- Kultur
- Furi Jesi
Wer ist Furio Jesi?
Der italienische Theoretiker und Aktivist arbeitete zu Mythos, Marxismus und dem Konzept der mythologischen Maschine
Es gibt einen Autor, der Stichwortgeber einer ganzen Generation der Intelligenz der italienischen (neuen) Linken gewesen ist, von Pier Paolo Pasolini über Umberto Eco bis Georgio Agamben – auch wenn er eher untergründig wirksam blieb. Während er in Italien mittlerweile wiederendeckt wird, ist er in Deutschland bis heute nahezu unbekannt. Das ist umso erstaunlicher, als es das Spezifische gerade der deutschen Geschichte gewesen war, das ihn umtrieb. Und zwar obwohl, oder vielleicht gerade weil dieses Spezifische in einer eigenartigen Parallelität auch das 20. Jahrhundert Italiens bestimmte, wenngleich in weniger »reiner« Gestalt: das Scheitern einer sozialistischen Revolution und der Sieg des Faschismus – die Urtragödie des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Furio Jesi.
Furio Jesi, »Man from Utopia«
Jesi war, man kann es nicht anders sagen, begnadet – ein »Mann aus Utopia«, wie ein Dokumentarfilm über ihn betitelt ist.. Er wurde 1941 in Turin geboren, sein Vater, ein bekannter Rabbiner, starb bereits als Jesi zwei Jahre alt war und so wuchs er als Halbwaise bei seiner Mutter auf. Im Alter von 15 Jahren begann er in Fachzeitschriften Artikel über Ägyptologie zu veröffentlichen und mit 16 Jahren verließ er, intellektuell unterfordert, ohne Abschluss die Schule, um in Ägypten, Deutschland und Griechenland als Autodidakt zu studieren. Seine alleinerziehende Mutter unterstützt sein Vorhaben. Das war Mitte der 50er Jahre.
Väterlicherseits kam Jesi aus jüdischem Elternhaus, war aber Agnostiker. Er war ebenso belesen wie produktiv im eigenen Schreiben und arbeitete fast immer prekär außerhalb der Universität, aufgrund seiner Ablehnung der etablierten Strukturen und Institutionen. Erst 1976 begann er Germanistik an der Universität von Palermo zu unterrichten, die er allerdings gleich zum Einstand zusammen mit den Studierenden besetzte. 1979 erhielt er einen Lehrstuhl an der Universität in Genua, obwohl er weder einen Schul- noch Universitätsabschluss besaß – der letzte Fall dieser Art im italienischen Hochschulwesen. Jesi starb nur ein Jahr später, mit 39 Jahren, an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung, verursacht durch ein defektes Heizgerät.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Anfang bis Mitte der 60er Jahre stand Jesi in engem Austausch mit dem Religionswissenschaftler und Mythenforscher Károly Kerényi, den er als seinen Lehrer betrachtete; einflussreich waren ferner Georges Dumézil, Gershom Scholem und Claude Lévi-Strauss. Jesi war Germanist und übersetzte bürgerliche deutschsprachige Literatur, darunter Rilke, Thomas Mann und Elias Canetti. Darüber hinaus arbeitete Jesi als Literaturkritiker und Kulturwissenschaftler – und war als Marxist und Militanter Teil der radikalen Linken im Italien der 60er Jahre. Neben den Übersetzungen betätigte er sich als Herausgeber einer Zeitschrift, für die er zahlreiche Artikel verfasste. Vor allem aber schrieb er mehr als ein halbes Dutzend Bücher, einen Roman sowie ein Kinderbuch.
Jesi war über die kurze Zeit seines Lebens ein manischer Leser und Schreiber. Seine Schriften verbinden Ägyptologie, Mythenforschung und Religionswissenschaft mit Philosophie, Literatur, Anthropologie und radikaler Gesellschaftskritik. Die Texte sind oft montagehaft und erinnern an Bertolt Brecht, besonders aber an Walter Benjamin. Ja, vielleicht war Jesi überhaupt eine Art italienischer Walter Benjamin ...
Von seinen zahlreichen Schriften erschienen nur »Kultur von rechts« 1984 in deutscher Übersetzung bei Stroemfeld/Roter Stern, ein Kapitel aus dem Buch »Spartakus. Symbologie der Revolte«, veröffentlicht im Rahmen der Documenta 2014, sowie sein Roman über Vampire, »Die letzte Nacht«, an dem Jesi besonders viel lag. Ins Englische wurden mittlerweile mehrere Schriften übersetzt, darunter auch »Spartakus«, das nun endlich auch auf Deutsch erscheint.
Die Kritik des Mythos
Ein durchgehendes Thema, das Jesi zeitlebens faszinierte, ist der Mythos, genauer, die Verbindung des Mythos mit (kollektivem) Gedächtnis und Geschichte einerseits sowie Macht und Gewalt, aber auch Wahrheit andererseits. Seine Reflexionen über Mythos und Mythologie betreffen nicht nur die Antike, sondern auch und gerade die Moderne und hier wiederum die »hohe« ebenso wie die populäre Kultur. Was Jesi überall in der Kultur der Menschheit auffand, war die Präsenz einer mythisch-sakralen Sphäre, die das Imaginäre in Kraft setzt und die Verbindung zwischen Mythos und Macht herstellt.
Der Zugang zum Mythos aber führt immer schon über die Praxis und die Technik, durch die sich der Mythos in das Bewusstsein der individuellen Subjekte wie in das kollektive Gedächtnis und in die Ideologie der Massen einschreibt. Daher ist das, was Jesi am Mythos eigentlich klären will, das Mythologische.
Oder vielmehr geht es darum, die eigentümliche Spaltung und Spannung zwischen dem Mythos und dem Mythologischen zu klären. Hier gilt zum einen, dass der Mythos erst durch Praktiken und Techniken der Erzählung sowie durch den Gebrauch von Gedächtnis und Erinnerung die Vorstellungen von Ursprung und Herkunft, Kultur und Geschichte, Gemeinschaft und Identität in Beschlag nimmt und überträgt. Und zum anderen bedeutet es, dass der Mythos dadurch eine scheinbar unergründliche und dunkle, entrückte und unzugängliche Macht aktiviert und reproduziert. Unter dem Mythologischen sind die verschiedenen Techniken zu verstehen, das Ich zu spalten und durch die Spaltung den Mythos als das kollektive Unbewusste in die Subjekte einzuschreiben; durch diese innere Spaltung nimmt das Subjekt am kollektiven Unbewussten sowie am Imaginären des Gesellschaftlichen teil.
Das eigentliche Geheimnis des Mythos aber ist, dass mit ihm eine entrückte, gleichsam zeitlose Zeit angerufen wird – und es ist dieses Anrufen, durch das die Mythologisierung die Kraft des Mythos freisetzt. Der Mythos gehört einer entrückten Zeit an, gerade indem die Menschen durch die Mythologisierung auf die vermeintlichen Ursprünge und Gründe ihres Daseins und besonders ihrer Endlichkeit und Sterblichkeit zurückkommen. Es ist dieses Zeitlose innerhalb und doch außerhalb der endlichen geschichtlichen Zeit, durch die der Mythos zudem stets mit Wahrheit, aber auch mit dem Tod im Bund steht. Und es ist sicher eines der Hauptanliegen Jesis, diesen Todesbegriff zu dekonstruieren.
Genauer gesagt: Jesis Dekonstruktion dieses mythologischen Bezugs auf den Tod gilt zum einen dem Gebrauch des Mythos in der faschistischen Religion des Todes und der »Kultur von rechts«, und zum anderen gilt sie der bürgerlichen Individualisierung und Privatisierung des Todes. Jesi will auf diese Weise einen Zugang zum Mythos jenseits seines faschistischen wie seines bürgerlichen Gebrauchs legen und den Mythos für einen anderen, emanzipatorischen Umgang öffnen.
Der »technisierte Mythos«
Für diese Öffnung zur Emanzipation war eine Abkehr einschneidend. Auch wenn der Mythos das durchgehende Thema in nahezu allen Schriften Jesis ist, wendet er sich Mitte der 60er Jahre von C. G. Jung ab, dem Begründer der Tiefenpsychologie und Archetypenlehre, an dem er sich bis dahin, wenn auch distanziert, orientiert hatte. Vor allem aber bricht er mit seinem Lehrer Kerényi.
Allerdings noch im Anschluss an Kerényi betont Jesi, dass es so etwas wie einen wahren Mythos gibt. Kerényi nennt das, was Ernst Cassirer als »antiken Mythos« bezeichnet, »genuinen Mythos« und »Urphänomen«, unterscheidet diesen aber radikal vom »technisierten Mythos« der Moderne. Auch für Jesi ist dieser genuine Mythos eine eigenständige Wirklichkeit, ja eine Wahrheit sui generis, die jenseits von Wissen, Meinung, Bewusstsein, Rationalität, aber auch von bloßer Ideologie und Irrationalität existiert und die auch über das Symbolische, über Zeichen, Allegorie oder Metapher hinausgeht.
Der Mythos ist, so Jesi, eine geradezu gottgleiche Erfahrung, ein affektives und libidinöses Ereignis, und er bezieht diesen höchsten Anspruch aus der Kraft des Imaginären. Die Erfahrung des Mythos gleicht daher einer Epiphanie, welche sogar die einzige authentische oder eigentliche Erfahrung des Mythos ist.
Doch so sehr der Mythos einerseits nur in der Epiphanie authentisch »erfahrbar« wird, so sehr ist er andererseits nur übermittelbar und kommunizierbar durch seine Mythologisierung. Und diese Mythologisierung erfährt im 20. Jahrhundert eine »Technisierung«. Auch hier folgt Jesi noch Kerényi, aber an der Art und Weise dieser Technisierung lässt sich nun Jesis Bruch mit Kerényi festmachen: Während Kerényi einen privilegierten Zugang zum Geheimen des genuinen Mythos vorsieht, die nur den Mythologen sowie den großen Schriftstellern und Künstlern vorbehalten bleibt (und in zweiter Instanz ihren Schülern), ist für Jesi dieser genuine Mythos von vornherein ein kollektiver, man könnte sogar sagen, ein gesellschaftlicher Mythos.
Nach Jesis Auffassung führt Kerényis Konzeption einer tiefen Einsicht, die nur den Gelehrten vorbehalten bleibt, in eine elitäre, esoterische und reaktionäre Richtung. Jesi selbst hingegen versucht den Mythos einerseits für das kollektive Unbewusste und eine kollektive Erfahrung sowie andererseits für »das Utopische« zu bewahren. Bei ihm ist der Mythos eine Art Zufluchtsort oder Platzhalter für ein (ganz) anderes gesellschaftliches Dasein.
Im Zuge der Abkehr von Kerényi entwickelt Jesi dann eine eigenständige Konzeption der Technisierung des Mythos, und zwar in seinem Konzept der »mythologischen Maschine«. Jesis große Einsicht hier ist, dass die Mythologisierung im 20. Jahrhundert keine unergründliche oder verloren gegangene geheime Botschaft anruft oder vermittelt. Im Gegenteil: Der eigentliche Gehalt, ja das eigentliche Geheimnis des Mythos ist seine Leere.
Konzept der mythologischen Maschine
Es handelt sich hier um eine unbestimmte und entrückte Leere, die vor allem in der »Kultur von rechts« angerufen und besetzt, formiert und formalisiert wird, sodass sie durch Begriffe und Symbole buchstäblich zur Sprache gebracht und zugleich mythologisiert und aufgeladen wird. Rechte Ideologie, Kultur und Politik funktionalisieren gerade die mythische Aufladung von Symbolen wie der Nationalfahne, von Begriffen wie Volk, Nation oder Kultur oder auch von bestimmten Gesten wie dem faschistischen Gruß, die an sich vollkommen leer sind. Und gerade weil der Mythos in diesem Sinne leer ist, lebt er erst durch seine Mythologisierung, das heißt durch die Techniken seiner Überlieferung und Erzählung, durch seine Zirkulation und Verbreitung und seinen Gebrauch. (Heute würde man sagen: durch Framing und Narrative.)
Dieses Anrufen und zugleich Verschleiern einer Leere durch die politische Rechte ermöglicht es, dass diese Leere wie ein Trieb oder bloße Energie freigesetzt und zugleich besetzt und in eine bestimmte Richtung gelenkt und für bestimmte Zwecke genutzt werden kann. »Das Maschinische« in Jesis mythologischer Maschine funktioniert also ganz wie bei einer modernen Maschine, die ja ebenfalls Energie zur Umsetzung bestimmter Zwecke formalisiert und funktional werden lässt. Und wie die moderne Maschine, so ist auch die mythologische Maschine der Moderne innerhalb einer umfassenden Ökonomie im Gang, nämlich in der Ökonomie des Imaginären und Ideologischen. Der Mythos ist ein je verarbeiteter und produzierter Mythos, er zirkuliert in der Gesellschaft und wird von ihren Mitgliedern gebraucht und konsumiert. Und so geht er wiederum in die Reproduktion der Gesellschaft ein und bleibt dauerhaft in Kraft.
Jesi vollzieht an der mythologischen Maschine den Grundzug der Dekonstruktion: Der »maschinisch« gewordene Mythos ist an sich leer und unbestimmt, aber gleichwohl eine ungeheure Kraft. Er ist eine Art leerer Signifikant, der aber erst Bedeutung erhält, indem er durch Techniken der Signifizierung und Einschreibung übermittelt und weitergegeben wird, wobei es aber wiederum gerade die unnahbare Herkunft und ihre Leere sind, die als »eigentlich« inszeniert und zu einer performativen Kraft werden. Jesi entwickelt über diese Dekonstruktion der Mythologie eine eigenständige Machttheorie parallel zu Michel Foucault in Frankreich, eine eigenständige Ideologiekritik parallel zur Kritischen Theorie in Deutschland sowie eine Theorie der Kraft des Imaginären parallel zur (post-)strukturalistischen Theorie.
Jesis Spartakus-Buch
Wie bereits angesprochen stellt Jesi aber auch die Frage, ob jenseits des bürgerlichen und des reaktionär-faschistischen nicht auch ein emanzipativer Gebrauch des Mythos möglich sei. Dieser Frage ist sein Buch »Spartakus« von 1969 gewidmet. In dem Buch, das zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieb und posthum von Andrea Cavalletti editiert wurde, bilden die Spartakus-Revolte von 1919 und das Ende von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und ihren Genoss*innen jedoch nur den Ausgangspunkt, um die grundsätzliche Bedeutung von Symbologie und Mythologie für den politischen Kampf der Linken zu untersuchen.
Jesi sagte gleich zu Beginn über sein Vorhaben: »Dieses Buch ist keine Geschichte der Spartakusbewegung und des Spartakusaufstandes. Bereits der Titel der Reihe, in er es veröffentlicht wird (›Mythos und Symbol des modernen Deutschland‹), gibt einen Hinweis auf den Inhalt des Buches: eine Studie über Mythen und Symbole, und sein Untertitel (›Symbologie der Revolte‹) verweist auf die Absicht, zu Überlegungen, wenn nicht gar zu Schlussfolgerungen allgemeiner Art zu gelangen, die über die deutsche Situation hinausgehen.«
Der rote und zugleich verborgene Faden von »Spartakus« ist die »Geste des Opfers«, genauer, die Geste des Menschen, sich selbst zu opfern. Diese Geste untersucht Jesi an verschiedenen Figuren der deutschen Literatur, wobei Brechts »Trommeln in der Nacht« eine wichtige Rolle spielt. Denn das ist die Frage, die Jesi an die historische Spartakus-Revolte stellt: Ist der Tod von Liebknecht und Luxemburg durch die Freikorps, den sie hatten kommen sehen und den sie vielleicht sogar freiwillig wählten, statt sich aus Berlin abzusetzen und in Sicherheit zu bringen – ist dieser Tod eine solche Geste des Opfers gewesen?
»Spartakus« ist zugleich eine Abhandlung über die eigentümliche Zeitlichkeit der Revolte, welche Jesi von der Revolution unterscheidet. Während die Revolution sich Jesi zufolge in der »historischen Zeit« verorten und zur Vorbereitung eines »neuen Morgen« mit jener rechnen muss, ist die Revolte negativ und destruktiv: Sie ist nicht die Vorbereitung eines neuen Morgen, sondern die »Suspendierung der Zeit«. Dieses Aussetzen der Zeit kam im Fall der Spartakus-Revolte der Wiederherstellung der alltäglichen bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse zugute – mithin dem, was Jesi als »historische Zeit« bezeichnet.
Die historische Zeit war bereits durch den Ersten Weltkrieg aus den Fugen geraten und ohne ein erlösendes Ende geblieben. Im Niederschlagen der Revolte durch Militär und reaktionäre Freikorps unter Verantwortung der SPD fand dieses Aussetzen der Zeit durch den Weltkrieg, das Jesi zufolge nur ein »langes Warten« geblieben ist, eine Art Entladung und Rückkehr zur Normalität. Das ist Jesis Kritik an der Spartakus-Revolte. Doch zugleich war die Suspendierung der historischen Zeit durch die Revolte – und hier räumt Jesi der Revolte ihr Recht ein – eine »Epiphanie des Übermorgen«.
In der Revolte artikuliere sich eine Erfahrung, die wie der Mythos einer entrückten Zeit angehört – aber im Fall der Revolte keiner verborgenen, dunklen Vergangenheit, sondern einer noch unbestimmten Zukunft. So sind Jesi zufolge die Spartakus-Revolte und der Tod von Luxemburg und Liebknecht eine eigentümliche Überlagerung: Die Revolte war eine »Suspendierung der Zeit«, eine »Epiphanie« und, vielleicht, die »Geste« eines Opfers – und durch diese Überlagerung artikulierte die Revolte ihre Wahrheit.
Zur Akutheit Furio Jesis
Es ist lange überfällig, Furio Jesi in Deutschland bekannt zu machen, in dem die harten Widersprüche der Moderne im 20. Jahrhundert noch radikaler und noch verheerender ausgetragen wurden als in Italien und das darum für Jesi zum »Vorbild« wurde. Es war insbesondere die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts, der Faschismus, die sich in beiden Ländern parallel ereignete, zeitlich früher in Italien, dem großen politischen Laboratorium, in Deutschland dafür in reinerer Form und radikalerer Gestalt. Die Spartakus-Revolte lieferte Jesi die Urszene für diese Entwicklung: Der Erste Weltkrieg und anschließend das Scheitern der sozialistischen Revolution, an deren Stelle der Aufstieg des Faschismus als Massenbewegung, Massenideologie und Herrschaftsform trat.
Die Verbindung von Mythos, Ideologie und Gewalt, von kollektivem Gedächtnis und Technologie, die bereits im historischen Faschismus wirksam wurde, ist heute weltweit aktuell geworden: im Zeitalter des sogenannten Rechtspopulismus und eines neuen Faschismus, der Wirkmächtigkeit fiktionaler, irrationaler und verschwörungsideologischer »Narrative«, der Kulturkämpfe, der Technologien des Digitalen sowie einer Politik der Affekte und einer Ökonomie der Aufmerksamkeit.
In Jesis Konzeption der mythologischen Maschine und seiner Dekonstruktion der Kultur von rechts findet all das bereits seine Verarbeitung. Oder vielmehr zeigt Jesi, wie diese Verarbeitung im Kapitalismus und seiner Ideologieproduktion »maschinisch« funktioniert. Einerseits rekonstruiert er dafür in guter materialistischer Tradition die Produktionsbedingungen des Mythologischen, andererseits wendet er sich aber dem im Marxismus so lange vernachlässigten Überbau und der Kultur zu, um mit deren Produktionsbedingungen das Mythologische zu dekonstruieren.
Diese Dekonstruktion soll das Undarstellbare zur Darstellung bringen: das Mythische des Mythos. Vor allem aber ist Jesis Verfahren – in der Tradition von Brecht und Benjamin, aber auch des Strukturalismus und der Dekonstruktion –, dieses Undarstellbare durch das Montieren und Übereinanderlegen von Texten und Motiven zur Darstellung zu bringen, ein philosophisches Ereignis. Kurz: Lest, lest, lest Furio Jesi!
In Berlin finden demnächst zwei Veranstaltungen zu Furio Jesi und der deutschen Übersetzung von »Spartakus« statt: in der Hellen Panke am 16. April, 19 Uhr, mit Cinzia Rivieri und Frank Engster sowie im Italienischen Kulturinstitut am 23. April, 19 Uhr, mit Andrea Cavalletti.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.