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Bertolt Brecht: Kleine Knöpfe gegen große Meister

Lob der Dialektik: Anderslautenden Behauptungen zum Trotz ist und bleibt Bertolt Brecht relevant

Die Kunst bleibt: Brecht-Statue von Fritz Cremer in Berlin-Mitte.
Die Kunst bleibt: Brecht-Statue von Fritz Cremer in Berlin-Mitte.

Hier irrt Goethe!» So (oder so ähnlich) hat es der Philologe Heinrich Düntzer noch im vorvorletzten Jahrhundert formuliert. Sein Wort ist uns Mahnung – nicht zum strengen Urteil über Weimars Klassiker, sondern vor der Hybris der Wissenschaft. Wissenschaftler neigen mitunter dazu, sich wichtiger zu nehmen als ihren Gegenstand. Das Wissen ist ihr Geschäft, das Besserwissen ihre Taktik.

Jan Knopf, bekannt als Autor und Herausgeber zahlreicher Werke über Brecht und bald 80 Jahre alt, steht der Arbeitsstelle Bertolt Brecht vor, die am Karlsruher Institut für Technologie angesiedelt ist. In einem Gespräch mit den «Badischen Neuesten Nachrichten» anlässlich des 35-jährigen Bestehens der Arbeitsstelle sagte er, wohl resigniert über den Niedergang der von ihm geleiteten wissenschaftlichen Institution, heute interessiere sich niemand mehr für Brecht. Er sagt Brecht – und meint: Knopf.

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Denn Brecht erfreut sich eines rastlosen Nachlebens. Die Spielpläne der Theater verraten eine gleichbleibend große Nachfrage seit Jahren. Kaum wegzudenken die erneuerte Spielweise des epischen Theaters auf den Bühnen heute. Auf vermittelte Weise lebt Brecht fort in bildender Kunst und im Film.

Wohl niemand hat die deutschsprachige Lyrik so auf den Kopf gestellt wie er – bis heute. Erst im vergangenen Jahr wurden die gesammelten Interviews des Meisters mit beachtlicher Resonanz veröffentlicht. Und sind die wiederkehrenden Themen seiner Werke, das Elend des Kapitalismus und das Elend des Krieges, uns nicht unfreiwillig nahe? Kurz gesagt: Brecht interessiert. Heute nicht weniger als gestern.

Im selben Gespräch erklärt Jan Knopf übrigens, dass noch in diesem Jahr ein weiterer Tausendseiter von ihm erscheinen wird. Worum es darin geht? Um Brecht natürlich. So ganz sicher ist sich Knopf seiner markigen These offenbar selbst noch nicht. Höchstens etwas angefressen, weil der Suhrkamp-Verlag nicht mehr jede Notiz von Knopfs Hand zwischen zwei Pappdeckel klebt und verkauft.

Der Fall Knopf offenbart aber noch etwas darüber hinaus. Der Aufstieg der Arbeitsstelle Bertolt Brecht nach der «Wende» resultierte auch aus der Abwicklung des renommierten Brecht-Zentrums der DDR. Im alten Westen hat die Literaturwissenschaft sich eifrig dem Zeitgeist angepasst. Und so war Knopf federführend beteiligt, als es darum ging, Brecht gänzlich zu entpolitisieren. Ein erster Schritt hin zu dem aberwitzigen Spektakel, als ein Professor der Literaturwissenschaft vor fünf Jahren Brecht sogar als «Konterrevolutionär» deklarierte. So kann es gehen, wenn Wissenschaft vor allen Dingen originell sein will.

Es gibt keinen Grund, Borniertheiten in der Philologie der DDR zu verschweigen. Ob es sich aber um einen Fortschritt handelt, wenn man eine allzu formelhafte marxistische Lesart durch das Zerrbild ersetzt, Brecht habe sich für Politik gar nicht interessiert, bleibt sehr zweifelhaft.

Wahrscheinlich tut sich die Wissenschaft heute auch deshalb schwer mit Brecht, weil sein progressives Weltbild kaum auszublenden ist. So wie man heute Rosa Luxemburg wohl nur noch loben darf, wenn man sie zur Vordenkerin des Diversitätsmanagements verbiegt, nicht aber als kommunistische Theoretikerin ernst nimmt, scheint es mittlerweile notwendig, beim marxistischen Erneuerer der darstellenden Kunst das Attribut «marxistisch» zu verschweigen.

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