Kita-Streik in Berlin: Machtspiele vor dem Kindergarten

Gewerkschaften stimmen für unbefristeten Erzwingungsstreik, Berliner Senat lehnt Tarifverhandlungen ab

Kommt der Erzwingungsstreik, wird ab 30. September der Großteil der landeseigenen Kitas für ungewisse Zeit geschlossen sein. Eine Notbetreuung von Mitarbeiter*innen, die nicht streiken, kann nur einen minimalen Bedarf abdecken.
Kommt der Erzwingungsstreik, wird ab 30. September der Großteil der landeseigenen Kitas für ungewisse Zeit geschlossen sein. Eine Notbetreuung von Mitarbeiter*innen, die nicht streiken, kann nur einen minimalen Bedarf abdecken.

Die Zeichen, die der Berliner Senat bisher gesendet hat, werden alles Mögliche bei den Beschäftigten ausgelöst haben, nur keine Beruhigung. Seitdem die Gewerkschaften ihr Entlastungstarifvorhaben für die Kita-Eigenbetriebe bekanntgegeben haben, überbietet sich die schwarze-rote Koalition in ihrer ablehnenden bis diskreditierenden Rhetorik. Die Maßnahmen der Gewerkschaften werden als »Sinnlosstreiks auf dem Rücken der Kinder und Eltern« (Finanzsenator Stefan Evers (CDU)) oder »nulleinsichtig« (Bildungsstaatssekretär Falko Liecke (CDU)) bezeichnet. Die Senatsbildungsverwaltung unter Katharina Günther-Wünsch (CDU) hatte sogar eine vermeintliche Abwanderung zu Kitas in freier oder privater Trägerschaft präsentiert, um zugleich einzugestehen: »Konkrete und umfassend belastbare Zahlen liegen uns nicht vor.«

Insofern hat der Senat den Gewerkschaftsmitgliedern selbst die besten Argumente für einen Erzwingungsstreik geliefert. Am Ende stimmten 91,7 Prozent der Verdi-Mitglieder und 82 Prozent der Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dafür. Was das bedeutet, stellte Benjamin Roscher von Verdi am Freitag klar: Ab dem 30. September ist ein Ende des möglicherweise »wochenlangen« Streiks nicht absehbar.

Nach einem Treffen am Freitag hatte die Bildungssenatorin klargestellt, es gebe weitere Gespräche, aber keine Verhandlungen. Der SPD-Abgeordnete Alexander Freier-Winterwerb prognostizierte erneut eine »schnelle umfassende Abwanderung von Kindern und Eltern aus den Eigenbetrieben«. Das stelle »die Existenz der Eigenbetriebe insgesamt infrage«. Günther-Wünsch sprach ihrerseits von einem »Bärendienst« an den Familien dieser Stadt. Dass so der Erzwingungsstreik bis zum 30. September abgewendet werden kann, wie Günther-Wünsch das Ziel der Gespräche nannte, ist unwahrscheinlich.

Sollte der Senat mit Verdi eine Vereinbarung über Verhandlungen treffen, könne der Streik noch abgewendet werden, erklärte Benjamin Roscher von Verdi. Bei Verdi gibt es indessen Anzeichen, dass am Ende kein Tarifvertrag stehen muss. An der Medizinischen Hochschule Hannover führten die Tarifpartner zurzeit Verhandlungen über eine Regelung, »die verbindliche, individuell einklagbare Entlastungsregelungen schafft«, erklärte Verdi-Sprecher Kunkel. Dafür werde die geeignete Form gesucht. »Wir sagen: Das geht am besten in einem Tarifvertrag.« Aber man sei in diesen Fragen nicht dogmatisch, sondern interessiert an Lösungen.

Ohne Zustimmung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) sind dem Senat Tarifverhandlungen nicht möglich. Es sei denn, er will in Kauf nehmen, aus der TdL ausgeschlossen zu werden. Auch die Gewerkschaften hätten daran sicher kein Interesse, schließlich werden die Gehälter und Arbeitsbedingungen im Flächentarifvertrag für die Beschäftigten der Länder (TV-L) geregelt. Auf Nachfrage von »nd« erklärte ein Sprecher der Berliner Finanzverwaltung, die Mitgliederversammlung der TdL habe mehrfach, zuletzt auf ihrer Sitzung im Mai, der Bitte aus Berlin auf eine Ausnahme eine Absage erteilt. Die TdL begründete ihre Ablehnung »nd« gegenüber mit der Budget- und Gesetzgebungshoheit der Landesparlemente. Die Personalbemessung werde nicht per Tarifvertrag geregelt. Tatsächlich ist es Verdi aber schon an etlichen Krankenhäusern gelungen, den Arbeitgebern genau diese Hoheit per Tarifvertrag zu nehmen.

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