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»Hamletmaschine«: Europas Ruinen
Das Staatstheater Kassel bringt Wolfgang Rihms Oper »Die Hamletmaschine« nach Heiner Müller mit großem Aufwand auf die Bühne
Sein Drama finde nicht mehr statt. So hat es Heiner Müller 1977 in seinem Stück »Die Hamletmaschine« ausgedrückt, mit dem der große Theaterautor der DDR zum Weltschriftsteller avancierte. Aus seiner Beschäftigung mit Shakespeare erwachsen, ist der Kurztext stilbildend für das sogenannte postdramatische Theater geworden. Das launige Gerede vom Ende der Geschichte vorwegnehmend, ist er ein szenisches Nachdenken über den Untergang des Sozialismus, über die totale Gegenwart im Kapitalismus und das Warten auf den kommenden Aufstand.
Knapp ein Jahrzehnt später hat der Komponist Wolfgang Rihm, damals gerade 35 Jahre alt, aus Müllers wortgewaltigem Text ein »Musiktheater in 5 Teilen« entwickelt. Das von Rihm besorgte Libretto komprimiert die ohnehin extrem verdichtete Vorlage weiter; seine großangelegte Komposition nimmt die Widerständigkeit der Müller’schen Gedankenwelt auf und überträgt sie ins Musikalische.
1987 unter dem Dirigat von Peter Schneider am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt, wurde die Oper an den Städtischen Bühnen Freiburg, an der Staatsoper Hamburg und am Prinzregententheater München nachgespielt. Zuletzt wurde sie am Opernhaus Zürich 2016 zu Gehör gebracht. Nun feierte das Opus am vergangenen Sonnabend am Staatstheater Kassel Premiere.
Wo das Drama nicht mehr stattfindet, da sucht sich das Leben andere Ausdrucksformen. Die Provinzposse zum Beispiel. So auch in Kassel, wo seit jeher – der Documenta zum Trotz – der Kleingeist die Entstehung von Kunst zu verhindern sucht. Sehr lang ist die Liste der Theaterintendanten, denen hier die letzte Energie geraubt wurde. Schlimmeres konnte nicht immer verhindert werden, besonders wenn die Lokalpresse sich aufschwang, kampagnenartig Kulturpolitik selbst machen zu wollen.
Da darf man es als erfreuliches Zeichen verstehen, dass in die Probenzeit von »Die Hamletmaschine« auch die Vertragsverlängerung von Florian Lutz gefallen ist, der also bis 2031 das Haus künstlerisch leiten soll. Lutz hatte als Regisseur und Teil eines dreiköpfigen Leitungsteams bereits die Oper Halle aus einem Dornröschenschlaf erweckt, ehe er 2019 das Mehrspartenhaus in Kassel übernahm. Künstlerisch hat die Bühne seitdem mehrfach auch überregional auf sich aufmerksam gemacht, ungeachtet aller reaktionären Angriffe aus der Stadt.
Mit seinem elaborierten Opernspielplan fördert Lutz zum einen zeitgenössische Kompositionen und befragt zum anderen den Kanon kritisch. Auch gelegentliches Scheitern ist dabei unerlässlich. Gut, wenn jemand den Mut dazu aufbringt. Was wenig subversiv klingt, ist im behäbigen Musiktheaterbetrieb durchaus der Rede wert. Der konservative Elitarismus regiert noch immer die Opernwelt. Dass in Kassel nun »Die Hamletmaschine« gegeben und damit die Repertoirefähigkeit dieses modernen Klassikers einmal mehr unter Beweis gestellt wird, fügt sich gut in das Bild vom Aufbruch am Staatstheater.
Von der Bühne aus durchzieht ein begehbarer Steg das gesamte Parkett. Saal und Bühne bieten vielzählige Projektionsflächen für Videoübertragungen (Robert Läßig). Das Orchester (Musikalische Leitung: Francesco Angelico) ist im Graben verschwunden. Und nun fordert die schachbrettgemusterte Raumbühne (Sarah-Katharina Karl) das Ensemble aus Sängerinnen, Tänzern und Schauspielerinnen zum Spiel, das Florentine Klepper und Valentin Alfery als Regie-Choreografie-Duo inszeniert haben.
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So wie Heiner Müller mit der Erzählstruktur einer klassischen Dramatik bricht, sein Stück zum Assoziationsreigen werden lässt, so bedient sich auch Wolfgang Rihm in seiner schroffen Musik allerhand Zitate, die er kunstvoll zusammenfügt, ohne Brüche unkenntlich zu machen. Die Schrecken der Geschichte harmonisiert er nicht kompositorisch, sondern lässt sie als akustische Herausforderung auf das Publikum los. Sein Musiktheater tut der Vorlage keine Gewalt an, weil es nicht vereindeutigend ist, sondern ihr Rätselhaftes aufrechterhält und neue Rätsel aufgibt.
Theatertext wie Komposition sind ein Aufbegehren gegen die geschichtsvergessene Gesellschaft. Hamlets Hadern angesichts des Realitätseinbruchs, Ophelias Widerstand gegen die ihr zugedachte Rolle – nichts davon ist reine Vergangenheit, nichts bloße Gegenwart. Beides wird nur verständlich, wenn wir uns der Geschichtlichkeit moderner Existenz bewusst werden.
Wie traurig zeitlos bleibt ein Satz wie »Mein Ekel ist ein Privileg, beschirmt mit Mauer, Stacheldraht, Gefängnis«? Die Spieler, Tänzer und Sänger, sie alle stehen an der Küste, im Rücken die Ruinen von Europa. Immer noch, immer wieder.
Drama findet wieder statt, möchte man meinen, in der Musik noch am ehesten. In Kassel zum Beispiel. Angesichts derartiger Anstrengungen bleiben inszenatorische Schwächen des Abends verzeihlich, etwa wenn gefundene Bilder und Choreografien zu stark illustrativ, teilweise verniedlichend geraten sind. Oder wenn der eher banale Einfall, Heiner Müller als Figur selbst auf die Bühne zu bringen, in Zeit und Raum weit überstrapaziert wird. Dennoch – die Inszenierung ist eine erfreuliche Herausforderung. Ihr ist ein Publikum zu wünschen, das Lust hat, sich herausfordern zu lassen.
Nächste Vorstellungen: 13., 16. und 22. März
www.staatstheater-kassel.de
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