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Schöner wohnen ohne Patriarchat in Berlin
Von kostenlosen Toiletten bis zu gleichen Chancen bei der Wohnungssuche: Eine feministische Stadt ist noch in weiter Ferne
Der Wohnungsmarkt ist unfair, für manche ist er unfairer. Während es für fast jeden in Berlin seit Langem schwierig ist, eine angemessene Wohnung zu finden, ist es unter anderem für alleinerziehende Frauen noch einmal schwieriger.
»Ich weiß noch, wie ich mich vor 13 Jahren getrennt habe, alleinerziehend und noch nicht so privilegiert wie heute war, das hat extreme Existenzängste verursacht«, erzählt die Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg am Mittwochabend. Die Linksfraktion, für die Gennburg im Abgeordnetenhaus sitzt, hat unter der Überschrift feministische Wohnungspolitik Expertinnen zu einem Austausch eingeladen. Es ist eine lange Liste an Ungerechtigkeiten, die an diesem Abend auf den Tisch kommt und die zugleich zeigt: Bis man vom Wohnen in einer feministischen Stadt sprechen kann, ist es noch ein langer Weg.
Doppelt und dreifach diskriminiert
Gerade der Mangel an bezahlbarem Wohnraum verschärft die Situation von ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Frauen haben oft ein geringeres Einkommen als Männer und müssen so prozentual mehr für die Miete aufbringen. An den verschiedenen Bruchmomenten im Laufe eines Lebens sehen sich Frauen einer besonders unsicheren Wohnungssituation gegenüber, erklärt die Humangeografin Sarah Klosterkamp von der Goethe Universität Frankfurt am Main. Sei es bei Trennungen, wenn entweder die gemeinsame Wohnung verlassen werden muss oder ein alleiniger Verbleib in dieser unerschwinglich wird. Vor ebenso weitreichenden finanziellen Herausforderungen, was die Wohnung betrifft, stehen viele Frauen beim Renteneintritt oder dem Tod des Partners.
»Die Krisenjahre haben die Dringlichkeit von Zugangs- und Verteilungsfragen noch einmal verschärft«, sagt Klosterkamp, die für ihre Forschung viele Verfahren an Gerichten verfolgt, bei denen Räumungstitel ausgestellt werden. Klosterkamp sagt auch, besonders schwierig ist es für Menschen, die aus mehreren Gründen diskriminiert werden. In Wissenschaft und Aktivismus wird von Intersektionalität gesprochen, wenn mehrere solcher Diskriminierungsformen zusammenwirken, man beispielsweise als migrantische alleinerziehende Frau mit die schlechtesten Karten auf dem Wohnungsmarkt hat.
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»Es ist davon auszugehen, dass bei Privatfirmen öfter diskriminiert wird bei der Wohnungsvergabe, aber auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind weit davon entfernt, diskriminierungsfrei zu sein«, sagt Elif Eralp, Migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Bei den Landeseigenen gibt es dabei kein einheitliches Vorgehen, um Diskriminierung zu minimieren. So verwenden lediglich die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), Degewo und Howoge einen Zufallsgenerator für die Wohnungsvergabe.
Eralp meint, es müssten dem privaten Wohnungsmarkt stärkere Vorgaben gemacht werden. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gehöre reformiert. Dort findet sich ein Passus, wonach bei der Vermietung von Wohnraum Ausnahmen von der Gleichbehandlung gemacht werden können zum Ziele »stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen«. Eine auch bei Politik und Wohnungsunternehmen beliebte Argumentation, wenn es darum geht in Quartieren den Anteil an Menschen mit bestimmten Statusmerkmalen nicht über einen bestimmten Wert steigen zu lassen, weil das sonst zu einem »Zuviel an sozialen Problemen an einem Platz« führen würde. Doch gerade aufgrund des Mangels an Wohnraum für Menschen mit wenig Geld, müsste man bei neuen Wohnungsbauprojekten auf ein Mehr an Sozialwohnungen setzen, ist die Linke-Politikerin Eralp überzeugt.
Kurze Wege statt Suburbia
Wo neue Wohnungen gebaut werden, ist dabei auch eine feministische Frage. Denn nicht nur die Wohnung selbst, sondern auch das Umfeld dieser ist von Bedeutung. Lohnarbeit, Kinder abholen, Einkaufen, Pflege von Angehörigen: Immer wieder belegen Studien, dass die Wege von Frauen in der Stadt angesichts der verschiedenen Aufgaben weitaus komplexer sind als die von vielen Männern.
»Wir sehen, dass gerade viele lokale Kämpfe stattfinden im Sinne von lebenswerten Quartieren. Dass Menschen sich für ihre Nachbarschaften und kurze Wege einsetzen«, sagt Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg. Sich für den Zugang zu alltäglichen Diensten im unmittelbaren Umfeld einzusetzen, sei letztlich auch Kampf im Interesse von Frauen, ist sie überzeugt. Und nicht nur das: »Der Kampf um Grünflächen ist auch ein feministischer Kampf, weil Grünflächen Orte der Begegnung sind«, so Gennburg.
Wenn es um konkrete Ansatzpunkte für eine feministischere Stadt geht, dann fallen ihr zwei Baustellen ein. Die eine ist, dass wenn man einmal auf einer innerstädtischen Grünfläche ist, für die Benutzung der Kabinen öffentlicher Toiletten eine »Schutzgebühr« bezahlt werden muss, während die Pissoirs kostenfrei benutzbar sind. Auch für alle »Sitzpinkler« müssten öffentliche Toiletten kostenfrei werden, fordert die Linke-Abgeordnete.
Die nächste ganz konkrete Baustelle ist das von Leerstand und einem drohendem Abriss bedrohte Treptow-Center in ihrem Wahlkreis. Der Eigentümer plant hier einen Teilabriss und den Bau von Bürohäusern. Gennburg meint, dass aufgrund des Ärztemangels in der näheren Umgebung dort ein Gesundheitszentrum entstehen müsse.
Raum für ein anderes Zusammenleben
Dass Nahversorgung und Sorgeeinrichtungen vor Verwertungsinteressen kommen, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Dennoch gibt es Beispiele, die Mut machen. Eines ist das Haus der lesbischen Initiative Rad und Tat, für das im Januar die Grundsteinlegung gefeiert worden ist. 72 Mietwohnungen, teils barrierefrei, zur Hälfte gefördert, eine Pflege-WG, ein Kiez-Café und Räume für den Verein selbst sollen bis 2025 in der Berolinastraße unweit des Alexanderplatzes entstehen.
»Es ist ein Lehrstück für nicht vorhandene Gendergerechtigkeit und das ständige Abarbeiten an Machtstrukturen«, sagt Jutta Brambach vom Verein. Unweit des Südkreuzes wollte die Initiative schon einmal bauen, gewann auch ein durchgeführtes Konzeptverfahren, doch schlussendlich kam die Schwulenberatung an dieser Stelle mit ihrem Projekt zum Zug.
Eigentlich sollte einmal die landeseigene WBM das Gebäude nur bauen, Rat und Tat wäre Generalnutzerin geworden. Doch mit den gestiegenen Kosten ist am Ende ein Modell entstanden, wo der Verein nur die Erdgeschoss-Räume für Beratungstätigkeiten und Ähnliches von der WBM anmietet und Bewohner die einzelnen Wohnungen. »Das wird noch spannend, wie wir das hinbekommen, dass die Menschen, von denen wir auch wollen, dass sie einziehen, am Ende tatsächlich einziehen«, sagt Brambach.
Die Wohnungen selbst sind klein, weil viele potenzielle Bewohnerinnen ein kleines Einkommen oder eine kleine Rente haben, mit denen größere Wohnungen nicht zu bezahlen sind. Klar ist, dass auch mit dem Haus in der Berolinastraße der Bedarf längst nicht gedeckt ist und es mehr solcher feministischen Wohnprojekte bräuchte. »In jeder Generation suchen Menschen nach Formen alternativen und gemeinschaftlichen Wohnens«, so Brambach.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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