Walter Heynowski: Aufklärung und Abendlicht

Zum Tod des Filmdokumentaristen Walter Heynowski, Studio H & S

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Whistleblower des 20. Jahrhunderts: Walter Heynowski
Ein Whistleblower des 20. Jahrhunderts: Walter Heynowski

Wahrheit leistet sich groteske Erfindungen. Da heißt ein Deutscher Siegfried Müller. Ein Fetzen Heldenmythos, zusammengenäht mit einem Lappen Durchschnitt: Das ergibt die Uniform, die wird nicht schlechthin getragen, die trägt – und zwar durch Zeiten und Geographien. Es ist das Kleid eines Allzeitschlächters unter wechselnden Befehlsgebern. Immer Nibelungen, immer Müller – im Gewöhnlichsten wartet die Barbarei auf ihre Stunde. Das war Kongo-Müller. Zynischer, zähnefletschender Horrorheld des Dokumentarfilms »Der lachende Mann«. Eine internationale Sensation damals, 1966.

Die Befragung dieses Dauer-Söldners, unter Zuhilfenahme von sehr viel Alkohol vor der Kamera und unter Geheimhaltung der Tatsache, dass die Befrager aus der DDR kamen: Der Film begründete den Weltruhm von Walter Heynowski, Gerhard Scheumann und Kameramann Peter Hellmich. Und Dramaturg Robert Michel. Alles Unverwechselbare des fortan legendären Studios H & S war in diesem Werk verdichtet angelegt: die Besonderheit eines Typs oder eines Fakts, verknüpft mit historischer Tiefenbohrung und politisch aktueller Polemik. Spürsinnig, kämpferisch scharf. Aufklärung: ein Kampfmittel, den Spionen und Kundschaftern und Dichtern und Denkern abgeschaut. Das Journalistische: ein exzellentes Handwerk dort, wo es auch verblüffend journalistig wird.

Der gebürtige Ingolstädter Heynowski war nach dem Krieg, 22-jährig, Chefredakteur der Satirezeitschrift »Frischer Wind«, später »Eulenspiegel«; ein geistreicher Gründertyp. Beim Deutschen Fernsehfunk wurde er Programmdirektor, erfand das Sandmännchen. H & S: an die hundert Filme. Brillante Enthüllungskunst. Und Enthüllung – zielt sie denn erfolgreich kernwärts – ist ein Geheimdienst eigenen Rechts. Speziell in drei Richtungen ermittelten Heynowski und Scheumann: Da war der Krieg in Vietnam (»Piloten im Pyjama«), da regten und räkelten sich in der Bundesrepublik alte und neue Nazis (»Kamerad Krüger«), und in Chile putschte der Imperialismus gegen Allende (»Krieg der Mumien«, »Ich war, ich bin, ich werde sein«). 1982 wurde die Selbstständigkeit jenes Studios aufgehoben, dem damals Welt und Währungen offenstanden. Zu viel Eigensinn, jenseits von Defa und DDR-Fernsehen? Auf jeden Fall Neid, Missgunst, Anwürfe.

Heynowski, Jahrgang 1927, gehörte zu jenen, die in gewisser Weise schuldlos schuldig wurden. Wie Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Martin Walser. Eine ganze Generation, Faschismus und Krieg, und die uralte Lehre: Der Mensch wird erst mählich wissend – oft über den Weg des frühen Irrtums; man rutscht über naiven Glauben, über das Inhalieren von Propaganda, über die allgemeine Ohnmacht und auch über reichlich blinde Zufälle hinein ins Unglück. Die Zeit wirft den Menschen ins Leben, das ihm oft genug keine Wahl lässt, und dann stolpert der Mensch herum, und erst viel später reibt er sich die Augen.

Einen ersten Band Erinnerungen, nach dem Ende der DDR erschienen in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe, nannte Heynowski »Der Film meines Lebens«, Untertitel: »Zerschossene Jugend«. Bitterste Trefflichkeit. Ein Buch gegen eine verhängnisreiche Umgangsart: Könnte man eine Katastrophe verhindern, ruft der mittig laufende Mensch: Warum ich? Trifft ihn die Katastrophe, weint er: Warum mich?

Heynowski gehörte in diesem Sinne zu jenen, die einem Verdrängen, einem Verlangen nach »normalem« Umgang mit deutscher Vergangenheit nie nachgaben. Er war einer, der sich immer wieder vor Augen führte, dass er nur unter stark belastenden Zusammenhängen jung sein durfte – und in eine stille Bitte um Verständnis drängte sich stets der ehrende, verpflichtende Gedanke, wie gering doch in Westdeutschland noch immer jene Wenigen gelten, die einst in Lagern oder unter Fallbeilen starben, junge Widerstandskämpfer, Kommunisten zuerst, Hitler-Gegner von Anfang an. Eine scheinbar sorgenlose Mehrheit, die Wohlstand mit Demokratie gleichsetzen durfte – sie beschäftigt die Öffentlichkeit seit jeher intensiver als das Leid und das Los gequälter politischer Minderheiten, die für das anständige Leben der Vielen einst das ihre opferten. Auch deshalb drehten H & S ihre Filme. Und Heynowski wird über seinen Bruder, der im Westen geblieben war, sarkastisch sagen: »Wir hielten uns für die Sieger der Geschichte, aber der wahre Sieger ist er gewesen.«

Aus seiner Jugend kannte Walter Heynowski den Reiz der Irrung, er träumte sich sogar zum Kriegsberichter, zum Glück galt er nicht als reinrassig, also förderungswert. Er ging dann wissentlich zu den Kommunisten, aber nach deren staatlichem Ende ist er kein Gewissenswechsler geworden. Einst aus geistiger Not in den Osten gekommen und gerade mal so die Haut gerettet, wurde er doch keiner, der sich nun, im neuen alten Westen, ohne Not häutete. Auch wenn nach dem Ende des Staatssozialismus auf H & S der Stempel hernieder krachte: Agitation, Propaganda!

Ja, natürlich: Eindeutigkeit gehörte zum Arsenal der Vielfalt. Schwarz-Weiß-Bilder sind eine hochfeine Ästhetik, entsprechendes Können vorausgesetzt und den mutigen Willen, nicht missverstanden werden zu wollen. »Jede Ordnung sucht sich ihre Elite.« Ein Satz von Heynowski. Ein wahrer Satz, er verweist auf Möglichkeiten, die eine Ordnung jenen Künstlern gewährt, die sich einsatzbereit zeigen.

Günter Gaus hat einmal geschrieben. »Unter alten Kommunisten in der DDR habe ich immer wieder das Bedürfnis gefunden, das, was man nach so vielen Opfern politisch in die Hand bekommen und was man daraus gemacht hat, vor kritischen Nachfragen zu schützen. Diese Einstellung enthielt einen Teil Selbstbetrug. Vor allem aber war es ein Selbstschutz vor jenen, die ihr gutes friedliches Leben einem fremden Heldentum zu verdanken hatten.« Die Jahre nach der deutschen Einheit waren Auf- und Abrechnungsjahre. Verständlich, dass vor allem im Osten gekehrt wurde. Denn mit ihrem Ende durfte (musste!) die DDR endlich beim richtigen Namen jener Dinge genannt werden, die dieses Ende herbeigeführt hatten. Für viele kam die Frage »Haben wir umsonst gelebt?« auf die Tagesordnung. Auch darüber schrieb Heynowski.

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Ehrliches Bedenken aber musste sich auseinandersetzen mit pauschalem Hoheitsgebaren, mit einer westlichen Selbstgewissheit, die geradezu staatsanwaltsam daherkam. Mit moralsatter Fraglosigkeit wurde in den Biografien von Christa Wolf und Bernhard Heisig oder Stefan Heym herumgeklaubt. So, als sei nur all das menschlich und akzeptabel, was gewissermaßen von früh an auf westdeutsches Leben hinauslief. In der DDR sein? In der DDR bleiben? Anmaßender Duktus schnitt Wege zur Selbstkritik ab und rief oftmals nur noch die verständliche Abwehr feindseliger Abwertungen, also Rechtfertigungen, hervor.

H & S? Kalte Krieger! So das Aburteil. Den Kommunisten Walter Heynowski hat diese Grundstimmung nach 1990 in einen würdig Schweigenden verwandelt. Er wurde trotzig und erhobenen Hauptes still. Stille bewältigte Bitterkeit. Es gibt Haltungen, in denen man Gefahr läuft, sich zu überstrapazieren, es bedarf dann einer Hilfe zur Balance. So entsteht immer wieder Literatur. So entstehen immer wieder Autoren und Leser. Schreiben und Lesen ist erträglich machen von Unerträglichem. Der Leser trifft in Literatur, die ihn wirklich erfasst, immer auf sich selbst. In den autobiografischen Büchern, die Heynowski schrieb, begegnet man einer einfachen Wahrheit: Nichts ist untiefer als die eigene Biografie. Du stehst vor dir selber und begegnest dabei einem Unbekannten. Du ahnst, dass dich von dort, wohin du so gern schweigen möchtest, andauernd einige wichtige Wahrheiten anstarren. So wird die einfache Wahrheit zum Labyrinth. Wärmend gegen die Kälte draußen.

Gerhard Scheumann starb 1998, auf einem Kongress der Film- und Fernsehschaffenden hatte er gegen Ende der DDR mediale Schönfärberei und ideologische Farblosigkeit benannt und war hanebüchen abgekanzelt worden. Nun ist auch Walter Heynowski gestorben, im Alter von 96 Jahren. Sein Verleger teilt mit, er habe noch ein Belegexemplar seines zweiten autobiografischen Buches in den Händen halten dürfen: »Generation im Abendlicht«. H & S war eine Legende, die sich in Kämpfe warf, der Wahrheit willen. Es ist ein Werk entstanden, dessen Lehrstück-Charakter von gestern scheint, aber es kann warten, in Gewissheit einer Zukunft, die wieder ganz anders nach politischen Wahrheiten hinter den Fassaden fragen wird. Ich höre das Wort Whistleblower und denke auch an H & S.

Der zweite Band der Erinnerungen von Walter Heynowski, »Mäander der Erinnerung« (Das Neue Berlin, 352 S., geb., 28 €) erscheint am 11. November.

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