnen. Trafen sich Arthur und Sabo, Prestes und Olga einmal zu viert – die Illegalität verbot ein häufiges Zusammensein –, so war es für sie ein besonderes Fest. Olgas ausgelassene Fröhlichkeit und Sabos trockener Humor waren Anlass zu solcher Heiterkeit, wie Prestes sie selten im Leben genossen hatte.«
Doch das waren Ausnahmen, der Alltag sah anders aus, korrigiert Friedmann. Eine Kette von Fehlern, Illusionen und Zufällen mündet schließlich in der Tragödie. Prestes setzte erneut seine Hoffnungen auf junge Offiziere, die mit ihrer Rebellion die Volksmassen aufrütteln, einen landesweiten Generalstreik initiieren und letztlich den Sturz der Regierung Vargas bewirken sollten. Doch schon beim Verbot der Nationalen Befreiungsallianz im Juli 1935 hatte sich gezeigt, dass diese zwar Sympathien im Volk genoss, jedoch nicht um den Preis, sie unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen.
So brachen die kühnen Erwartungen wie ein Kartenhaus zusammen. Elise und Arthur Ewert werden im Dezember 1935 in Rio de Janeiro verhaftet. Gemeinsam mit Olga Benario, die mit Luíz Carlos Prestes im März 1936 verhaftet worden ist, wird Sabo im September 1936 an Deutschland ausgeliefert. Sie durchleidet drei Konzentrationslager: Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück. »Im Juli 1939 starb sie, erst 52 Jahre alt, an den Folgen der jahrelangen physischen und psychischen Folter, die sie in Brasilien und Deutschland durchlitten hatte.« Olga Benario wird 1942 in Bernburg ermordet. Arthur Ewert zerbricht am grausigen Ende seiner Frau, wurde 1942 in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und starb 1959 in geistiger Umnachtung in der Berliner Charité.
Den brasilianischen Behörden musste klar gewesen sein, so Friedmann, dass die Auslieferung von Elise und Olga nach Nazideutschland einem Todesurteil gleichkam. Deren Schicksal bewegte und erregte nicht nur die deutschsprachige Emigration. Als ein Beispiel nennt der Biograf die unermüdlichen Aktivitäten einer in Prag ansässigen Union für Recht und Freiheit, die Ende 1935 von deutschen und tschechoslowakischen Kommunisten gegründet worden war. Auch andernorts wurden Protestschreiben, Briefe und Telegramme verfasst und nach Berlin gesandt, in denen die Freilassung von Olga und ihrer kleinen, in Haft geborenen Tochter Antita sowie von Elise gefordert wurden.
Voller Bewunderung spricht Friedmann über die Folter und Schmähungen der Gestapo und KZ-Mannschaften widerstehende tapfere Elise, von ihren Peinigern als »verknöcherte Kommunistin« und »gefährliche Komintern-Agentin« verunglimpft. »Die kluge und weltgewandte Frau gab sich als unbedarftes Hausmütterchen, das von der Tätigkeit des Ehemannes nichts wusste und sich auch nicht dafür interessierte. Sie berichtete in vielen Einzelheiten über Belanglosigkeiten, die für die Gestapo von keinerlei Interesse waren ... Den fast zweijährigen Aufenthalt in China, von dem die Gestapo offensichtlich nichts wusste, verschwieg sie komplett.«
Friedmanns Fazit: »Elise und Arthur Ewert lebten ein intensives und auch reiches Leben, das trotz langer Phasen der räumlichen Trennung und der materiellen Entbehrungen immer wieder von gemeinsam erlebtem Glück gekennzeichnet war. Diese Aussage steht keineswegs in Widerspruch zu dem tragischen Ende, das Elise und Arthur Ewert fanden, denn sie verstanden sich nicht nur als ein Paar, das gemeinsam durch die Höhen und Tiefen des Lebens ging, sondern als Kämpfer für eine gerechte Sache, die es wert war, auch das höchste Opfer zu bringen.«
Roland Friedmann: Sabo. Das kurze Leben der Elise Ewert. Epubli, 220 S., geb., 19,90 €.
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