Grüne in Berlin: Mehr Wohnungen für den Notfall

Grünen-Fraktion will das Geschützte Marktsegment ausbauen und für Private attraktiver machen

Schlafen in der Notübernachtung: Nach Zwangsräumungen droht vielen die Wohnungslosigkeit.
Schlafen in der Notübernachtung: Nach Zwangsräumungen droht vielen die Wohnungslosigkeit.

Die Grünen-Fraktion hat einen Plan. Um Menschen vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren oder eine solche zu beenden, müssen mehr Wohnungen im Geschützten Marktsegment (GMS) her. Und weil die Landeseigenen alleine nicht reichen, sollen auch die Privaten anpacken. Um es diesen schmackhafter zu machen, Wohnungen im GMS anzubieten, haben die Grünen einen Plan ausgearbeitet, den sie mit einem entsprechenden Antrag an diesem Donnerstag ins Abgeordnetenhaus bringen wollen.

Für Vermieter, denen es einzig um möglichst hohe Einnahmen gehe, sei das Geschützte Marktsegment nicht attraktiv, sagt Taylan Kurt, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. »Das ist kein Angebot für Heuschrecken.« Wohnungen im GMS sind nämlich Menschen vorbehalten, die keinen eigenen Wohnraum haben oder kurz davor stehen, ihn zu verlieren, und sie dürfen nur bis zu 20 Prozent über den regulären Mietsätzen der Jobcenter liegen. »Es gibt viele sozial engagierte Vermieter in Berlin, die daran Interesse haben«, sagt Kurt.

Diesen Vermietern wollen die Grünen entgegenkommen, indem zum Beispiel bürokratische Hürden abgebaut werden. Der Fraktion schwebt eine »gut ausgestatte Akquise- und Servicestelle« vor. »Private Vermieter*innen und Genossenschaften sollen proaktiv angesprochen und für eine Teilnahme im GMS angeworben werden«, heißt es im Antrag. Das Land soll außerdem durch eine zehnjährige Miet- und Schadensfreiheitsgarantie für mehr Sicherheit bei den Vermietern sorgen, auftretende Schäden sollen vom Land übernommen werden. »Die Vermieter wissen, dass sie zehn Jahre lang gesichert ihr Geld überwiesen bekommen und sie haben verbindliche Ansprechpersonen bei Problemen«, sagt Kurt. Das sei vielen lieber, als ständige Mieter*innenwechsel zu haben.

Mario Hilgenfeld, Bereichsleiter für Wohnungswirtschaft und -politik des Verbandes der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU), hält die Einbindung der privaten Wohnungsanbieter für essenziell. »Dies benötigt nicht nur schlanke und digitalisierte Vermittlungsprozesse, sondern vor allem auch einen wertschätzenden Umgang miteinander«, sagt er laut einer Mitteilung der Grünen-Fraktion.

Nur circa drei Prozent der wohnungslosen Menschen erhalten demnach pro Jahr Zugang zum Geschützten Marktsegment.»

Grüne-Fraktion Berlin

Das GMS gibt es in Berlin bereits seit 1993 als Kooperation mit verbindlichen Kontingenten mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen, für Private wurde es 2021 geöffnet. Die Quoten, die die Landeseigenen zu erfüllen haben, haben sich trotz steigender Wohnungslosigkeit seit dem Jahr 2000 nicht geändert, kritisieren die Grünen. Im Jahr 2023 waren nach Angaben des Senats auf eine parlamentarische Anfrage von Kurt und der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger 1368 Wohnungen der Landeseigenen im GSM vorgesehen, tatsächlich angeboten wurden 1058. In Berlin lebten derweil etwa 40 000 Menschen in Wohnunglosigkeit, heißt es im Antrag der Grünen-Fraktion. «Nur circa drei Prozent der wohnungslosen Menschen erhalten demnach pro Jahr Zugang zum GMS.»

Kurzfristig wollen die Grünen das jährliche GMS-Kontingent auf 2500 Wohnungen erhöhen. Das war auch eine der 2022 getroffenen Vereinbarungen des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen aus Senat und privaten wie kommunlaen Wohnungsunternehmen. Es ist nicht die einzige Vereinbarung des Bündnisses, welche nicht eingehalten wurde, auch Mietsteigerungsgrenzen wurden bereits überschritten. «Der Wohnungskonzern Vonovia, der jährlich 230 Wohnungen beisteuern will, hat in den letzten jahren tatsächlich nur zwischen 19 und 57 Wohnungen pro Jahr über das GMS angeboten», heißt es in einem Papier der Grünen. Mittelfristig sollen die Quoten aber an die Bedarfe, also die Anzahl an Wohnungslosen, gekoppelt werden.

Nicht nur die Anzahl an angebotenen Wohnungen im GMS, auch deren Größe wollen die Grünen ändern. Denn für wohnunglose Familien gebe es kaum Wohnungen. Nur 250 der etwa 1000 angebotenen Wohnungen verfügten über mehr als ein Zimmer, heißt es im Antrag der Fraktion. Auch brauche es mehr barrierefreie Wohnungen im Kontingent.

Schließlich beunruhigt die Grünen auch die Abnahme an ausgestellten Berechtigungsscheinen für das GMS, während gleichzeitig die Wohnungslosigkeit steigt. Von 2017 bis 2023 hat sich die Zahl an Berechtigten von etwa 2000 auf etwa 1000 reduziert, heißt es in der Senatsantwort auf die Anfrage der Grünen-Abgeordneten. Über die Gründe kann Kurt nur mutmaßen. «Wahrscheinlich stellen wohnunglose Menschen gar keinen Antrag, weil es sowieso viel zu wenige Wohnungen gibt und es keinen rechtlichen Anspruch auf eine Wohnung im GMS gibt.»

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.