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Arbeitszeit in der Pflege: Zufriedener mit Wunschdienstplan
In einigen Krankenhäusern werden erfolgreich neue Arbeitszeitmodelle für die Pflege erprobt
Alljährlich Ende Januar veranstaltet der wissenschaftliche Springer-Verlag einen Kongress, auf dem Menschen aus dem Pflegemanagement Lösungen für die Notlagen der Branche diskutieren. Parallel zum Streik der Lokführer wurde auf der Berliner Veranstaltung am letzten Freitag nach zukunftsfähigen Arbeitszeitmodellen gefragt.
Vorgestellt wurden drei Ansätze, in denen sich Kliniken aus dem Einerlei des Dreischichtsystems herauswagten. Das umfangreichste Projekt startete schon 2019 im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE), man verlor aber anderthalb Jahre durch die Pandemie. Ende 2023 nahmen jedoch alle 88 bettenführenden Stationen des UKE teil, 2024 sollen weitere Bereiche folgen.
Im Detail wurden neue Varianten von Dienstlängen angeboten, etwa Kurzdienste, die zwischen vier und sechs Stunden dauern. Die bei den Beschäftigten besonders beliebten Zwölf-Stunden-Dienste sind nicht mehr möglich, der Betriebsrat sprach sich dagegen aus, der Grund: Gesundheitsschutz. Beliebt waren diese Dienste, weil so die Soll-Arbeitszeit schnell erreicht wird, denn bei dieser bleibt es. Jetzt sind immer noch Dienste von etwas mehr als zehn Stunden möglich. Die Beschäftigten, die Kurzdienste machen, kommen in der Regel zu jenen mit langen Diensten dazu, und zwar dann, wenn es Belastungsspitzen gibt, die sich so abfangen lassen.
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Von der Projektleitung berichteten Ulrike Mühle und Ilja Doronin, beide auch examinierte Pflegekräfte, über die neue Praxis. Die Beschäftigten, die mitmachen wollen – das ist freiwillig – tragen ihre Wunschdienste ein. Die Stationsleitung muss diese in einem allgemeinen Dienstplan umsetzen. Zugleich wurden Arbeitsabläufe geändert, etwa gibt es für die Visite jetzt einen festen Termin. Neu sind das kurze morgendliche Briefing, das für alle einen gleichen Informationsstand bringt, oder eine Tagesabschlussbesprechung.
Im UKE erhöhte alles in Summe die Planungssicherheit für die Pflegekräfte und bringt ihnen mehr Spielraum für persönliche und familiäre Bedürfnisse. Realisiert werden konnte das auch mithilfe der Techniker-Krankenkasse. Fertig im engeren Sinn ist es nicht, so Gesundheitswissenschaftlerin Mühle: »Es muss immer weiterentwickelt werden, sonst fällt man schnell zurück in alte Muster.« Gelegentlich würden etwa die Visitentermine wieder »variabler«.
Das zweite Projekt ist die Vier-Tage-Woche des Klinikums Bielefeld. Hier wurde zunächst von Juli bis Dezember 2023 auf zwei Stationen, Geriatrie und Unfallchirurgie, ein Testlauf gemacht. Vier-Tage-Woche bedeutet hier: zwei Stunden länger pro Tag arbeiten, dafür fünf freie Tage mehr im Monat. Früh- oder Spätschicht dauern statt 7,5 dann 9,5 Stunden, inklusive halbstündiger Pause. Wochenarbeitszeit, Gehalt, Urlaubstage bleiben gegenüber dem herkömmlichen Arbeitszeitmodell gleich.
Der Qualitätsgewinn entsteht durch die ein bis zwei Stunden, die sich die Schichten täglich überlappen. Sie können etwa für gemeinsame schwierige Umlagerungen von Patienten genutzt werden. Oder für Dokumentation, Ausbildung und Qualifizierung.
Der Bielefelder Pflegedirektor Maik Toremans versucht bei Neueinstellungen, jedem Wunsch nach bestimmten Dienstlängen oder bevorzugten Arbeitszeiten zu entsprechen. Wenn sich Beschäftigte darauf verlassen können, stocken sie vielleicht irgendwann auf, hofft er. Auf die externe Personalgewinnung wirkte sich die Vier-Tage-Woche schon positiv aus. Auch ein anderes Ergebnis kann sich sehen lassen: »Bei den Beteiligten sinken die Mobilitätskosten um 650 Euro im Jahr, wenn sie mit dem Pkw kommen und im Schnitt 15 Kilometer entfernt wohnen«, berichtet Toremans.
Das dritte vorgestellte Modell lockt am Knappschaftsklinikum Westfalen mit 64 Tagen Urlaub und greift erstmals 2024. Dabei geht es darum, dass Beschäftigte gegen einen Lohnverzicht von 13 Prozent in einem Jahr alle Ferientage in Nordrhein-Westfalen freibekommen, inklusive Brückentage. Konzipiert ist das für Eltern mit schulpflichtigen Kindern, aber alle Beschäftigten können sich bewerben. Bei 35 Bewerbungen konnten für 2024 25 Zusagen erteilt werden. Das Interesse sei groß, so Pflegedirektor Klaus Böckmann, »manche Kollegen planen das für 2025 ein«.
Den Beispielen gemeinsam ist, dass sie »im Tarif bleiben«. Von mehr Geld für weniger Arbeitszeit ist nicht die Rede. Intelligentere Dienstpläne können dazu beitragen, die vorhandenen Beschäftigten so einzusetzen, dass diese mehr Zufriedenheit aus ihrer Arbeit ziehen. Auch die Patienten profitieren davon. Das scheint wirksames Marketing im Kampf um Arbeitskräfte und kommt fast ohne Zusatzkosten aus.
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