- Politik
- Urteil zu Seenotrettung
Gericht in Italien setzt erstmals Blockade von Rettungsschiff aus
Die »Ocean Viking« darf vorläufig wieder retten, Anwältinnen sehen darin einen Präzedenzfall
Mit dem sogenannten Piantedosi-Dekret hatte Italien die Gangart gegenüber der zivilen Seenotrettung vor einem Jahr verschärft: Schiffe können im Hafen für bis zu vier Wochen festgesetzt werden, wenn sie nach einer Rettung nicht sofort einen zugewiesenen Hafen ansteuern. Diese Häfen können bis zu 1600 Kilometer und fünf Seetage vom Rettungsort entfernt sein. Im Jahr 2023 mussten Rettungsschiffe deshalb mehr als 150 500 zusätzliche Kilometer zurücklegen, was einer dreieinhalbfachen Weltumrundung und mindestens 374 unnötigen Seetagen entspricht, beklagten verschiedene Organisationen nun in einer gemeinsamen Mitteilung.
Mindestens 17 derartige Fälle sind bislang bekannt, zuletzt traf dies am 9. Februar die »Ocean Viking«. Sie wird von der italienischen Organisation SOS Mediterranée betrieben und wurde zu 20 Tagen Schiffsarrest verdonnert, die Crew soll eine Geldstrafe über mehrere Tausend Euro bezahlen.
Diese Maßnahme könnte rechtswidrig gewesen sein, befand vergangene Woche ein Gericht in der apulischen Hafenstadt Brindisi und hob die Blockade bis zur Anhörung in einem Hauptsacheverfahren aus. Die Berufung der Retter gegen die Festsetzung enthalte stichhaltige Argumente, sagte die Richterin Roberta Marra zur Begründung. Bis zu einer endgültigen Entscheidung bestehe deshalb ein Recht auf Schutz für die Crew und ihr Schiff.
Das vorläufige Urteil zur »Ocean Viking« basiert auf zwei Strängen. Das Gericht in Brindisi zieht in Zweifel, ob italienische Gerichte überhaupt für angebliche Verstöße, die sich in internationalen Gewässern ereignen, zuständig sind. Hierfür wäre nach dem UN-Seerechtsübereinkommen eigentlich der Flaggenstaat zuständig, im Falle der »Ocean Viking« ist dies Norwegen.
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Zudem greift die Richerin Marra auch die Sanktion als solche an. So habe die Besatzung bei dem von den Behörden monierten Einsatz am 6. Februar korrekt gehandelt. An dem Tag hatte die »Ocean Viking« bei vier verschiedenen Einsätzen 261 Schiffbrüchige gerettet. Nach dem ersten Einsatz hatten italienische Behörden das Schiff zu drei weiteren in Not geratenen Booten geschickt. Bei der Ausschiffung der Geretteten in Brindisi wurde der Kapitän aber vorläufig festgenommen, angeblich weil er sich Befehlen der libyschen Küstenwache widersetzt habe.
Die in Rede stehenden Rettungsaktionen wurden laut SOS Mediterranée in voller Transparenz und in Abstimmung mit der Rettungsleitstelle in Rom und Schiffen der libyschen Küstenwache vor Ort durchgeführt. Plötzlich hätten die Libyer jedoch befohlen, dass die »Ocean Viking« abdrehe, daraufhin sei Panik unter den Insassen des Flüchtlingsbootes ausgebrochen. Deshalb habe der Kapitän beschlossen, die Rettung fortzusetzen – zu Recht, meint nun auch das Gericht in Brindisi.
Es war die erste Gerichtsentscheidung in einem derartigen Fall, nachdem auch fast alle anderen betroffenen humanitären Organisationen Einspruch gegen die verhängten Blockaden eingelegt hatten. Vermutlich können diese nun von dem Richterspruch aus Brindisi profitieren. Die Anwältinnen von SOS Mediterranée sehen darin einen Präzedenzfall. Am 14. März soll in der Sache das Hauptverfahren in Brindisi eröffnet werden.
In den kommenden Wochen werden zudem weitere wichtige Entscheidungen gegen oder zugunsten von Seenotrettern erwartet. Am Samstag endet ein Vorverfahren vor dem Gericht in der sizilianischen Hafenstadt Trapani, dort sitzen 21 Angehörige verschiedener Organisationen wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderung« auf der Anklagebank, darunter auch die Crew des deutschen Schiffes »Iuventa«. Überraschend forderte am Mittwoch auch die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens.
Seit dem 14. Februar stehen sieben Besatzungsmitglieder des Rettungsschiffes »Mare Jonio« der italienischen Organisation Mediterranea Saving Humans in Ragusa auf Sizilien vor Gericht. Ihnen wird wegen einer 2020 durchgeführten Rettungsaktion »schwere Beihilfe zur illegalen Einwanderung« vorgeworfen. Die Crew hatte damals 27 Geflüchtete, die wegen eines politischen Streits zwischen Italien und Malta fünf Wochen auf dem Tanker »Maersk Etienne« vor der maltesischen Küste festsaßen, an Bord genommen und in Italien ausgeschifft. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass der dänische Schiffseigner hierfür 125 000 Euro bezahlt habe. Die nächste Anhörung in dem Fall ist für den 13. März angesetzt.
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