- Wirtschaft und Umwelt
- Finanzwelt
Unicredit greift nach Commerzbank – zulasten der Beschäftigten?
Italienische Unicredit wird Großaktionärin und stößt auf Ablehnung von Kanzler und Gewerkschaft
Von den ehemals fünf deutschen Großbanken ist allein noch die Deutsche Bank ein Global Player von Weltrang. Ob die zweite Überlebende, die teilstaatliche Commerzbank, die sich marketingwirksam als »Mittelstandsbank« bezeichnet, noch lange eigenständig bleiben wird, ist ungewiss. Der Investor Unicredit stockt nämlich seine Anteile massiv auf.
Die künftige Commerzbank-Vorstandsvorsitzende Bettina Orlopp ließ vor dem ersten Treffen mit den Chefs der Unicredit durchblicken, von den jüngsten Ereignissen überrascht worden zu sein. Das einstündige, digital geführte Gespräch am Freitag sei ein übliches Investorengespräch mit großen Anteilseignern gewesen, heißt es in Frankfurter Finanzkreisen. Eine eventuelle Übernahme der teilstaatlichen Commerzbank mit ihren 42 000 Beschäftigten in mehr als 40 Ländern durch den italienischen Konkurrenten sei nicht erörtert worden. Das muss allerdings wenig heißen.
Die Mailänder Großbank hatte zunächst über die Börse eine Aktienposition von 4,5 Prozent an der Commerzbank aufgebaut und diese vor wenigen Tagen bei einem Teilverkauf des Bundes auf rund neun Prozent aufgestockt. Kommt es zu den Genehmigungen durch die Bankenaufsicht, wird sich die Unicredit über Finanzinstrumente sogar den Zugriff auf rund 21 Prozent der Anteile sichern und würde damit den Bund als größten Aktionär der Commerzbank überholen.
Ab einem Anteil von 30 Prozent müsste Unicredit nach dem Übernahmegesetz den anderen Aktionären ein angemessenes Kaufangebot machen. Ob es dazu kommt oder ob sich Bankboss Andrea Orcel mit der Rolle als wichtigster Aktionär zufrieden gibt, ist unklar. Wirtschaftlich pikant ist der Deal vor allem deshalb, weil Unicredit schon die dritte der verbliebenen deutschen Großbanken, die Hypo-Vereinsbank in München, besitzt.
»Der Bund darf keine weiteren Anteile abgeben, sondern muss sich klar für den Erhalt der Commerzbank als eigenständiges Institut positionieren.«
Frank Werneke Verdi-Vorsitzender
Die Commerzbank war im Zuge der Finanzmarktkrise 2008 in Schieflage geraten und hatte staatliche Kapitalhilfen in Höhe von insgesamt 18,2 Milliarden Euro erhalten, von denen bisher rund 13 Milliarden zurückgezahlt wurden. Im September hatte die Finanzagentur des Bundes dann Aktien für etwa zwei Milliarden Euro verkauft. Die Regierung hält noch zwölf Prozent an der Commerzbank und ließ durchblicken, vorerst keine weiteren Anteile abstoßen zu wollen.
Offiziell zeigte man sich in Berlin überrascht von dem Vorgehen der Italiener, die sämtliche vom Bund veräußerten Commerzbank-Aktien kauften. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wertete aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen die Aktion als »unfreundliche Attacke« und feindliche Übernahme. Was wiederum die Regierung in Rom verärgerte: »Wenn jemand ein italienisches Unternehmen kauft, ist die Rede vom einheitlichen europäischen Markt, doch wenn ein Italiener außerhalb Italiens zukauft, ist man nicht mehr im einheitlichen europäischen Markt«, sagte Außenminister Antonio Tajani. Der Politiker der konservativen Forza Italia dürfte dabei an den kürzlich vollzogenen Kauf von 41 Prozent der staatlichen Fluggesellschaft ITA (früher Alitalia) durch die deutsche Lufthansa gedacht haben.
Unicredit ist in Italien die Nummer zwei hinter der Turiner Intesa Sanpaolo. Im Jahr 2023 belief sich die Bilanzsumme auf rund 785 Milliarden Euro – bei der Commerzbank waren es 517 Milliarden. Zusammen würden sie in einer Liga mit der Deutschen Bank spielen. Nach der Finanzkrise hatten italienische Banken viele faule Kredite in ihren Büchern. Mittlerweile gelten sie unter Analysten als solide aufgestellt.
Seit Jahren wollen Finanzmanager wie der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing wieder ein größeres Rad drehen – und fordern eine »Konsolidierung« auf dem europäischen Bankenmarkt, also den Zusammenschluss großer Institute zu einer Handvoll Global Player, die mit den großen US-amerikanischen und britischen Investmentbanken mithalten könnten. Versuche scheiterten bislang aber regelmäßig an nationalen Befindlichkeiten und dem Widerstand von Gewerkschaften. Auch Verdi-Vorsitzender Frank Werneke mahnte jetzt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die Unabhängigkeit der Commerzbank und das Engagement der Beschäftigten nicht zu verspielen: »Der Bund darf keine weiteren Anteile abgeben, sondern muss sich klar für den Erhalt der Commerzbank als eigenständiges Institut positionieren, auch und gerade im Interesse der deutschen Wirtschaft.« Insbesondere mit Blick auf den deutschen Mittelstand ist es laut Werneke »wichtiger denn je«, dass die Bank ihre Eigenständigkeit wahre.
Allerdings könnte diese Rolle überschätzt sein. Zwar wird behauptet, dass die Commerzbank ein Drittel aller Kredite an den Mittelstand in Deutschland vergibt. Die Bundesbank-Statistik weist allerdings nur einen Anteil der drei Großbanken an sämtlichen Unternehmenskrediten von zusammen unter elf Prozent aus. Allein die Sparkassen und ihre Landesbanken vergeben nahezu viermal so viele Kredite wie die Commerzbank an den hiesigen Mittelstand. An Geldgebern mangelt es diesem also nicht.
Die künftige Chefin Bettina Orlopp, die die erste Frau an der Spitze einer deutschen Privatbank sein wird, genießt indes das Vertrauen des Betriebsrats. Zumal auch sie auf die Eigenständigkeit der Commerzbank pocht: »Auch wenn jetzt die Idee einer verrückten Übernahme im Raum steht, eines schnellen Ausverkaufs – bei so etwas machen wir nicht mit.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.